Italiens Kriegserklärung
sit. Die italienische Regierung geht mit harter Hand gegen Menschen vor, die auf der Flucht sind. Unter anderem werden die Aufnahmezentren zu Militärstützpunkten umgebaut, die weit ab von bewohnten Zentren sein sollen. Die EU unterstützt den Krieg Italiens gegen die Migrant:innen.
Italiens faschistische Ministerpräsidentin Giorigia Meloni hat am 22.September die Tribüne der UNO-Vollversammlung dazu benutzt, den «globalen Krieg» gegen Menschenhändler:innen zu erklären. Wie verlogen, denn in Wirklichkeit ist es ein Krieg zur Abwehr der Migrant:innen, die vor Elend und Verfolgung in ihren Herkunftsländern und den Folterungen in den Flüchtlingslagern in Libyen oder Tunesien fliehen. Meloni rief andere Staaten dazu auf, sich an diesem «Krieg» zu beteiligen. Italien sei bereit, dabei an «vorderster Front» zu stehen.
Die halbe Welt?
Die Kriegserklärung ist die Antwort der italienischen Regierung auf die – wieder mal – dramatische Situation auf Lampedusa. Ab Ende August kamen täglich hunderte von Geflüchteten an auf der 22 Quadratkilometer kleinen Mittelmeerinsel mit knapp 6500 Einwohner:innen. Und so wurden einmal mehr die Folgen einer unmenschlichen Asylpolitik sichtbar: Die Geflüchteten übernachten auf den Strassen und müssen tagsüber an der glühenden Sonne ausharren, weil die Aufnahmezentren, Hotspots genannt, aus den Nähten platzen. «Ich habe seit gestern Morgen nichts mehr gegessen, im Hotspot werden wir wie Tiere gehalten, der Müll geht uns bis in die Rippen», sagt Alì, ein tunesischer Jugendlicher, der kommunistischen Tageszeitung il Manifesto. Die angespannte Lage drohte einige Male zu eskalieren. Dass sie es nicht tat, ist dem geduldigen Verhalten der Geflüchteten zu verdanken, die wenige Stunden zuvor ihr Leben bei der Überfahrt des Mittelmeers aufs Spiel gesetzt hatten.
Die ganze humanitäre Tragödie wurde von zahlreichen TV-Sendern live in die Stuben von Millionen von Italiener:innen gesendet. Dies fütterte bei vielen die diffuse Angst, dass «alle zu uns wollen». Oder wie es der aktuelle Transportminister und Vizepremier Matteo Salvini der rechtspopulistische Lega sagte: «Die halbe Welt will zu uns.» Die halbe Welt? Laut dem aktuellen Global Trends Report von UNHCR (Hoher Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen) befanden sich Ende 2022 weltweit 108,4 Millionen Menschen auf der Flucht. In den ersten acht Monaten des laufenden Jahrs sind 137000 Geflüchteten in Italien angekommen. Das sind zwar doppelt so viele wie im gesamten 2022, macht aber gerade mal 0,2 Prozent der Gesamtbevölkerung (58,8 Millionen) Italiens aus. Trotzdem ist in der italienischen Bevölkerung die Meinung weit verbreitet, dass eben «alle zu uns wollen». Es besteht kein Zweifel: Die rassistische, rechte Propaganda trägt ihre Früchte.
Traurig, aber wahr
Das Problem ist nicht die Zahl der Geflüchteten, sondern die Tatsache, dass die Situation auf Lampedusa weitgehend gewollt hausgemacht ist. So fehlt es an Erstaufnahmestellen, die von Salvini während seiner Zeit als Innenminister vom Juni 2018 bis September 2019 stark abgebaut worden sind. Und es fehlt am politischen Willen, den Weitertransport der Geflüchteten auf das italienische Festland effizient zu organisieren. Grund dafür ist, dass auch dort die Aufnahmestellen am Anschlag sind.
All dem liegt eine Politik zugrunde, welche die Ministerpräsidentin Meloni «Krieg» nennt. Mit dieser Rhetorik und der Hetze gegen sogenannte «illegale Migrant:innen» hat sie vor einem Jahr die Wahlen gewonnen und wurde zur Regierungschefin gekrönt. Mehr noch: Das von ihr angeführte Mitte-Rechtsbündnis regiert in 15 der 19 Regionen des Landes, ihre Partei Fratelli d’Italia ist landauf und landab in der Gesellschaft verankert und eine linke Opposition, die diesen Namen auch verdient, ist weit und breit nicht zu sehen – traurig, aber wahr.
Italien kann auf die EU zählen
Vor ihrem Auftritt an der UNO-Generalversammlung hatte sich Meloni die Unterstützung der Europäischen Union (EU) gesichert. Am 17.September folgte die EU-Präsidentin Ursula van der Leyen der Einladung Melonis nach Lampedusa. Beim gemeinsamen Treffen legte Meloni ein 10-Punkte-Programm vor, in dem von einer «möglichen neuen EU-Marinemission im Mittelmeer» die Rede ist. Ziel des Plans ist die schnellere Rückführung von Menschen, deren Asylanträge abgelehnt wurden.
Meloni stellte dabei klar, dass es bei der Mission nicht darum gehe, Such- und Rettungsaktionen durchzuführen, um die Zahl der Todesfälle auf See zu begrenzen. Vielmehr sei zu verhindern, dass alle aus Tunesien und Libyen ausreisende Migrant:innen Lampedusa erreichten, indem bereits «die Abfahrten der Boote» blockiert würden. Laut der Premierministerin hätten alle dieses Jahr in Italien angekommenen 127000 Geflüchtete «hinter Gittern landen müssen». Sie kündigte der EU-Präsidentin van der Leyen an, den 10-Punkte-Plan beim nächsten Europäischen Rat im Oktober vorzulegen. Van der Leyen hat den Forderungen Melonis grundsätzlich entsprochen. «Italien kann auf die EU zählen», sagte van der Leyen an der Pressekonferenz. Illegale Einwanderung sei eine «europäische Herausforderung, die eine europäische Antwort erfordert», wird die EU-Präsidentin in der staatlichen Nachrichtenagentur ANSA zitiert.
Rechtlich nicht zulässig
Mit dem Einverständnis der EU-Präsidentin in der Tasche verlor Meloni keine Zeit. Bereits am nächsten Tag beschloss die italienische Regierung, wie der Einsatz an «vorderster Front» aussehen soll. Danach werden die Zentren für Migrant:innen «zu Militärstützpunkten» ausgebaut, in denen die «Irregulären» bis zu 18 Monate lang festgehalten werden sollen, enthüllte il Manifesto. Die neuen Strukturen werden an Orten «mit sehr geringer Bevölkerungsdichte» errichtet und «leicht zu umzingeln und zu überwachen» sein, um kein «weiteres Unbehagen und keine Unsicherheit in italienischen Städten» zu schaffen. Die Aufnahmezentren werden zu «Stützpunkten für die Landesverteidigung», so die linke Zeitung weiter und sie kommt zum Schluss, dass Meloni das Land in ein «grosses Freiluftgefängnis»
verwandelt.
Laut il Manifesto hat die Richterin Silvia Albano am Zivilgericht von Rom die von Meloni angeordneten Inhaftierungen von Asylbewerber:innen, um sie «mit beschleunigten Verfahren an die Grenze zurückzubringen» als rechtlich «nicht zulässig» erklärt. Die Fälle «müssen individuell analysiert werden», eine Inhaftierung sei «nur das letzte Mittel», so Albano. Ein Freiheitsentzug müsse gerechtfertigt sein und so kurz wie möglich dauern. «Wenn eine Rückführung nicht möglich ist, muss die Person freigelassen werden. Wenn es keine Vereinbarungen mit dem Herkunftsland gibt, kann eine Inhaftierung gar nicht angeordnet werden», so die Expertin für Persönlichkeitsrechte und Einwanderung, die auch Mitglied des zentralen Lenkungsausschusses des italienischen Verbands der Richter:innen ist. Doch die Einwände der Magistratin kümmern weder Meloni noch van der Leyen: Italien zieht gegen die Migrant:innen in den Krieg – mit gütiger Unterstützung der EU.