Sterben an der Front
dom. Der Abnutzungskrieg in der Ukraine dauert an und fordert täglich seine Opfer. Während auf beiden Seiten fleissig mobilisiert wird, wollen rechte Kräfte in der Schweiz dafür sorgen, dass auch wirklich jeder wehrfähige Ukrainer an der Front steht – um für die «gute Sache» zu sterben, versteht sich.
In wenigen Monaten jährt sich der Ukraine-Krieg zum dritten Mal. Nach fast drei Jahren Abnutzungskrieg drängt sich mehr und mehr die Frage auf: Wie lange muss der Krieg noch andauern, bis sich die Kriegsparteien zu einer Verhandlungslösung durchringen? Währenddessen steigen auf beiden Seiten die Opferzahlen – doch woher kommen eigentlich die Soldaten, welche an die Front geschickt werden, um ihr Leben zu lassen?
Nordkorea und «verdeckte Mobilisierung»
Ende Oktober war plötzlich die Rede von nordkoreanischen Soldaten, die auf russischer Seite in den Krieg eingreifen sollen. Zumindest hatte Nato-Generalsekretär Mark Rutte behauptet, er hätte Beweise für den Aufenthalt nordkoreanischer Streitkräfte in Russland, womöglich für den späteren Einsatz in der Ukraine. Derweil rekrutiert der Kreml aber vor allem im eigenen Land. Im Zuge der traditionellen Herbsteinberufung werden rund 130000 Personen in den Wehrdienst einberufen, wie viele davon in den Ukraine-Krieg ziehen werden, ist noch ungewiss.
Wiederholt war in den vergangenen Monaten auch von «verdeckter Mobilisierung» die Rede – so zum Beispiel in der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung». So werden zum einen reguläre Soldaten rekrutiert, die sich vertraglich für eine festgelegte Zeit bei den Streitkräften verpflichten, zum anderen Soldaten für spezielle Freiwilligeneinheiten. Die Strategie der «verdeckten Mobilisierung» ziele darauf ab, das Potenzial für Proteste niedriger zu halten, als dies bei einer offiziellen Mobilmachung der Fall wäre. Da es sich formal um Freiwillige handelt, sei mit weniger Widerstand zu rechnen – auch wenn die Rekrutierung anscheinend oftmals mittels Täuschung, Zwang und Machtmissbrauch forciert wird.
Stockende Mobilisierung
Deutlich mehr Mühe mit der Mobilisierung bekundet derweil Selenskyj. Seit Monaten stockt die Rekrutierung neuer Soldaten. Gemäss einer Umfrage des «Internationalen Kiewer Instituts für Soziologie» sprachen sich im Februar 2024 72 Prozent der ukrainischen Bevölkerung dafür aus, dass sich die Ukraine neben militärischen Aktionen auch um diplomatische Lösungen für den Krieg bemühen sollte. Im US-amerikanischen «Institute for the Study of War» war von Waffen- und Personalmangel auf ukrainischer Seite zu lesen, während die russischen Truppen ihre Offensive vorantrieben.
«Wir wissen, dass die Menschen erlahmen, und wir hören es von den regionalen Gouverneuren und von den Menschen selbst», meinte Selnskyjs Stabschef Andriy Yermak gegenüber der US-amerikanischen Tageszeitung Politico: Um Verstärkung für die Armee zu gewinnen, reise man durchs Land und sage zu den Leuten: «Dein Name wird in den Geschichtsbüchern stehen».
Kindersoldaten
Es scheint, als wäre dieses Versprechen nicht verlockend genug, um eine neue Welle motivierter Soldaten an die Front zu treiben. So hat die Ukraine jüngst die Einberufungskriterien für ihre Armee nochmals verschärft. Bis zum 15.November soll es keine Zurückstellungen mehr geben, bisherige Fälle sollen auf «Unabkömmlichkeit» überprüft werden. Ziel ist es, zwei Drittel der rund 1,5 Millionen Männer, die bisher vom Wehrdienst befreit waren, im Krieg einzusetzen. Als «unabkömmlich» gelten etwa Arbeiter:innen in der Rüstungsindustrie, Beamte der Staatsanwaltschaften oder Mitarbeitende bei den staatlichen Medien.
In dieser angespannten Situation werden auch die politischen Statements zur Mobilisierungsfrage zunehmend verrückt. Wie die linke Tageszeitung «Junge Welt» berichtete, verlangte Dmitro Kortschinskij, Chef der Rechtspartei «Bratstwo», das Einberufungsalter auf 14 Jahre zu senken. Diese seien «durchaus in der Lage, ein Sturmgewehr zu bedienen». Dabei berief sich Kortschinskij auf «fortschrittliche afrikanische Staaten», wo Kinder bereits ab zwölf Jahren rekrutiert würden.
Sterben für die gute Sache
Obwohl sich also die Lage in der Ukraine verschärft und immer verzweifelter rekrutiert wird, wächst in der Schweiz der Druck auf die ukrainischen Flüchtlinge. Ein im Mai erlassenes Mobilisierungsgesetz der Ukraine verlangt, die Registrierung aller wehrpflichtigen Männer bei der Armee – auch wenn sie die Ukraine bereits verlassen haben. Davon sind auch rund 11000 Ukrainer in der Schweiz betroffen.
Für jemanden wie SVP-Asylchef Pascal Schmid, der noch weiss, wofür zu sterben sich lohnt, ist die Sache einfach: Die Schweiz müsse der Ukraine helfen, diese Männer zurückzuholen. Er betont, dass der Schutzstatus S «für Schutzbedürftige gedacht» sei. Das seien nach seinem Verständnis «Frauen und Kinder aus Kriegsgebieten», und sicherlich keine «wehrpflichtigen und fahnenflüchtigen Männer», die «einfach verschwinden, damit sie ihren Militärdienst nicht leisten müssen».