Marxismus und Umweltpolitik

Hubertus Zdebel. Die ökologische Frage gilt unter Linken keineswegs als sogenannter Nebenwiderspruch zur sozialen Frage. Weite Teile der Klimabewegung stellen einen grundsätzlichen Widerspruch zwischen Klimaschutz und kapitalistischer Produktionsweise fest. Mit den Schriften von Karl Marx liegt die noch immer massgebliche Analyse und Kritik des Kapitalismus vor. Marx äusserte sich auch zum Thema Ökologie.

In Sachen Klimaschutz ergeben sich auf den ersten Blick eigentümliche Koalitionen. Umweltorganisationen und Manager*innen von Investmentfonds, grüne Politiker*innen und Silicon Valley – sie alle werben für die Energiewende. Der von US-Präsident Trump angekündigte Austritt aus dem Pariser Klimaabkommen sorgte für eine Welle der Entrüstung. Amerikanische Superkonzerne wie Google, Microsoft, Intel, Walmart, General Electric, aber auch die Ölriesen BP und Shell formulieren deutliche Kritik an den massiven Kürzungen im Klimaschutzbereich, die sich unter der US-Bundesumweltbehörde EPA andeuten. Haben die Konzerne plötzlich ihr grünes Gewissen entdeckt? Der Chef von Goldman Sachs, Lloyd Blankfein, gab am Tag des angekündigten US-Austritts aus dem Klimaabkommen via Twitter Auskunft, worum es eigentlich geht: «Die heutige Entscheidung ist ein Rückschlag für die Umwelt und für die Führungsrolle der Vereinigten Staaten in der Welt.» Es geht also – wie immer im Kapitalismus – ums Geschäft und um Machtansprüche.

Untrennbar verbunden
Was zunächst irritieren mag – die Kapitalseite setzt sich für mehr Umweltschutz ein – ist bei näherem Hinsehen gar nicht so verwunderlich. In den verschiedenen Kapitalfraktionen herrscht Uneinigkeit. Viele Konzerne und die führenden Eliten setzen mittlerweile auf einen „grünen“ Kapitalismus, kurz gesagt: eine Wirtschaftsordnung, die sich durch technische Umrüstung oberflächlich von den schmutzigen Energien verabschiedet, zugleich aber an den Grundprinzipien des Kapitalismus festhält. Das Privateigentum an Produktionsmitteln, die Konkurrenz- und Wachstumslogik sowie die Profitmaximierung bleiben unangetastet. Die Apologeten der marktbasierten Energiewende trennen also die ökologische von der sozialen Frage.
Umweltpolitik und Antikapitalismus müssen Hand in Hand gehen. Mehr und mehr setzt sich das Bewusstsein durch, dass Soziales und Ökologisches untrennbar miteinander verwoben sind. Solange die Aussicht auf Profit in der kapitalistischen Wirtschaft handlungsleitend ist, bleibt jede Verpflichtung auf Klimaschutz unter Vorbehalt. Sie geschieht nicht aus Allgemeinwohlorientierung, sondern aus Geschäftsinteresse und ist somit immer Veränderungen auf dem Markt unterworfen.

Die Welt besser verstehen
Um zu begreifen, wie die für Krieg, Massenarmut und Naturzerstörung verantwortliche kapitalistische Produktionsweise funktioniert, lohnt sich die Beschäftigung mit der Kapitalismuskritik von Karl Marx. Mag das Wälzen der dicken blauen Bände auch trocken und abschreckend erscheinen, dennoch hilft es, die Welt, in der wir leben, besser zu verstehen. Marx lebte vor 150 Jahren. Obwohl er nicht die Gefahren eines globalen Klimawandels vor Augen hatte und auch nicht haben konnte, war sein Verständnis des Verhältnisses von Mensch und Natur schon in seinem Frühwerk sehr differenziert, im Gegensatz zu den naiv-unkritischen Vorstellungen der bürgerlichen Ökonomen.
Während die meisten Ökonomen jener Zeit die Natur als unerschöpfliche Quelle des Reichtums ansahen, aus der sich der Mensch nur zu bedienen habe, sah Marx schon frühzeitig die wechselseitige Abhängigkeit von Mensch und Natur. Eine gelingende menschliche Entwicklung ist für Marx nur im Wechselspiel von Arbeit und Natur möglich: «Die Arbeit ist zunächst ein Prozess zwischen Mensch und Natur, ein Prozess, worin der Mensch seinen Stoffwechsel mit der Natur durch seine eigene Tat vermittelt, regelt und kontrolliert. Er tritt dem Naturstoff selbst als eine Naturmacht gegenüber. Die seiner Leiblichkeit angehörigen Naturkräfte, Arme und Beine, Kopf und Hand, setzt er in Bewegung, um sich den Naturstoff in einer für sein eigenes Leben brauchbaren Form anzueignen.»
Kommt dem Menschen laut Marx grundsätzlich die Fähigkeit zu, sich durch Arbeit «den Naturstoff in einer für sein eigenes Leben brauchbaren Form anzueignen», so ist dies im Kapitalismus gerade nicht für alle Menschen möglich. Im Kapitalismus herrscht das Privateigentum an Produktionsmitteln. Damit ist gesetzt, dass die grosse Mehrheit der Menschen gar nicht die Möglichkeit hat, direkt auf die Naturstoffe zuzugreifen, die sie brauchen. Sie besitzen nichts weiter als ihre Arbeitskraft, diese müssen sie als Ware verkaufen. Wenn sie das Pech haben, keinen Job zu bekommen, sind sie gezwungen, am absoluten Existenzminimum zu vegetieren, in vielen Weltregionen auch darunter. Produziert wird im Kapitalismus mit dem Ziel, den Profit zu maximieren und Konkurrenten auszustechen. Ob es den Arbeiter*innen gut geht oder ob die Natur irreversibel beschädigt wird, spielt in dieser Kalkulation zunächst keine Rolle. Die allseitige Konkurrenz herrscht den Kapitalisten die rücksichtslose Ausbeutung der zwei Quellen des gesellschaftlichen Reichtums auf: sowohl der Arbeit, als auch der Natur.

Nicht freiwillig
Ein Kapitalist, der seine Arbeiter*innen weniger schuften lassen möchte und aus Sorge vor dem Klimawandel weniger umweltschädlich produzieren lässt, wird auf dem Markt schnell scheitern, sofern sich diese Massnahmen nicht selbst wieder profitabel verwerten lassen. Mit Marx können wir also festhalten: Wenn sich plötzlich Kapitalist*innen für mehr Umweltschutz einsetzen, dann nicht, weil das Kapital sich dem Allgemeinwohl verpflichtet fühlt, sondern weil die damit verbundenen Investitionen in technische Umrüstungen sich verwerten lassen, also dazu beitragen das Kapital «fortwährend auszudehnen». Es entstehen neue Branchen und Geschäftsfelder, wie die verschiedenen vermeintlich ökologischen Unternehmen. Als zweiter wesentlicher Faktor für etwas mehr Umweltschutz im Kapitalismus kommt der Druck von der Strasse hinzu, der die Regierungen zur Erhöhung von Umweltschutzstandards zwingen kann. In beiden Fällen ist das Kapital aber nicht plötzlich allgemeinwohlorientiert, sondern in beiden Fällen ist es der Zwang, der Veränderungen bewirkt: einmal der ökonomische, einmal der politisch erzeugte.

Versöhnung von Mensch und Natur
Für Marx war lange vor der Entstehung einer gesellschaftlich relevanten Klimabewegung klar, dass es einer Revolutionierung der Produktionsweise bedarf, um das Verhältnis von Mensch und Natur wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Aus der Perspektive einer befreiten Gesellschaft würden, so Marx, das Privateigentum an Grund und Boden und die rücksichtslose Naturausbeutung als etwas Absurdes erscheinen: «Vom Standpunkt einer höheren ökonomischen Gesellschaftsformation [also vom Sozialismus aus] wird das Privateigentum einzelner Individuen am Erdball ganz so abgeschmackt erscheinen, wie das Privateigentum eines Menschen an einem anderen Menschen. Selbst die ganze Gesellschaft, eine Nation, ja alle gleichzeitigen Gesellschaften zusammen genommen, sind nicht Eigentümer der Erde. Sie sind nur ihre Besitzer, ihre Nutzniesser und haben sie (…) den nachfolgenden Generationen verbessert zu hinterlassen.»
Es geht nicht darum, dass die Menschen wieder bescheidener leben müssen, so wie es einige Verzichtsideologen (beispielsweise aus dem Spektrum der Postwachstumsökonomie) fordern. Die Einschwörung aufs Verzichten und Darben, historisch oftmals religiös verpackt, steht dem vorauseilenden Gehorsam und der Anpassung an Herrschaft seit jeher näher als einer emanzipatorischen Gesellschaftskritik. Marx ging es um ein schönes Leben für alle, aber unter der Beachtung der Grenzen der Natur. Der Irrwitz des Kapitalismus ist es, dass die meisten Menschen ohnehin keinerlei Vorteile von der umweltzerstörerischen Ausbeutung der Natur haben. Der technische Fortschritt wird nicht dazu genutzt, um die Arbeitszeiten radikal zu verkürzen und auf alle Schultern fair zu verteilen. Stattdessen laufen Massenarbeitslosigkeit auf der einen Seite und Überstunden auf der anderen Seite munter parallel.

«Reichtum ist verfügbare Zeit»
Marx machte in seinem Werk nicht viele Angaben dazu, wie ein gutes Leben auszusehen hat, da die zukünftige Gesellschaft eine Folge der gesellschaftlichen Bewegungen ist. Doch er erkannte sehr deutlich, welche basalen Voraussetzungen erfüllt sein müssen: «Reichtum ist verfügbare Zeit, und sonst nichts», das heisst der wahre Reichtum ist «disposable time, freie Zeit für ihre Entwicklung [also die Entwicklung der Menschen].» Erinnern wir uns daran, dass Marx den Menschen als Teil der Natur bestimmte. Als solcher Teil der Natur muss der Mensch notwendigerweise Arbeit verrichten, um seine Bedürfnisse zu stillen, er muss Lebensmittel produzieren. Im Laufe der Geschichte wächst durch den technischen Fortschritt jedoch das Potential, die notwendige Arbeitszeit schrittweise zu minimieren. Im industriellen Produktionsprozess übernehmen Maschinen mehr und mehr die körperlich anstrengenden Tätigkeiten. Dies hat im Kapitalismus jedoch nicht zur Folge, dass die Menschen weniger arbeiten müssen, beziehungsweise ein sorgenfreies Leben geniessen können. Daher ist für Marx die Forderung nach freier Zeit so enorm wichtig als Schritt in Richtung befreiter Gesellschaft, in der die Menschen nicht mehr gegen die Natur arbeiten, sondern ihre Abhängigkeit von der Natur erkennen und deshalb respektieren.

Verkürzung des Arbeitstags als Grundbedingung
Die Vision von Marx lässt sich am besten in seinen eigenen Worten wiedergeben: «Wie der Wilde mit der Natur ringen muss, um seine Bedürfnisse zu befriedigen, um sein Leben zu erhalten und zu reproduzieren, so muss es der Zivilisierte, und er muss es in allen Gesellschaftsformen und unter allen möglichen Produktionsweisen. (…) Die Freiheit in diesem Gebiet kann nur darin bestehen, dass der vergesellschaftete Mensch, die assoziierten Produzenten, diesen ihren Stoffwechsel mit der Natur rationell regeln, unter ihre gemeinschaftliche Kontrolle bringen, statt von ihm als von einer blinden Macht beherrscht zu werden; ihn mit dem geringsten Kraftaufwand und unter den ihrer menschlichen Natur würdigsten und adäquatesten Bedingungen vollziehen. (…) Die Verkürzung des Arbeitstags ist die Grundbedingung.»

Quelle: diefreiheitsliebe.de

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