Ein klimapolitisches Desaster

Lea Fäh. Kohle wird heute in der kollektiven Vorstellung des Westens als Energie aus dem vergangenen Jahrhundert angesehen. Doch da irren wir uns, zeigt die Investigativarbeit der NGO Public Eye. Die Schweiz verhilft dem grössten Klimakiller zu seinem grossen Comeback im 21.Jahrhundert.

2021 sind die weltweiten CO2-Emissionen so stark angestiegen wie nie zuvor. Ganze 36,3 Milliarden Tonnen CO2 wurden in die globale Atmosphäre gepustet, so die Analyse der Internationalen Energieagentur (IEA). Der Hauptgrund für den bisher grössten jährlichen Anstieg? Die Kohle ist zurück. Die umweltschädlichste aller Energiequellen war für fast die Hälfte des Wachstums verantwortlich.
Und damit nicht genug. In diesem Jahr werde die Produktion von Kohle die historische Höchstmarke von acht Milliarden Tonnen knacken, prognostiziert die IEA. Zu diesem Schluss kommen auch die Autorin und der Autor der Studie von Public Eye, Adrià Budry Carbó und Robert Bachmann: «Das Sedimentgestein, das die industrielle Revolution vorantrieb, wurde noch nie so viel abgebaut, gehandelt und verbraucht wie im Jahr 2022.»

Umschlagplatz Schweiz
«Von der Renaissance des dreckigsten aller fossilen Brennstoffe profitiert die Schweiz direkt», sagt Studienautor Bachmann auf Anfrage des vorwärts. Mit der Finanzialisierung und Internationalisierung des Kohlemarktes habe sich die Schweiz eine goldene Nase verdient. «Die Schweiz – mit ihren Kohleförderern, Rohstoffhändlern und Banken – spielt eine zentrale Rolle im weltweiten Kohlegeschäft», erklärt Bachmann. Wie bei anderen Rohstoffen fungiert die Schweiz auch bei Kohle als gewichtige Drehscheibe. Gemäss der Recherche von Public Eye ist seit den frühen 2000er-Jahren zwischen Zug, Genf und Lugano ein «regelrechtes Russ-Ökosystem» entstanden. In diesem Dreieck sind heute 245 Unternehmen in deren Produktion und Vermarktung tätig. Sie wickeln ganze 40 Prozent des weltweiten Handels ab und fördern über 500 Millionen Tonnen pro Jahr. Die daraus resultierenden Emissionen, die bis zur Umwandlung in Strom anfallen, belaufen sich auf fast 5,4 Milliarden Tonnen CO2 – das ist mehr als die USA jährlich ausstossen.

Blinder Fleck in der Klimapolitik
Dabei wurde erst noch am letztjährigen Klimagipfel in Glasgow die weltweite Abkehr von der Kohle eingeleitet. Die Staaten beschlossen deren schrittweise Reduktion. Die Schweiz setzte sich sogar für den vollständigen Ausstieg ein.
Seit die Schweiz 2015 das Pariser Klimaschutzabkommen unterzeichnet hat, tritt sie auf dem internationalen politischen Parkett ambitioniert im Kampf gegen den Klimawandel auf. Mit der Ratifikation des Klimau?bereinkommens von Paris im Oktober 2017 verpflichtete sie sich dazu, ihren Treibhausgasausstoss bis 2030 gegenüber dem Stand von 1990 zu halbieren. Im August 2019 entschied der Bundesrat das Ziel von Netto-Null Treibhausgasemissionen bis 2050.
Trotz internationaler Einigung die umweltschädlichste aller fossiler Energien zu drosseln, befeuern nun aktuelle Nöte eine gegenläufige Entwicklung. Der Krieg in der Ukraine, die Gasmangellage und das Chaos auf den Energiemärkten: Davon profitiert die Kohle. Sie ist billig und reichlich vorhanden. Das Comeback der Kohle ist ein klimapolitisches Desaster.

Blosse Lippenbekenntnisse
«In der Zeit zwischen dem Pariser Abkommen und September 2022 flossen insgesamt 72,9 Milliarden US-Dollar in den Schweizer Kohlesektor», muss Studienautor Bachmann feststellen. Auch die heimische Finanzwelt mischt kräftig im Kreditgeschäft für die helvetische Kohleindustrie mit. «Unsere Banken finden sich in den Top Ten der Kreditgeber», sagt er.
Über drei Milliarden US-Dollar haben die hiesigen Banken verliehen. «Die Schweizer Banken operieren weiterhin so, als ob nichts geschehen wäre – trotz ihrer grossen Ankündigungen zur CO2-Neutralität», prangert er an.
An erster Stelle der Kohlefinanzierer steht die Grossbank Credit Suisse. Sie stellte allein mehr als die Hälfte der Schweizer Gelder für Spitzenkunden wie Glencore, Trafigura oder die russischen Bergbauunternehmen Sibanthracite und Suek zur Verfügung. In ihrem Klimaversprechen schreibt die Credit Suisse derweil, sie wende strengere Kriterien bei der Kreditvergabe an. Überraschend ist die Beteiligung von Kantonalbanken. Vor allem Zürich, Waadt und Genf halten sich nicht zurück. «Deren öffentliche Eigentümerschaft müsste eigentlich dazu einladen, Kredite mit grösserer Sorgfalt zu vergeben – gerade hinsichtlich der eingegangenen Klimaverpflichtungen des Bundes», sagt Bachmann.

Unsichtbare Finanzierung
Die Kriterien zur Kreditvergabe sind oft so formuliert, dass diversifizierte Grosskonzerne durch die Maschen fallen, da sie nur einen Teil ihres Umsatzes mit Kohle machen. «Der Zuger Gigant Glencore, beispielsweise, ist unangefochtener Spitzenreiter im Kohlegeschäft, trotzdem wird er von keiner der von uns analysierten Banken ausgeschlossen», erklärt Bachmann. «Angesichts des umweltpolitischen Drucks verschleiern Banken Verbindungen und Finanzierungen, die für ihre Reputation riskant sind», sagt er weiter. Einerseits über unverbindliche Kreditlinien, auch bekannt als «Corporate Loans». Solche allgemeinen Unternehmenskredite sind nicht an spezifische, potenziell rufschädigende Projekte gebunden. Andererseits über die von Banken betreute Ausgabe von Obligationen, die Kohleunternehmen herausgeben, um Geld von Drittanlegern zu beschaffen. Diese als «Underwriting» bezeichnete Praxis ermöglicht es Finanzinstituten, die Geschäfte mit der Kohle nicht in ihrer Bilanz auszuweisen, wie sie es bei der Vergabe eines Bankkredits tun müssten. Ganze 90 Prozent der Finanzierung von Kohleunternehmen erfolge über diese beiden diskreten Finanzinstrumente, zitiert Bachmann aus Quellen der Studie.

Taten folgen lassen
Public Eye lanciert eine Petition. «Es reicht nicht, auf Absichtserklärungen von Rohstoff- und Finanzkonzernen zu setzen, die auf Zeit spielen, um Profite zu sichern. Die Politik muss jetzt handeln», sagt Bachmann dazu. «Wir fordern konkrete Ausstiegspläne aus der Kohle bis 2030 und mehr Regulierung», erklärt er ihren Appell an Bundesrat und Parlament. Die jetzige Klimapolitik ignoriere die heute gängigen Praxen im Kohlegeschäft. «Gerade durch ihre dominante Position im Kohlesektor hat die Schweiz einen grossen klimapolitischen Hebel und eine globale Verantwortung wahrzunehmen», stützt er ihr Anliegen.

Petition unterschreiben:
publiceye.ch/de/petition-stopp-kohle

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