Ausschaffung trotz Todesgefahr
Elf ganze Jahre lebt Diyara bereits in der Schweiz. Ein Drittel seines Lebens hat er hier verbracht. Diyara hat sich ein neues Leben in der Schweiz aufgebaut. Er lebt allein in einer kleinen Wohnung, die er selbst finanziert. Denn Diyara arbeitet in einem der grossen Hotels Zürich, zusammen mit 150 anderen KollegInnen. «Sie haben mich in der Zeit alle unterstützt. Viele sind Freunde geworden.» Diyara spricht gutes Deutsch, nicht akzentfrei und nicht ganz ungebrochen, aber man versteht ihn sehr genau.
Flucht aus dem Irak
Wenn man aber nun mit ihm spricht, dann versteht man vor allem eines: Diyara hat Angst. Dabei ist er bestens integriert. Freundeskreis, Spracherwerb, Arbeit. Darüber hinaus engagiert sich Diyara politisch, denn er ist Mitglied der IFIR, der «International Federation of Iranian Refugees», einer Organisation, die sich der Verteidigung von Flüchtlings- und Menschenrechten verschrieben hat. Diyara lebt nicht nur für sich. Ihm ist die Solidarität mit anderen, denen es ähnlich geht wie ihm, wichtig. Denn er kennt die unmenschlichen Zustände und das Gefühl, verfolgt und gehetzt zu werden. «Im Irak hatte ich Probleme mit radikalen Islamisten. Ich habe mit ihnen zusammen studiert, diese Leute kennen mich.» Und sie jagen ihn, denn wenn Diyara etwas nicht ist, dann Islamist. Das ging so weit, dass Diyara sich nicht mehr auf der Strasse zeigen konnte. «Das eine Mal ging ich mit meiner Verlobten durch die Stadt. Wir waren achtlos. Und als sie uns gesehen haben, haben sie nicht nur mich, sondern auch meine Freundin verprügelt. Das andere Mal hatten wir einfach Glück. Ich habe noch gesehen, wie ein Auto angefahren kam. Als Männer ausstiegen mit Kalaschnikows, sind meine Freundin und ich weggerannt ? und sie haben auf uns geschossen.».
Das sind Zustände, die für Diyara real sind. Für das Migrationsamt gilt das als «nicht glaubwürdig». «Ich habe dann mehr als einen Monat nicht mehr das Haus meiner Eltern verlassen. Und dann bin ich geflüchtet.» Aber so eine Flucht ist teuer, Diyaras ganze Familie musste ihm helfen, ein Onkel musste seinen Laden verkaufen. Und so eine Flucht ist gefährlich, sie dauert lange, sie lässt sich nur mit der Hilfe von Menschenschleppern organisieren. Über den Iran ging die Reise für Diyara, bis er schliesslich in der Schweiz ankam. «Ich konnte es niemandem sagen. Meine Familie wusste es, und meine Verlobte wusste es auch. Aber all meine Freunde und Bekannten musste ich zurücklassen, ich durfte ihnen nichts sagen. Es war zu gefährlich.» Seine Verlobte hat er da zum letzten Mal gesehen. Später floh auch sie nach Syrien. «Für eine kurze Zeit hatten wir noch Kontakt. Aber dann auf einmal nicht mehr. Ich weiss nicht, was aus ihr geworden ist.» Es ist ein ganzes Leben, dass Diyara aufgeben musste, um zu überleben. Und Diyara weiss, dass es im Irak nicht besser geworden ist. «Diese Leute sind immer noch da. Und sie kennen mich. Und auch im Irak ist nichts besser geworden. Meine Familie erzählt es mir immer wieder, es ist durch den Krieg dort alles nur noch schlimmer geworden. Nichts hat sich gebessert.»
Verhaftet und entwürdigt
In der Schweiz angekommen, bemühte sich Diyara um Asyl. Und er erhielt die F-Aufenthaltsbewilligung. An sein altes Leben konnte er dennoch nicht anknüpfen. Im Irak war er Student und hatte drei Jahre lang als Bauingenieur studiert. Nur ein Jahr fehlte ihm bis zum Abschluss. In der Schweiz verweigerte man ihm die Fortführung seines Studiums. So begann er, in einem Hotel zu arbeiten. Vermutlich würde Diyara mit diesem Leben glücklich werden, aber man lässt ihn nicht. 2007 entzog man ihm die Aufenthaltsbewilligung und kündigte seine Ausschaffung an. Er legte Rekurs ein, vor vier Monaten wurde dieser abgelehnt. Und vor zwei Wochen holte man ihn. «Ich war am arbeiten, da kamen die Polizisten ins Hotel. Sie legten mir Handschellen an und führten mich vor allen Leuten und Arbeitskollegen ab.» Eine Demütigung: «Sie müssen doch glauben, ich sei ein Verbrecher. Dabei habe ich einfach keine Papiere.» Von der Arbeit brachte man Diyara zuerst auf eine Polizeistation, dann in das «provisorische» Gefängnis am Kasernenareal. Dabei handelte die Polizei unverantwortlich. «Ich bin krank und habe Schmerzen. Ich habe eine Prostataentzündung und muss regelmässig Medikamente nehmen.» Medikamente, die man Diyara nicht mehr ausreichend zur Verfügung stellt. Die Entzündung flackerte innerhalb von nur zwei Tagen wieder auf, sein Zustand verschlechterte sich rapide, bis man ihn schliesslich ins Unispital einweisen lassen musste. «Die Ärzte sagen, dass ich eine weiche Fläche brauche. Im Gefängnis gab es nur einen harten Holzstuhl, man hatte nicht mal eine Decke über den Tag und es war kalt.» Indem die Polizei allerdings fahrlässig die Gesundheit von Diyara riskierte, sorgten sie immerhin dafür, dass er aus der Haft kam. Man entliess Diyara anfangs November aus dem Krankenhaus. Er durfte gehen, aber er muss – auch dank der Polizei – noch mindestens weitere vier Wochen Medikamente einnehmen.
Momentan ist Diyara frei. Er arbeitet wieder. An ein irgendwie normales Leben ist aber nicht zu denken. Man hat ihm seine Hausschlüssel weggenommen, er muss also bei einem Freund unterkommen. Noch dazu verfolgt ihn die Angst. «Natürlich habe ich Angst. Es geht mir schlecht, ich habe Schmerzen. Ich habe Angst, dass ich wieder ins Gefängnis komme und dass sie mich in den Irak schicken.» Auf die Frage, was dort mit ihm wohl passieren würde, gibt Diyara eine lapidare Antwort: «Sie würden mich zu Tode jagen.» Es gibt nur Unverständnis, auch Diyara kann es nicht verstehen. «Dabei bin ich doch kein Verbrecher. Ich habe nie etwas getan.»