Ilisu: Baubeginn trotz Ultimatum

Zehn Tage vor Ablauf des Ultimatums an die türkische Regierung wurde bekannt, dass die Bauarbeiten nicht gestoppt, sondern sogar intensiviert wurden. Der europäischen Ilisu-Kampagne liegen aktuelle Fotos vor, die umfangreiche Arbeiten am und im Tigris belegen. Diese Aktivitäten widersprechen der Forderung Deutschlands, Österreichs und der Schweiz, dass die Bauarbeiten im Fluss erst beginnen dürfen, wenn Auflagen im Umwelt-, Kultur- und Umsiedlungsbereich erfüllt sind. Andernfalls drohe die umgehende Kündigung der europäischen Bürgschaftsverträge, so die drei Regierungen.

«Die Bauarbeiten sind ein weiterer Beweis dafür, dass sich die Türkei nicht an die Vorgaben hält. Damit werden die europäischen Regierungen brüskiert. Wenn der Bundesrat daraus jetzt nicht die Konsequenzen zieht und den Vertrag kündigt, verliert er jede Chance auf Glaubwürdigkeit», so Christine Eberlein von der Erklärung von Bern.

In den vergangenen zwölf Monaten  hatten Experten im Auftrag der drei europäischen Staaten wiederholt festgestellt, dass sich die türkischen Behörden nicht an die Vorgaben und die internationalen Standards halten und sogar versucht hatten, die europäischen Vertragspartner zu täuschen. Auflagen waren von Ankara als erfüllt gemeldet worden, was sich bei einer Überprüfung als unwahr herausstellte. Daraufhin stellten die drei Länder der Türkei am 7. Oktober ein Ultimatum, das am 12. Dezember abläuft. Bis dahin muss die türkische Regierung die Auflagen erfüllen bzw. deren Erfüllung glaubhaft garantieren. Andernfalls würden die Verträge gekündigt.

«Ein weiterer Skandal ist, dass der Ort Ilisu und der Blick auf die Baustelle nicht mehr frei zugänglich sind», so Kaspar Haller von der Gesellschaft für bedrohte Völker. Nicht befugten Personen, zum Beispiel VertreterInnen lokaler Nichtregierungsorganisationen, wurde der Besuch mehrfach verwehrt.

Auch beim Kulturgüterschutz hat sich in den letzten Monaten nichts verbessert. Das ergab der kürzlich veröffentlichte Bericht der Kulturexperten. Laut deren Leiterin, Margarete van Ess vom Deutschen Archäologischen Institut, fehlen noch immer wesentliche Grundlagen. Dazu gehören eine Bestandsaufnahme wertvoller archäologischer Fundstätten im Projektgebiet sowie der Nachweis über die Machbarkeit der Umsiedlung einzelner Baudenkmäler von Hasankeyf.

Dem Vernehmen nach erwägen Deutschland, Österreich und die Schweiz eine Verlängerung des Ultimatums, weil die türkischen Behörden neue Pläne zur Auflagenumsetzung vorgelegt hätten. «Auch wenn die Exportkreditversicherungen es nicht wahrhaben wollen, zeigen die neuesten Entwicklungen, dass weitere Verhandlungen keine Besserung vor Ort bewirken. Nichts deutet darauf hin, dass mögliche neue Pläne besser umgesetzt würden als bisher», so Christine Eberlein. «Eine Fristverlängerung wäre daher eine Bankrotterklärung der europäischen Position und wird zu einer internationalen Protestwelle führen.»

Die Erklärung von Bern und die Gesellschaft für bedrohte Völker informieren heute den Bundesrat sowie ParlamentarierInnen mit einer Stellungnahme über die aktuelle Situation. Mitte Dezember müssen die Exportrisikoversicherung SERV sowie Frau Bundesrätin Leuthard, gemeinsam mit den Regierungen Österreichs und Deutschlands eine Entscheidung treffen.

Quelle: Erklärung von Bern (www.evb.ch)