Kommentar: Vom Verständnis

Der Nazi-Aufmarsch in Dresden konnte aufgehalten werden, doch kann man sich kaum darüber freuen. Die Polizei zog am Samstag alle Register ihrer Machtmittel: Schlagstock und Pfefferspray nehmen sich noch harmlos aus neben verschossenen „Pepperballs“ und Wasserwerfern. Das Traurige daran ist, dass diese Waffen nicht gegen Nazis, wohl aber gegen Antifaschisten gerichtet wurden. Da zeigt sich, dass man nichts begriffen hat. Man schiesst, man schlägt auf die, die die Demokratie gegen ihre Feinde verteidigen. Geschützt werden die wahren Verbrecher dieser Tage und man macht sich willentlich zum Helfer einer unmenschlichen Ideologie. Dabei ist es egal, ob es kruder Befehlsgehorsam ist, oder doch nur ein persönlicher Wunsch nach Gewalt, der die Polizisten am Samstag antrieb. Gezeigt hat sich, dass es heute nicht nur den Faschismus der extrem Rechten gibt, sondern auch den Faschismus aus der Mitte der Gesellschaft – jenen Faschismus, der sich darin ausdrückt, dass man auf friedliche Demonstranten schlägt. Und auch der Presse darf gesagt werden, dass sie es nicht Verstand, die Wahrheit ans Licht zu bringen. Weshalb finden wir kein Wort über die ungerechtfertigte Gewaltanwendung der Polizei? Weshalb kein Wort von den verletzten Demonstranten der Blockaden? Dafür lange Berichte über eine Minderheit aus Autonomen. Dafür ein verzerrtes Bild des Geschehens, dafür eine weitere Hetze gegen Linke.

Wir aber – wir haben verstanden. Wir konnten den Zweck der Polizei sehen und spüren. Es gab keine strategische Notwendigkeit, auf Gewalt zurückzugreifen; vermutlich gab es nicht einmal eine rechtliche Grundlage. Und doch erfüllt die Brutalität ihren Zweck – wir sehen es jetzt deutlich. Fernab vom konkreten Geschehen dient sie der Abschreckung. Es soll keine Solidarität mit der Linken geben, keinen Zulauf denen, die sich noch für Menschlichkeit einsetzen. Wieso waren kaum ältere Personen auf den Blockaden? Weil absehbar war, dass man in Gewalt verwickelt werden würde. Wieso denkt die Mehrheit schlecht über die Linken? Weil „Chaoten und Gewaltbereite“ alles ist, was man in den Medien über sie hört. So ergibt sich ein erstaunliches Zusammenspiel von Polizeieinsatz und Zeitungsbericht. Ob das nun geplant ist oder sich zufällig ergibt, ist egal – es erfüllt seinen Zweck. Wir aber dürfen sagen: Wir haben es verstanden. Wir werden darauf eine Antwort finden.

Dresden gerettet!

„Europas grösster Nazi-Aufmarsch“ verwandelte sich am Samstag in „des Nazis grösste Schlappe“. Die rund 2.000 Rechtsextremen wurden von 20.000 Gegendemonstranten erwartet und am Bahnhof festgehalten. Schliesslich mussten die Nazis unverrichteter Dinge abziehen. Dabei schwankte Dresden zwischen friedlichen Protesten, Barrikadenbau und Polizeigewalt.

Vom effektiven Widerstand

Schon im letzten Jahr war es gelungen, den Nazi-Aufmarsch durch Dresden zu verhindern. Mit diesem Erfolg im Rücken rief das Aktionsbündnis „Dresden Nazifrei“ wiederum zu friedlichen Massenprotesten und Blockaden auf. Zwischen 12.000 und 20.000 Demonstranten kamen daraufhin nach Dresden und vereitelten – ein weiteres Mal! – den Aufmarsch der Neo-Faschisten. Schon relativ früh konnte ein erster Erfolg gefeiert werden: Während im letzten Jahr noch ca. 8.000 Nazis anreisten, kamen dieses Jahr nurmehr 2.000. Offenbar hatte die Blockade des letzten Jahres den Nazis die Lust geraubt, sich bei Kälte die Füsse plattzustehen.

Allerdings hatten sich die Bedingungen auch für die Antifaschisten im Vergleich zum letzten Jahr verschlechtert: Die Polizei hatte den Auftrag, eine strikte Trennung von Faschisten und Antifaschisten durchzusetzen. Geplant war es, die beiden Gruppen auf je einer Seite der Elbe zu halten. Es war allerdings schnell klar, dass der Plan zum Scheitern verurteilt war: Bereits am Vormittag gelang es den Antifaschisten auf die Südseite der Elbe zu kommen und dort die Marschroute der Nazis zu besetzen. Durch mehrere Blockadepunkte konnte so die Demonstration der Nazis verhindert werden. Wohlgemerkt: Es ist dieser Widerstand allein, der es vermochte, die Nazis aufzuhalten. Von bürgerlicher Seite war eine „Lichterkette“ veranstaltet worden; eine Form des Protests, die durch ihre Nutzlosigkeit besticht, da sie die Nazis an ihrem Vorhaben nicht hat hindern können.

Ein Wort über die Demonstranten: Es lässt sich eine relative Homogenität der Demonstrierenden feststellen. Die überwältigende Mehrheit der Demonstranten war unter 30 und ist im linken Spektrum einzuordnen. Antifa-Anhänger, einige Gewerkschaftler, Mitglieder der DKP und MLPD, Linksautonome und Jung-Grüne sowie Jusos bestimmten das Bild der Blockaden. Es waren auch Vertreter etablierter Parteien anwesend : am zahlreichsten wohl die der deutschen „Linken“, daneben einige wenige Grüne und SPD-Mitglieder. Bemerkenswert ist, dass nicht nur aus ganz Deutschland, sondern auch aus Chile (!), der Türkei und anderen, europäischen Ländern Antifaschisten angereist sind. Aus der Schweiz kam eine Delegation des „revolutionären Aufbaus“ und der PdA, um ihrem Protest Ausdruck zu verleihen.

Polizeigewalt

In der bürgerlichen Presse wird das Bild von den „randalierenden Autonomen“ suggeriert. Doch dieses Bild ist unvollständig und irreführend. Es muss ergänzt werden um die Gewalt, die von Seiten der Polizei gegenüber den friedlichen Demonstranten verübt wurde. Schon vor Beginn der Blockaden wurde Repression angewandt: Hunderte von Demonstranten wurden auf der Autobahnzufahr nach Dresden gezwungen, ihre Busse zu verlassen und bei Schnee und Minustemperaturen zu Fuss zu gehen. Allein diese Wanderung dauerte bereits zwei Stunden und witterungsbedingt kam es auch zu einem Unfall, der von Sanitätern behandelt werden musste. Geradezu zynisch ist allerdings die Reaktion der Polizei auf den aufgezwungenen Marsch: Er wurde als unbewilligte Demonstration gewertet und dementsprechend wurden die Marschierenden von der Polizei in Dresden eingekesselt. Ein Wasserwerfer fuhr auf und man machte grosszügigen Gebrauch von Pfefferspray und Schlagstock. Es sei hier angemerkt, dass sich kein Demonstrant wehrte, dass keine Provokation von den Demonstranten ausging, dass es aber dennoch zu Verhaftungen und Verletzten kam!

Diese ungerechtfertigte Gewalt der Polizei gegenüber den Demonstrierenden setzte sich auch an den Blockadepunkten fort. Einerseits wurde der Zugang zu den Punkten von der Polizei abgeriegelt – wer hindurch wollte wurde (der Autor dieser Zeilen durfte es selbst erfahren) wüst beschimpft, geschubst oder geschlagen. Andererseits tat die Polizei ihr Menschenmögliches, um die Blockierenden zu drangsalieren. Wer nicht sass, durfte damit rechnen, herausgezerrt zu werden. Menschen, die einfach nur herumstanden, wurden mit Pfefferspray und dem Schlagstock bearbeitet. Dergestalt sind die, die sich als „Freund und Helfer“ des Volkes ausgeben!

Berichte von anderen Blockadepunkten sprechen eine ähnliche Sprache: Gewaltsame Auflösung, Einsatz von Gummiknüppel und Tränengas. Möglich wurde diese Gewalt durch ein riesiges Polizeiaufkommen. Gezählt wurden sieben Polizeihubschrauber, mehrere Dutzend Wagen und Transporter – es sollen bis zu 4.500 Polizisten im Einsatz gewesen sein. (Man beachte: 4.500 Polizisten auf 2.000 Nazis!) Halten wir an dieser Stelle also fest, dass die absolute Mehrheit der Demonstranten friedlich war, dass es aber auch für sie keine friedliche Demonstration geben konnte: Die Polizei machte dies schier unmöglich. Ihre Gewalt provozierte, ohne provoziert worden zu sein. Umso erstaunlicher also die Friedfertigkeit der meisten Demonstranten; umso erstaunlicher ihr Beharren auf den Blockaden.

Selbstkritik

Hier soll nicht ein weiteres verzerrtes Bild entstehen, denn gesagt werden muss auch, dass es am Samstag auch Gewalt gab, die nicht von der Polizei ausging. Aus zwei Quellen kam sie: Teile der Nazis randalierten in einem Vorort von Dresden, schlugen dabei Fenster ein, warfen Flaschen und skandierten Slogans wie „Wir töten euch alle!“. Erstaunlich aber ist, dass dies von der Polizei beobachtet wurde und dennoch ungestraft blieb.

Auf der anderen Seite gab es Aktionen von linken Autonomen. Barrikaden wurden errichtet und angezündet, Steine wurden geworfen und ein Brand in einer alten Fabrikanlage gelegt. Diese Aktionen müssen thematisiert werden. Sie erscheinen deplatziert: Am Samstag waren sie sowohl taktisch wie auch politisch falsch. Taktisch, weil Barrikaden an Stellen errichtet wurden, die nicht von den Nazis durchquert werden sollten und auch der Fabrikbrand nützte wirklich niemandem. Politisch waren die Aktionen falsch, weil sie den brüchigen Frieden zwischen parlamentarischen Parteien (Linke, Grüne) und den Demonstranten gefährden, der nötig war und ist, um die Aktionen gegen Nazis zu koordinieren. Ausserdem lieferten diese Gewaltakte der bürgerlichen Presse die Chance, nicht nur den Nazi-Aufmarsch zu kritisieren, sondern auch Stimmung gegen Linke zu betreiben. Gewalt in dieser Form muss, wenn sie angewandt wird, gut überlegt sein – am Samstag war sie es nicht.

Ein Fazit

Was vom Samstag bleibt, ist ein zwiespältiges Bild von Polizei und Berichterstattung. Darüber darf aber eines nicht vergessen werden: Die Nazis konnten nicht aufmarschieren, sie durften in Schnee und Kälte stundenlang stehen und es bleibt zu hoffen, dass dies ihr letzter Aufmarschversuch in Dresden war. Man muss es so sagen: Dresden wurde gerettet! Gerettet von linken Antifaschisten mit Gewissen, nicht von Bürgerlichen mit Lichterketten.

1 Jahr «Aktion Freiraum»

Am 1. Dezember 2007 verhaftete die Luzerner Polizei über 200 Jugendliche, die friedlich für eine alternative Kulturpolitik demonstrierten. Aus diesem Anlass erinnert die «Aktion Freiraum» in einem Communiqué an die damaligen Ereignisse. Und ruft gleichzeitig auf, nach Vorne zu schauen. Hier das Communiqué.

Vor einem Jahr rückte sich die Luzerner Polizei und die Stadt Luzern in ein sehr schlechtes Licht. Die Meinungsäusserungsfreiheit wurde mit Polizeigewalt unterbunden, 245 friedliche Jugendliche stundenlang unter unwürdigen Umständen im Sonnenberg eingesperrt. Vorwürfen seitens der Verhafteten wurde bis heute nicht nachgegangen. Die Polizei, wie auch die Politik stellten sich gegen eine externe Untersuchung. Dies sind bedenkliche Tatsachen, aber sie liegen in der Vergangenheit und wir kämpfen für die Zukunft.

Obwohl der 1. Dezember in den Medien bei all unseren Aktionen erwähnt wird, spielt er innerhalb der Aktion Freiraum keine grosse Rolle mehr. Für uns steht nach wie vor unser Anliegen im Zentrum: Wir engagieren uns für alternativ-kulturelle Freiräume in der Stadt Luzern, wie sie die Boa teilweise geboten hat. Dafür kämpfen wir nun seit einem vollen Jahr und werden auch weiter kämpfen. Unsere Hoffnungen beruhen im Moment auf Gesprächen, welche wir mit der Stadt Luzern führen. Dass sich diese hinziehen liegt in der Natur der Sache. Räume sind in Luzern ein knappes Gut und es zeigt sich, dass deren massive Kommerzialisierung voranschreitet, was die Verdrängung von Alternativkultur, aber auch ganzer Bevölkerungsgruppen zur Folge hat.

Wir werden uns in den nächsten Monaten um die Lösung unseres Raumproblems bemühen und hoffen da auf eine gute Zusammenarbeit mit der Stadt Luzern. Die Aktion Freiraum tut alles dafür, dass diese Verhandlungen weiterhin ernsthaft geführt werden und eine schnellstmögliche Lösung angestrebt wird. Die selbe Haltung erwarten wir auch vom Luzerner Stadtrat. Wir glauben an diesen Lösungsansatz und es freut uns, dass sich auch eine beachtliche Mehrheit des Grossen Stadtrates zu diesem Weg bekannte.

Quelle: Aktion Freiraum (www.aktionfreiraum.ch)