Im Käfig der Ausbeutung

lmt. In Andelfingen kam es in einem Fall von Menschenhandel zu einem zynischen und nicht verhältnismässigen Urteil. Die Schweiz tut wenig, um die omnipräsenten Menschenrechtsverletzungen nachhaltig zu bekämpfen.

Ein Ehepaar lockte gezielt mehrere Frauen mit einem falschen Job-Angebot in die Schweiz. Hier erwartet sie anstelle der versprochenen Arbeit einen Albtraum: Mehrere Stunden täglich und die ganze Nacht wurden sie in einen Käfig eingesperrt. Den Rest der Zeit müssen sie Hausarbeiten für das Ehepaar erledigen – bis zu 17 Stunden täglich. Am Ende des Monats erhielten sie für diese Sklavenarbeit lächerliche 800 Franken. Ein klarer Fall von Menschenhandel. Das Ehepaar stand vor Gericht. Das Urteil ist ein Witz.

Klägliches Urteil
In einem abgekürzten Verfahren wurde der Mann zu einer Geldstrafe und einer teilbedingten Freiheitsstrafe von 36 Monaten verurteilt. Er muss nur vier Monate ins Gefängnis, obwohl er bereits einschlägig vorbestraft ist. Seine Frau wird vom Bezirksgericht in Andelfingen zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 16 Monaten verurteilt. Zudem erhält sie einen Landesverweis von fünf Jahren. Die Opfer erhalten eine Entschädigung von lediglich 16000 Franken. In Betracht dessen, dass die Opfer eine systematische Erniedrigung, folterähnliche Behandlung und Ausbeutung erfahren haben, ist es ein zynisches und sehr mildes Urteil.
Jahrelang mussten die Opfer mit den Strafverfolgungsbehörden kooperieren. Sie erzählten immer und immer wieder ihre Ausbeutungsgeschichte und mussten im Detail über die erfahrene Gewalt sprechen. «Die Beteiligung im Strafverfahren ist für viele Betroffene re-traumatisierend. Milde Urteile sind keine Gerechtigkeit – im Gegenteil: Der Rechtsstaat lässt die Opfer im Stich», hält die FIZ, Fachstelle Frauenhandel und Migration, in ihrer Medienmitteilung vom 26.September fest. Denn solche milden Urteile verhindern in keiner Weise künftigen Menschenhandel. Täter nutzen die prekäre Situation der Opfer aus, um ihnen beispielsweise keinen fairen Lohn zahlen zu müssen. Bei zu tiefen Entschädigungszahlungen «lohnt» sich die Tat für die Täter sogar finanziell – wie im hiesigen Urteil. Das sendet ein falsches Signal und entschädigt die Betroffenen nicht.

Schweizer Ruf täuscht
Ein gängiger Irrtum ist, dass Menschenhandel nur im Ausland passiert. Dabei ist die Schweiz täglich Schauplatz dieser Straftat und des Menschenrechtsverstosses. Auf der Suche nach einer Lebensperspektive, nach einem ausreichenden Einkommen für sich und ihre Familien, entscheiden sich immer wieder Menschen, aufgrund falscher Versprechungen ihr Herkunftsland zu verlassen. Meistens wird ihnen ein guter Lohn, eine Arbeitsbewilligung und die Rückerstattung der Reisekosten versprochen. Die Angebote wirken interessant und seriös. Auch das Zielland Schweiz ist vertrauenerweckend. Das Bild, das Westeuropa von sich im Ausland vermittelt, täuscht: Die Angeworbenen denken, Ausbeutung könne in Westeuropa oder gar in der Schweiz, welche der Demokratie und den Menschenrechten verpflichtet sind, nicht vorkommen. Hierzulande angekommen, erwartet sie statt dem ersehnten Arbeitsplatz Gewalt und Ausbeutung – in der Prostitution, aber auch in privaten Haushalten, im Baugewerbe, in der Gastronomie oder in anderen Branchen.
Das grösste Problem ist, dass Menschenhandel oft hinter geschlossenen Türen passiert und selten erkannt wird. Die Dunkelziffer fällt dadurch unmessbar hoch aus, und das Ausmass ist nicht fassbar. Von der offiziellen Schweiz wird zu wenig in die Bekämpfung von Menschenhandel und in die Opferhilfe investiert. So ist die Situation von Kanton zu Kanton unterschiedlich. Während in einigen Gebieten der Schweiz ein reges Hilfsangebot besteht, wird andernorts nur wenig unternommen.

Es muss mehr kommen
Massnahmen zur Bekämpfung und Bestrafung von Menschenhandel wurden in diversen internationalen Vereinbarungen festgehalten, welche auch die Schweiz ratifiziert hat. Somit ist sie verpflichtet, diesen Pflichten nachzukommen und die Rechte der Opfer zu schützen. Alle vier Jahre wird die Schweiz von Expert:innen des Europarats, kurz GRETA genannt, bezüglich der Umsetzung überprüft. Dabei schneidet die Eidgenossenschaft immer wieder nur mässig ab. Der Handlungsbedarf ist gross.
In der Schweiz gibt es ein bestimmtes Vorgehen bei Verdacht auf Menschenhandel, das jedoch nicht rechtsverbindend ist und keine standardisierten Angaben über die Ausgestaltung der Erholungs- und Bedenkzeit für die Betroffenen beinhaltet. Im Grunde müssen sich mutmassliche Opfer während den Ermittlungen entscheiden, ob sie sich an einem allfälligen Strafverfahren beteiligen wollen. Diese Bedenkzeit wird von den Behörden oft vorzeitig abgebrochen, wenn ein mutmassliches Opfer nicht kooperiert. Im Falle einer Kooperation erhalten die Opfer für die Dauer des Verfahrens einen geregelten Aufenthalt in der Schweiz. Danach müsste ein persönlicher Härtefall geltend gemacht werden, um in der Schweiz bleiben zu können. Die Vergabepraxis ist aber von Kanton zu Kanton sehr unterschiedlich und sehr restriktiv.

Share

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..