Kämpfe in der Krise
Mit dem Schwerpunkt «Gewerkschaften – Arbeitskämpfe – Widerstand» versucht der vorwärts, die aktuellen Klassenauseinandersetzungen in der Schweiz und anderswo zu beleuchten. Man muss die stattfindenden Kämpfe in ihrem globalen Rahmen betrachten und die Entwicklung der Krise mitdenken. Nur so kann man verstehen, was ihre Perspektive aber auch ihre Beschränkungen sind.
«Auf lange Sicht sind wir alle tot», kommentierte John Maynard Keynes die Erkenntnis, dass sich der Markt höchstens auf lange Sicht selber regulieren würde. Wie recht er mit diesem lakonischen Kommentar haben sollte, erschliesst sich einem erst, wenn man die Konsequenzen der Krisen zu Ende denkt und eben nicht wie Keynes von einer staatlichen Regulierung tagträumt. Die tiefgreifende Krise, mit der wir seit einigen Jahren konfrontiert sind, kann nur dann zeitweilig überwunden werden, wenn riesige aufgeblähte Kapitalwerte vernichtet werden, grosse Unternehmen bankrott gehen und das allgemeine Lohnniveau abgesenkt wird. Einen Vorgeschmack darauf, was das für die ArbeiterInnen bedeuten würde, gibt etwa die Verdoppelung der Selbstmordrate in Griechenland oder die Explosion der Zahl der von Lebensmittelmarken Abhängigen in den USA. In Angst vor den sozialen Konsequenzen eines solchen Kapital-Vernichtungs-Prozesses versuchen die metropolitanen Staaten mit immensen Rettungsschirmen der Krise Herr zu werden. Allerdings mit dem ernüchternden Resultat, dass die Wirtschaft sich nicht nachhaltig erholt, aber die Staatschulden ins Astronomische anwachsen.
Je nach Tageslage beschwören KommentatorInnen das Ende der Krise oder warnen aber vor falschen politischen Schritten. Täglich muss mit neuen Einbrüchen gerechnet werden. Der Schuldenschnitt Griechenlands etwa lässt Gläubiger zurück, die bloss noch die Hälfte des Werts ihrer Staatspapiere in Händen halten. PolitikerInnen sind bemüht, diesen Schritt als absoluten Ausnahmefall zu verkaufen, weil sonst die ohnehin wackeligen Staatspapiere der PIIGS-Staaten (Portugal, Irland, Italien, Griechenland, Spanien) ins Bodenlose stürzen würden.
Schwäche des Kapitals?
In der Schweiz verdrängt man erfolgreich, wie kurz man während der milliardenschweren UBS-Rettung vor einer Katastrophe stand. Und man beschönigt etwa einen kurzfristigen Rückgang der Arbeitslosenzahlen um 0,2 Prozent, ohne dem die zunehmende Kurzarbeit gegenüberzustellen. Zudem spricht das Rekordniveau von 1739 Firmenkonkursen im ersten Quartal 2012 eine deutliche Sprache. Die Schweiz steht mit einer Staatsschuld von etwa 33 Prozent des Bruttoinlandproduktes zwar noch verhältnismässig gut da und hat entsprechend noch einiges an Pulver zu verschiessen. Doch vor den genannten Fakten und der Tatsache, dass die Schweiz eben keine autarke Insel ist, erscheint das mediale Hochjubeln der wachsenden Schweizer Wirtschaft vor allem als Selbstvergewisserung, dass man schon irgendwie heil durch die Krise komme.
Man darf nun nicht den Fehler machen, die Verwertungsprobleme des Kapitals für seine Schwäche im Kampf mit den ArbeiterInnen zu halten. Genau in dem Moment, in dem die Nachfrage nach Arbeitskräften fällt, wird ihr Angebot durch Entlassungen vergrössert. Darum schwächen Krisen die Kampfkraft der ArbeiterInnen, die sich zudem häufig mit den Grenzen der Möglichkeiten des Kapitals für Zugeständnisse konfrontiert sehen.
Kämpfe am Abgrund
Vor diesem Hintergrund muss man die vergangenen Kämpfe in der Schweiz einschätzen. Aus Platzgründen kann hier nur ein Aspekt der Kämpfe der letzten Jahre beleuchtet werden: Der Kampf gegen Massenentlassungen und Betriebsschliessungen, wie wir sie in Zukunft wohl vermehrt beobachten werden. Als wegweisendes Beispiel steht der erfolgreiche Kampf der ArbeiterInnen des Cargo-Werkes in Bellinzona. Auch hier wusste man nicht im vornherein, ob die SBB es sich überhaupt leisten konnte, die defizitäre Werkstätte aufrechtzuerhalten. Doch mit einem entschlossenen und von der Belegschaft selber geleiteten Kampf konnten die ArbeiterInnen ihre Forderungen durchsetzen. Allerdings muss mitbedacht werden, dass die SBB als Staatsunternehmen grössere Spielräume hatte, als sie in der Privatwirtschaft üblich sind. Auch der Erfolg der Proteste bei Novartis in Nyon dürfte sich nicht unwesentlich daraus ergeben haben, dass der Staat Novartis massive Steuererleichterungen versprach.
Weit weniger rosig waren die Resultate der Proteste, die sich gegen Massenentlassungen und Betriebsschliessungen etwa bei der Kartonfabrik in Deisswil, der Papierfabrik in Biberist oder bei der Swissmetal in Dornach richteten. Hier legten die ArbeiterInnen – von wenigen selbstermächtigten Momenten abgesehen – ihre Geschicke in die Hände der Gewerkschaften und standen am Ende mit einem halbgaren Sozialplan da. Es ist eine wichtige Frage, ob diese Kämpfe eine reelle Erfolgsperspektive gehabt hätten, wenn sie selbständig und radikal geführt worden wären. Es lässt sich schlicht nicht sagen, welchen ökonomischen Horizont das Unternehmen oder auf einer höheren Ebene – aktuell etwa in Griechenland – der Staat noch hat. Häufig dürften die Spielräume tatsächlich verschwindend gering sein. Doch wenn man, wie das in der Vergangenheit leider häufig der Fall war, alleine auf die Gewerkschaften baut und diese bloss einen handzahmen Protest organisieren, dann gibt man auf, bevor man richtig zu kämpfen begonnen hat.
Man muss heute wohl einer unangenehmen Realität ins Auge blicken: In Zeiten der Krise gibt es innerhalb der Logik des Kapitals für viele Menschen keinen gangbaren Weg, der nicht massive Einschnitte in ihr Lebensniveau bedeuten würde. Und so hängen heute die Frage um das kärgliche Leben im Kapitalismus und die Frage nach einer ganz anderen Weise sich zu reproduzieren, eng zusammen. Häufig steht man faktisch wohl vor der Alternative, alles zu schlucken oder aber alles zu ändern.