«Lieber Yves, wir vermissen dich!»

Alois Seger. Am Morgen des 5.Dezember 2019 wurde der 15-jährige Maurer-
lehrling Yves auf einer Baustelle in Dietikon von einem zwei Tonnen schweren Betonelement erschlagen. Der vorwärts war vor Ort, sprach mit Zeug*innen, Anwohner*innen und ehemaligen Arbeiter*innen der Unfallfirma.

Ein Zeuge berichtet vom tragischen Vorfall: «Das ist kein Unfall. Das ist eine Katastrophe! Ich habe früher selber auf dem Bau gearbeitet. Diese Firma, diese Baustelle, ist unmöglich. Ich kannte den Jungen. Ich kann es nicht akzeptieren.» Er zeigt uns den Ort auf der Baustelle: «Hier hat der Junge gearbeitet. Die Betonelemente standen dort. Sie wurden bei der Anlieferung senkrecht gelagert und nicht gesichert. Der Kran war zu schwach, darum wollten sie die Elemente mit einem Bagger versetzen.» Der Zeuge wie auch die Bauarbeiter gaben auf Anfrage des vorwärts an, dass es ich um einen grob fahrlässigen Planungsfehler oder um ein Risiko handelte, das bewusst in Kauf genommen wurde, um Geld zu sparen. Denn ein besserer Kran wäre teurer gewesen. Weiter erzählt der Zeuge mit aufgeregter Stimme: «Ich hörte einen lauten Knall. Dann rannte ich her, um zu sehen, was geschehen war. Als sie das Element heben konnten, lag der Junge da. Er war zusammengekauert. Ich dachte, er schläft. Aber er wachte nicht mehr auf. Ich kann es nicht verstehen. Warum? Er war doch so jung.»

Er hatte keine Chance
Über Umwege gelangte auch die Darstellung der Geschäftsführung zum vorwärts. Sie bestätigt, dass die Betonelemente zwischengelagert wurden, weil der Kran zu schwach war. Um die Elemente einzeln zu versetzen, lehnte ein Arbeiter eine Leiter an das erste Element an, um das Element am Bagger anzuhängen. Durch das Besteigen der Leiter kippte das erste Element, was zu einem Dominoeffekt führte. Das letzte Element begrub den armen Lehrling, der im Gefahrenbereich in einer Baugrube Arbeiten ausführte. Der Lehrling hatte keine Chance. Er habe das Element nicht kommen sehen und sei sofort tot gewesen. Er habe also nicht gelitten.
Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht auf den Baustellen. Die Bestürzung war unter den Bauarbeiter*innen gross. Auf Antrag von Mitgliedern der PdA, die im Bauhauptgewerbe arbeiten, begann am selben Abend eine Sitzung der Gewerkschaft Unia mit einer Schweigeminute.
Dem vorwärts liegen Berichte und Fotos vor, dass die Biffiger AG bereits in der Vergangenheit auf anderen Baustellen mehrmals grob gegen Sicherheitsvorschriften der SUVA verstossen hat. Diese Berichte werden durch Zeugenberichte aus dem Quartier bestätigt, da es offenbar bereits zwei Wochen vor dem Todesfall auf derselben Baustelle bereits zu einem Unfall kam, bei dem sich ein Arbeiter einen Arm einklemmte. Tragisch ist, dass beim tödlichen Unfall ein Lehrling im ersten Lehrjahr gestorben ist. Auszubildende sind aufgrund ihrer fehlenden Erfahrung eine sehr gefährdete Gruppe auf dem Bau und sollten speziell vor Gefahren geschützt werden. Doch:
Der Lehrling hielt sich im Gefahrenbereich auf, da es sich um einen unerfahrenen Lehrling handelt, hätten andere Mitarbeiter*innen und Vorgesetzte intervenieren müssen. Zudem sind die Vorgesetzten in der Pflicht, die Elemente kipp- und fallsicher zu lagern. Da die Elemente stehend und ungesichert gelagert wurden, handelt es sich um einen sehr schwereren Verstoss. Auf den Punkt gebracht: Angesichts der Darstellungen des tödlichen Unfalls sind gleich mehrere Bestimmungen der verbindlichen Bauarbeitenverordnung schlichtweg nicht eingehalten worden. Der 15-jährige Lehrling bezahlte diese gravierenden Missachtungen mit seinem Leben.

Mängel über Mängel
Aber nicht genug, denn beim Besuch der Baustelle fallen weitere Mängel auf: Die Bewehrungseisen der Bodenplattenelemente wurden senkrecht nach oben gebogen, ohne dass diese mit Schutzvorrichtungen abgedeckt wurden. Arbeiter, welche auf diese Eisen stürzen, können aufgespiesst und tödlich verletzt werden. Ebenfalls sind bereits kleine Teile der Baugrubenwand eingebrochen. Bei Arbeiten in der Nähe der Baugrubenwand, wie zum Beispiel das versetzen der Elemente vom tödlichen Unfall, können Arbeiter von der abstürzenden Erdmasse erschlagen oder lebendig begraben werden.Es ist als offensichtlich, dass der tödliche Unfall kein Zufall war. Er ist ein weiteres Opfer der tagtäglichen Profitsucht der Baufirmen. Aufgrund des Termindruckes und der extremen Konkurrenz auf dem Markt sind viele Firmen nicht nur bereit das Gesetz zu brechen, sondern auch das Leben der Arbeiter*innen aufs Spiel zu setzen. Die genaue Aufarbeitung des Unfalls obliegt nun der SUVA und der Polizei. Wir hoffen auf eine baldige Aufklärung dieser Tragödie.

Die Trauer ist gross
In einem Imbiss neben der Baustelle, in dem der Junge regelmässig ass, sprachen wir mit dem Inhaber. Der Unfall macht ihm sehr zu schaffen. «Komm setzt euch zu mir. Wollt ihr eine Stange? Ich offeriere.» Er erzählt uns, die Familie sei heute hier gewesen. Freunde seien auch gekommen, sie hätten gemeinsam Musik gemacht. Der Inhaber zeigte uns den Tisch, wo der Lehrling immer gesessen war. Gemeinsam mit dem Inhaber zündeten wir eine Kerze bei der Baustelle an. Es hat viele Blumen und zahlreiche Kerzen am Bauzaun. Freunde und Familie vom Jungen haben Briefe gebracht, Süsses, Zigaretten, Kaffee und einen Bauhelm. Ein sehr berührender Anblick für uns alle. Gemeinsam lesen wir den grossen Brief seines Grossvaters: «Lieber Yves, wir vermissen dich sehr. Du fehlst uns. Wir sind stolz auf dich!»

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