Razzien in Berlin

Am 27. Oktober haben Beamte der Berliner Staatschutzbehörde um 11:15 Uhr die Schwarze-Risse-Buchläden im Mehringhof und in der Kastanienallee, den Buchladen «oh21» und den Infoladen «M99» durchsucht – zum sechsten Mal in diesem Jahr! Die Beamten präsentierten wechselnde Begründungen: mal geht es um die Beschlagnahmung
der linken Szenezeitschrift «Interim», mal um ein antimilitaristisches Flugblatt, mal um die Unschädlichmachung eines
Aufrufs für Demonstrationen gegen die Einheitsfeiern in Bremen.
Dieses Mal ging es wieder um die Zeitschrift «Interim». Im Buchladen im Mehringhof strebte die Polizei zudem an, ein weiteres Verfahren wegen Plakaten zu eröffnen, die zur Beteiligung am Protest gegen den kommenden Castortransport im Rahmen der Kampagne «Castor Schottern» aufrufen. Über diesen Antrag auf Erteilung eines weiteren Durchsuchungsbeschlusses wurde jedoch von der Berliner Staatsanwaltschaft offenbar erst einmal negativ beschieden.
Die Polizei wurde jedoch von der Staatsanwaltschaft angewiesen, die Plakate zu fotografieren.

Begründet werden die Durchsuchungen der Buchläden mit § 130a StGB («Anleiten zu Straftaten») in Verbindung mit §
40 WaffenG («Verbotene Waffen inklusive des Verbots, solche herzustellen oder zu ihrer Herstellung aufzufordern»). Bisher ging die Rechtsprechung davon aus, dass die Händler nicht den Inhalt der Bücher und Zeitschriften in ihrem Sortiment kontrollieren müssen. Laut Rechtsanwalt Sven Lindemann, der den Buchladen Schwarze Risse vertritt, versucht die Staatsanwaltschaft nun, die gängige Rechtsprechung zu revidieren. Buchhändler sollen also zukünftig für die Inhalte der Schriften haftbar gemacht werden, die sie vertreiben! Damit würden die Möglichkeiten legaler und radikaler Opposition massiv eingeschränkt: Was ist eine «Aufforderung» und was eine «Anleitung zu Straftaten»? Macht sich jemand strafbar, der dazu aufruft, einen Nazi-Aufmarsch zu blockieren? Gegen einen Castor-Transport zu
demonstrieren? Einen Bauplatz zu besetzen, um ein Projekt wie Stuttgart 21 zu verhindern? Die Berliner Staatsanwaltschaft erklärt damit nicht nur Widerstandsformen der ausserparlamentarischen Opposition zum Verbrechen, sondern auch das Zugänglichmachen von Flugblätter und Zeitschriften, die dazu auffordern.
«Das Tagesgeschäft des Buchladens wird durch die Durchsuchungen massiv behindert, in der Vergangenheit wurden auch immer wieder die Computer beschlagnahmt.» Frieder Rörtgen, Geschäftsführer von Schwarze Risse, weiter: «Es handelt sich um eine politisch motivierte Kampagne der Staatsanwaltschaft. Die Buchläden sollen unter Druck gesetzt werden, damit sie als vorgeschaltete Zensurbehörde des Staates agieren.»

Spontane Proteste gegen Atomtransport

Am 29. September fand zwischen Lüneburg und Gorleben ein so genannter Castor-Probetransport statt. Sowohl der Betreiber der Atomanlagen als auch der Polizei misslang es, diesen Transport geheim zu halten.

Als der mit einer schwarzen Plane getarnte Behälter durch BeobachterInnen gemeldet wurde, kam es zwischen beiden Orten zu einer Handvoll spontaner Protest-Aktionen. Im Bereich Lüneburg kletterten zwei AktivistInnen der Lüneburger Initiative gegen Atomanlagen trotz einer Dauerbewachung durch zahlreichen Polizeibeamten auf die Eisenbahnbrücke über den Elbe-Seiten-Kanal und entrollten zwei Transparente mit der Aufschrift «Stop Castor» und «Klimaschädlich, Kriminell, Katastrophal / Krümmel, Gorleben, Asse».

Mir Ihrer Aktion wollten die Aktivisten die Öffentlichkeit auf diesen geheimen Transport aufmerksam machen sowie Zeichen gegen die Atompolitik setzen. Bei dem heutigen Castortransport handelte es sich um einen so genanten Probe-Transport, der für die Genehmigung neuer Behälter erforderlich ist. 2010 soll der nächste Castortansport nach Gorleben mit hochradioaktivem Müll durchgeführt werden. «Leere Behälter sind zukünftige volle Behälter», warnte die Lüneburger Aktivistin Cécile Lecomte, eine der beiden KletterInnen. «Auf die Gefahren der Atomindustrie wollen wir jederzeit hinweisen.»

Die Protestaktion dauerte trotz Dauerregens über drei Stunden. Noch vor Duchfahrt des Transportes kletterten inzwischen vor Ort eingetroffene Polizisten einer Sondereinheit auf die Brücke hoch, die protestierenden KletteraktivistInnen wurden anschließend mit Karabinern an den Kletter-Polizisten befestigt, der Zug fuhr dann noch unten durch. Die AtomkraftgegnerInnen wurden zum Schluß herunter geseilt und nach einer Personalienkontrolle – obwohl sie bereits auf der Brücke von den Beamten namentlich angesprochen wurden, da dies ist nicht ihre erste luftige Protest-Aktion gegen Atomtransporte war – wieder entlassen.

Die beiden KletteraktivistInnen zeigten sich sehr zufrieden mit ihrer Aktion. Lecomtes Fazit lautet : «Am 5. September gingen 50 000 auf der Strasse. Wir werden weiterhin Druck für den sofortigen Atomausstieg machen, mit zahlreichen fantasievollen Protestaktionen. Der Atomausstieg wird von der Strasse/Schiene kommen! Schwarz-Gelb wird diesen Widerstand auch zu spüren bekommen, die AktivistInnen setzen sich dafür ein, was eine große Mehrheit der Menschen in diesem Lande wollen: den Atomausstieg!!!»