Jetzt muss der Bundesrat!

Damit ist der Bundesrat nun verpflichtet, dieses drängende gesellschaftliche Problem zu lösen und eine grosse Ungerechtigkeit aus der Welt zu schaffen. Einige Zehntausend Kinder und Jugendliche ohne Aufenthaltsbewilligung leben in der Schweiz. Sie dürfen die Schule besuchen, haben Freunde und Freundinnen, Träume und Pläne wie andere Kinder auch – aber nach der obligatorischen Schulzeit werden sie plötzlich so behandelt, als würde es sie gar nicht geben. Insbesondere ist es ihnen nicht gestattet eine Lehre anzutreten, da Lehrbetriebe bislang keine Arbeitsbewilligungen für sie erhalten. Dieser Zustand ist skandalös. Es darf nicht sein, dass die Behörden auf diese Weise Kinder und Jugendliche aus unserer Gesellschaft ausschliessen. Die Schweiz hat die Kinderrechtskonvention der UNO unterzeichnet und verpflichtet sich somit, das Recht der Kinder auf Zugang zu Bildung zu garantieren.

Kleine Schanze besetzt – kollektive Regularisierung jetzt!

Was kann ich tun?

  • Vorbeikommen – am besten mit Schlafsack und Mättli und falls vorhanden Zelt! Das vorläufige Kultur- und Politprogramm findet sich unten.
  • Die Solidaritätserklärung unterschreiben
  • Spenden: Bleiberecht für alle, PC 85-389307-8. Auch Materialspenden – z.B. Decken oder Schlafsäcke – sind sehr willkommen!

Kollektive Regularisierung jetzt! Der Kampf geht weiter.

Erklärung der Schweizer Bleiberecht-Kollektive zur Besetzung der kleinen Schanze, 26. Juni 2010

Wir, Menschen aus der ganzen Schweiz mit und ohne Aufenthaltsbewilligung, haben heute die kleine Schanze in Bern besetzt. Wir nehmen uns diesen öffentlichen Raum, weil wir die unmenschliche Schweizer Asyl- und Migrationspolitik nicht widerstandslos hinnehmen wollen.

Als abgewiesene Asylsuchende werden wir* über Jahre in teils unterirdischen „Notunterkünften“ eingepfercht , während uns mit dem Arbeitsverbot jede Perspektive genommen wird. Als Sans-Papiers verrichten wir – ohne rechtlichen Schutz und oft unter miserablen Bedingungen – unentbehrliche Arbeit in Schweizer Haushalten, Restaurants, Fabriken und Landwirtschaftsbetrieben. Jederzeit sind wir von der Ausschaffung bedroht. Und viele unserer Freundinnen und Freunde sind in den Auschaffungsgefängnissen eingesperrt, nur weil sie auf der Suche nach einem würdigen Leben in die Schweiz gekommen sind.  Mit der Besetzung der kleinen Schanze brechen wir das Schweigen über diese Zustände.

Wir verbinden unsere Aktion mit dem Aufruf an alle, die sich einen Funken Menschlichkeit bewahrt haben, mit uns gemeinsam für eine kollektive Regularisierung zu kämpfen. Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf fordern wir auf, endlich konkrete Schritte zur Regularisierung der Zehntausenden illegalisierten Migrantinnen und Migranten in der Schweiz unternehmen, statt sie zu einem Leben in Angst und Prekarität zu zwingen.

Migration ist in erster Linie die Folge eines globalen Wirtschaftssystems, das zu sozialer Ungleichheit, Armut, Abhängigkeit und Gewalt führt. Sie ist das Ergebnis einer profitorientierten und kurzsichtigen Politik von Regierungen, Unternehmen und internationalen Organisationen, die gerade auch von der Schweiz mitgetragen wird.

Menschen, die aufgrund dieser Umstände fliehen, werden durch die menschenfeindliche „Asylpolitik“ der Schweiz gleich doppelt bestraft. Migration ist ein legitimes Recht eines jeden Menschen, für das sich niemand zu entschuldigen braucht. Eine kollektive Regularisierung ist ein erster Schritt zur Entkriminalisierung von MigrantInnen.

In den nächsten Tagen werden im und um das Camp auf  der kleinen Schanze zahlreiche Aktionen, Veranstaltungen und Konzerte stattfinden. Wir laden alle solidarischen Menschen herzlich ein, sich an der Aktion zu beteiligen.

Kein Mensch ist illegal! Kollektive Regularisierung jetzt!

Die Bleiberecht-Kollektive der Schweiz

Weitere Info und Programm: www.bleiberecht.ch

Massive Diskriminierung für Kosovaren

In der Schweiz leben 170 000 Menschen aus dem Kosovo. Viele von ihnen arbeiten im Baugewerbe und in anderen Berufen, wo das Risiko, sich bei der Arbeit schwer zu verletzen, besonders hoch ist. Ohne Verhandlungen und ohne Voranmeldung hat nun der Bundesrat beschlossen, das Sozialversicherungsabkommen mit dem Kosovo nicht mehr zu erneuern und es per 1. April 2010 auslaufen zu lassen.


Soziale Härte

Die Kündigung des Abkommens bedeutet, dass diese Arbeitnehmenden nur noch in der Schweiz eine IV-Rente beziehen können. Wer zum Beispiel infolge eines Arbeitsunfalles eine körperliche oder geistige Behinderung erleidet, verwirkt seinen Rentenanspruch, wenn er zu seiner Familie im Kosovo zurückkehrt. Als Nicht-EU-Bürger müssen Kosovaren aber auch damit rechnen, dass ihre Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz im Falle eines solchen Unfalls nicht erneuert wird, weil die Rente nicht für die Deckung der Lebenskosten in der Schweiz ausreicht. Sie müssten dann die Schweiz verlassen und könnten keine Rente mehr beziehen. Das Sozialversicherungsabkommen regelt auch die Auszahlung von Kinderzulagen für Kinder im Ausland. Kinderzulagen für Kinder, die im Kosovo leben, würden damit ebenfalls nicht mehr ausbezahlt.

Der Bundesrat hält hierzu fest, dass die Betroffenen ihre einbezahlten AHV-Beiträge bei Ausreise zurückverlangen können. Gemäss Hilmi Gashi von der Gewerkschaft Unia ist das kein ausreichender Ersatz: «Was kriegt denn ein Vierzigjähriger, der einen Unfall hatte? Was konnte er sich in fünfzehn, zwanzig Jahren seines Arbeitslebens auf seinem AHV-Konto ersparen? Selbst wenn man das Geld aus der Pensionskasse hinzunimmt, kommt man auf einen mickrigen Betrag.» Für Gashi wird so das Prinzip der Sozialversicherungen untergraben: Alle Leute, die in der Schweiz in eine Sozialversicherung einzahlen, sollten die gleichen Rechte haben – egal, ob sie später in der Schweiz leben oder im Kosovo. Alles andere sei Diskriminierung.

Der Bundesrat begründet seinen Entscheid mit der Schwierigkeit, die Gesundheitssituation von im Kosovo lebenden Rentenbezügern im Ausland zu überprüfen. Angeblich wurden im Auftrag des Bundesamtes für Sozialversicherung tätige Sozialdetektive im Kosovo bedroht, als sie – ohne Wissen der kosovarischen Regierung – die Lebensumstände der 300 dort lebenden Menschen mit Schweizer IV-Rente abklären wollten. Erstaunlicherweise liegt dem kosovarischen Innenministerium jedoch keine einzige Anzeige eines Schweizer Sozialdetektivs wegen Bedrohung oder ähnlichem vor.

Kollektivbestrafung

Einzelne Fälle von «Sozialhilfemissbrauch», so sie denn überhaupt bestehen, können keinesfalls eine derartige massive Diskriminierung von Zehntausenden von kosovarischen Arbeitnehmenden, beziehungsweise Prämienzahlern, und ihrer Familien rechtfertigen. Einmal mehr greift der Schweizer Staat zu einer Kollektivbestrafung. – Unnötigerweise, wie Gashi festhält: «Wenn in einigen wenigen Fällen tatsächlich Schweizer Beamte im Kosovo bedroht wurden, hätte die Schweiz auch einfach bei den mutmasslichen Tätern eine Rentenrevision durchführen können.» Nun würden jedoch nicht irgendwelche Betrüger bestraft, sondern künftige Rentnerinnen und Rentner, die noch gar nichts verbrochen haben können. Das bedeute einen harten Einschnitt für viele Leute aus dem Kosovo.

Die Gewerkschaft Unia fordert den Bundesrat deshalb auf, unverzüglich ein neues Sozialversicherungsabkommen mit der kosovarischen Regierung auszuhandeln, das für diese technischen Fragen eine befriedigende Lösung vorsieht und gleichzeitig den Rechtsanspruch der Versicherten unabhängig von ihrem Wohnort respektiert. Bis ein neues Abkommen ausgehandelt und unterschrieben ist, soll das bestehende Abkommen weiter geführt werden, um unnötige Härtefälle zu vermeiden.

Aus dem vorwärts vom 19.Februar 2009

Die Situation von Asylsuchenden und MigrantInnen hat sich verschlechtert

Drei Jahre nach der Abstimmung über das verschärfte Asyl- und das neue Ausländergesetz haben die Beobachtungsstellen für Asyl- und Ausländerrecht in der Romandie, der Ostschweiz und im Tessin über 80 problematische Situationen dokumentiert.

In einer vor der Schweizerischen Beobachtungsstelle erstellten Übersicht wird deutlich, dass sich die Situation der Betroffenen in vielen Bereichen verschlechtert  hat. Im Bereich Asyl zeigen die dokumentierten Fälle die Schwierigkeiten, die entstehen, wenn auf Gesuche nicht eingetreten wird, weil die Asyl suchende Person nicht innerhalb von 48 Stunden Identitätspapiere vorlegen kann. Wie die Beobachtungen zeigen, wird – anders, als während der Asylgesetzrevision in Aussicht gestellt – von den Ausnahmeregelungen kaum Gebrauch gemacht.

Problematisch ist auch der Verweis von abgewiesenen Asylsuchenden bzw. Asylsuchenden mit Nichteintretensentscheid in die Nothilfe. Die knapp bemessene Nothilfe bringt die Betroffenen in eine Notlage – in manchen Fällen über Jahre hinweg – und führt nicht selten dazu, dass sie auf die Hilfe von Dritten angewiesen sind und sich damit in einer Bettelexistenz wiederfinden. Immer wieder führt die prekäre, unwürdige Nothilfe zu psychischen Erkrankungen der Betroffenen.

Für Asylsuchende, die seit fünf Jahren in der Schweiz sind, sowie für MigrantInnen ohne Aufenthaltsbewilligung ist seit dem neuen Gesetz die Erteilung einer Härtefallbewilligung möglich, wenn sie eine Reihe von Kriterien erfüllen. Dabei nutzen jedoch die Kantone ihren Ermessensspielraum sehr unterschiedlich, einige machen davon überhaupt keinen Gebrauch. Das Bundesamt für Migration (BFM) handhabt die Erteilung von Härtefallbewilligungen ebenfalls äusserst restriktiv. So müssen Betroffene in manchen Fällen nach jahrelangem Aufenthalt und Arbeit in der Schweiz und auch wenn die Kinder hier aufgewachsen und zur Schule gegangen sind, ausreisen, weil ihnen keine Härtefallbewilligung erteilt wird.

Die Schweiz verlassen müssen auch ausländische Familienväter oder -mütter, wenn die Lebensgemeinschaft aufgelöst wurde. Damit werden Familien auseinander gerissen. Auch verlieren immer wieder Frauen, die Opfer von häuslicher Gewalt sind und sich von ihrem gewalttätigen Partner getrennt haben, durch die Trennung ihre Aufenthaltsbewilligung – auch wenn gemäss dem Gesetz eine Härtefallbewilligung möglich wäre. Ebenfalls müssen immer wieder Schweizer Kinder die Schweiz verlassen, wenn die Aufenthaltsbewilligung ihrer ausländischen Mutter nicht verlängert wird.

Beobachtet wurde weiter, dass BeamtInnen die betroffenen AusländerInnen immer wieder unverhältnismässig behandeln, sei es wenn Polizisten Gewalt anwenden, Behörden die Betroffenen täuschen, Beamte immer neue Nachweise verlangen oder die eingereichten Unterlagen nicht würdigen.

Die verschiedenen Fälle und ihre Häufung zeigen, dass Handlungsbedarf auf politischer und zivilgesellschaftlicher Ebene dringlich ist. Es kann nicht im Sinne des Rechtsstaats sein, dass das Asyl- und das Ausländergesetz die von der Schweiz ratifizierten Konventionen missachten oder Asylsuchenden und MigrantInnen die in der Verfassung verbrieften Rechte nur selektiv zugestehen. Die regionalen und die schweizerischen Beobachtungsstelle werden weiterhin Fälle dokumentieren und sie Fachpersonen, PolitikerInnen und der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen.