Norberto, nach Jahrzehnten, in denen du aktiv in der Partei bist, hast du nun das Präsidium übernommen. Was ist deine Motivation?
Der Rücktritt aus familiären Gründen von Nelly Buntschu zwang die Partei rasch zu handeln und eine Nachfolge bis mindestens zum ordentlichen Kongress vom 2010 zu bestimmen. Da ich schon 22 Jahre in der Parteileitung bin – und somit der Dienstälteste in diesem Gremium – wurde ich vorgeschlagen. Ich habe das Amt vor allem aus einem Pflichtgefühl übernommen, um in der Partei Schwierigkeiten zu vermeiden, denn es war nie meine Absichten oder mein Ziel, Präsident der PdAS zu werden. Aber damit ich nicht missverstanden werde: Ich freue mich sehr auf die Aufgaben als Präsident der Partei.
Welche Ziele hast du als Präsident?
Spontan antworte ich, dass mein, unser Ziel, es ist, die Welt zu verändern, den Kapitalismus zu überwinden. Einen Beitrag zu leisten für den Aufbau einer solidarischen Welt, die in Frieden lebt. Das ist und bleibt meine, unsere Vision. Kurzfristig ist das Ziel die Stärkung unserer Partei, indem wir die Zusammenarbeit unter den Sektionen und unter den GenossInnen verbessern. Dies um einen grösseren Einfluss in der lokalen und nationalen Politik zu bekommen.
Wie schätzt du die aktuelle politische Situation in der Schweiz ein?
Die Situation ist explosiv und zwar durch die aktuelle Krise, die vor allem die schwächeren Schichten unserer Gesellschaft schwer trifft. Dies hat auch die Demonstration in Bern vom 19. September mehr als deutlich gezeigt. Die prekären Arbeitsverhältnissen, die tiefen Löhne, die Arbeitslosigkeit im Allgemeinen und die Jugendarbeitslosigkeit im Speziellen sowie das Fehlen von glaubhaften Perspektiven führen zu Enttäuschungen und Verbitterung, was der politische Kampf komplex und schwierig macht. Wir wissen, dass die Krisen des Kapitalismus nicht zwingend zu einem fortschrittlichen Ausweg führen. Ganz im Gegenteil: Die populistischen und rechtsextremen Stimmen werden immer lauter und unüberhörbar. Dabei gehen sie immer gleich vor: Sie werben mit billigen, einfachen und oberflächlichen Antworten auf komplexe gesellschaftliche Probleme, definieren dabei Sündenböcke und schlagen mit voller Wucht und Macht auf diese ein. Die SVP ist eine Meisterin in dieser Art von Kampagne und sie verfügt über eine Menge Gel, um nationale Abstimmungskämpfe so zu lancieren und führen. Sie spielt und setzt dabei auf die diffusen Ängste in der Bevölkerung, gewinnt so an Boden und erscheint als einzige, glaubwürdige Alternative gegenüber der Krise, welche immer mehr Schaden anrichtet.
Welche Rolle kann dabei eine kleine Partei wie die PdA haben?
Unsere Partei muss mit Hartnäckigkeit versuchen, diese gefährliche Entwicklung genau zu verstehen – und sie auch erklären zu können. Wir müssen mit aller Kraft die xenophoben und rassistischen Vorstösse der konservativen und reaktionären Rechte bekämpfen. Wir müssen aber auch eine Kritik entwickeln gegenüber den Parteien der Mitte und der Sozialdemokratischen Partei, welche die Türen für den Neoliberalismus und den wilden Kapitalismus geöffnet haben, der uns zu diesem Zusammenbruch geführt hat. Wir haben (oder sollten es haben) mit dem Marxismus ein hervorragendes Instrument, das uns erlaubt (oder uns erlauben sollte) die aktuellen Erscheinungen zu verstehen. Die Theorien von Marx, Engels, Lenin, Luxenburg, Gramsci und andere Denker des wissenschaftlichen Sozialismus, lassen uns vieles begreifen, wenn wir sie nicht als Dogmen sondern im kritischen und dialektischen Sinne verstehen und anwenden. Sie bilden sozusagen unseren Kompass, ohne den die Interpretation der Aktualität schwieriger und verworrener wird.
Welche ist zurzeit die grösste Herausforderung der Partei und der radikalen Linken in der Schweiz?
Ich glaube, dass die grösste Herausforderung das Zusammenführen der verschiedenen Kräfte, sprich die Bildung einer breiten Bewegung mit einem gemeinsamen Ziel ist. Dabei geht es um den Kampf gegen die bürgerliche Politik. Diese versucht, sämtliche sozialen Errungenschaften, die in jahrzehntelangen Kämpfen erreicht wurden, wieder rückgängig zu machen – und zwar auf Kosten der ArbeiterInnen. Um diese breite Bewegung aufzubauen, gibt es keine Abkürzungen, wie einige es uns glaub- und schmackhaft machen wollen. Es braucht Geduld, gegenseitigen Respekt und Anerkennung, guten Willen, keinen Missbrauch der Macht, Diskussionen und gemeinsame Arbeit. Zu behaupten, dass die Einheit der radikalen linken Kräften dringend notwendig ist, gleichzeitig aber neue Bewegungen gründen, welche die bestehenden Organisationen spalten und dadurch schwächen, ist widersprüchlich und wenig glaubhaft.
Wenn dich ein Jugendlicher fragt, warum er in unsere Partei eintreten soll, was antwortest du ihm?
Die Jugendlichen sind zum Glück sehr pragmatisch und wägen daher das Pro und Contra nicht ständig ab. Sie kommen in eine Partei wie die unsere, weil sie die Welt verändern wollen und wissen, dass wir dies auch wollen. Sie wissen, dass wir anders sind als eine Regierungspartei wie die Sozialdemokratische, die zu oft zu Kompromissen mit den bürgerlichen Parteien bereit ist. Die Jugendlichen von heute stehen viel weniger unter dem antikommunistischen Einfluss des Kalten Krieges, die uns KommunistInnen als antidemokratisch und FreiheitsräuberInnen abstempelte. Diese Art von Propaganda besteht zwar noch, sie ist zum Glück aber viel weniger effektiv. Mich hat noch nie ein Jugendlicher nach dem Grund gefragt, warum er in unsere Partei eintreten soll und es gab in letzter Zeit viele Jugendliche, die in den verschiedenen Sektionen der Partei eingetreten sind. Diese jungen AktivistInnen haben im Tessin und im Kanton Bern die «Kommunistische Jugend» gegründet und haben den festen Willen, bis Ende Jahr die «Kommunistische Jugend Schweiz» als Jugendorganisation der Partei zu gründen. Dies ist sehr ermutigend und lässt für die Zukunft gut hoffen.
Die PdA hat eine Kampagne gegen den Sozialabbau beschlossen. Was erwartest du konkret von dieser Initiative?
Der Sozialabbau ist ein zentrales Problem. Seit einigen Jahren ist es der offensichtliche Versuch, die sozialen Errungenschaften wieder abzubauen. Dieses Vorhaben der Bürgerlichen hat sich mit der Krise deutlich verschärft. Die Bourgeoisie will das Rad der Geschichte zurückdrehen. Zuerst wurde eine Reihe von Privatisierungen im service public durchgeführt. Dann wurden Steuererleichterungen für die Reichen durchgesetzt mit der Ausrede, dass dies der Wirtschaft und somit uns allen dienen würde.
Aber natürlich nützte dies nicht allen gleich viel: Es führte dazu, dass wenige Reiche noch reicher und viele dafür noch ärmer wurden. Die Kluft zwischen jenen, die ein Herrenleben führen und jene, die nur mit Mühe bis ans Monatsende kommen, ist grösser geworden. Danach hat die bürgerliche Politik die Löhne praktisch blockiert. Dies mit der Begründung, dass es die einzige Möglichkeit sei, um im internationalen Konkurrenzkampf bestehen zu können. Weiter wurden die Aufgaben des Staates neu definiert, was zu einem Abbau der Leistungen führte.
Unsere Kampagne soll eine breite Diskussion mit möglichst vielen Menschen ermöglichen. Dabei sollen die Mechanismen und Hintergründe aufgezeigt werden, die von den Bürgerlichen – insbesondere von der SVP – benutzt werden, um den Sozialabbau voranzutreiben. So wird in wirtschaftlich guten Zeiten behauptet, dass die Sozialleistungen überflüssig sind und das Wachstum der Wirtschaft verhindern. In Krisenzeiten wird dann behauptet, dass die Sozialversicherungen wie die AHV, IV und ALV hoch verschuldet sind und daher saniert werden müssen. Dabei ist das «Rezept» der Bürgerlichen, das sie vorschlagen immer das gleiche und heisst Abbau der Leistungen, Zerschlagung des Sozialstaates.
Unsere Aufgabe ist jedoch viel schwieriger: Es reicht nicht diese Mechanismen zu denunzieren. Wir müssen gleichzeitig unsere mittelfristigen Forderungen, aber auch unsere «Utopie» aufzeigen. Wir müssen den Mut haben, wieder über Sozialismus und Kommunismus zu reden. Und zwar als Ziele, die es zu erreichen gilt. Denn – vielleicht heute mehr denn je – trifft die Aussage «Sozialismus oder Barbarei» den Kern der Wahrheit. Die Barbareien haben wir täglich vor den Augen. Daher müssen wir für den Sozialismus kämpfen.