Eine schwierige, aber wichtige Maifeier

flo. Die Covid-19-Pandemie hat enorme Auswirkungen auf die internationale Arbeiter*innenklasse. Die Zeche für die Krise, in die das Kapital schlittert, soll von den Prolet*innen gezahlt werden. Umso wichtiger Wege zu finden, den Kampftag unserer Klasse dennoch gemeinsam zu begehen.

Eine Demonstration? Unter den gegenwärtigen Umständen? Tausende Menschen, die nah beisammen stehen, rufen, diskutieren und für ihre Interessen kämpfen? Im Moment kaum denkbar. Die Massnahmen des Bundes anlässlich der Pandemie des Coronavirus sollen zwar ab dem 26.April schrittweise gelockert werden. Die Maifeiern im ganzen Land sind aber trotzdem vom Gewerkschaftsbund abgesagt worden. Doch ein 1.Mai ganz ohne alles? Ohne rote Fahnen, ohne Demoparolen und Reden? Das geht für viele nicht. Und so formieren sich vor der diesjährigen Maifeier an unterschiedlichen Orten politische Menschen, damit doch noch etwas läuft. Ein guter Moment um sich zu fragen, was es braucht, damit der 1.Mai eben der 1.Mai ist, was dieser Tag für unsere Bewegung bedeutet.

Ein Tag für den Kampf
«Sötted ihr am erschte Mai nöd gschiider goge schaffe?», ist so ein Spruch, den man oft von Bürgerlichen hört, die besonders von ihrem überlegenen Intellekt überzeugt sind. Tatsächlich begann der 1.Mai aber mit einem Streik, mit der kollektiven Arbeitsniederlegung von Chicagoer Arbeiter*innen, um den 8-Stunden-Tag zu erkämpfen. Am 1.Mai 1886 begann der Arbeitskampf. Bei der Streikkundgebung am Haymarket explodierten aber Bomben. Durch die Explosion starben sieben Polizisten. Vier Organisatoren der Demonstration wurden in Folge durch den Strang hingerichtet, ein Genosse beging in der Zelle Suizid. In Gedenken an ihre Opfer erklärte die Zweite Internationale den 1.Mai zum «internationalen Kampftag der Arbeiterbewegung».
Zu kämpfen gab es für Linke damals viel. Und zu kämpfen gibt es auch heute noch viel. Wir stehen an der Schwelle zu einem erneuten Losbrechen der Systemkrise in der wir seit 2008 stecken. Und für das Kapital ist klar, wer diese Krise zahlen soll: die Werktätigen. «Wir befinden uns in einer Situation, in der ein Schlaglicht auf die gesellschaftlichen Realitäten, die Widersprüche geworfen wird», erzählt Arthur (Name geändert) vom antikapitalistischen Bündnis Winterthur dem vorwärts. Es würde deutlich, was der «Courant normale» für viele, beispielsweise in der Care-Arbeit, bedeuten würde. «Gerade jetzt, trotz der schwierigen objektiven Möglichkeiten, wird das ein besonders wichtiger 1.Mai.»

Radiodemo in Winterthur
Tatsächlich finden schon die ersten Angriffe auf Arbeitsbedingungen und Löhne statt, um die Zeche für die wieder heisslaufende Krise den Werktätigen zuzuschieben. Die Arbeitslosigkeit steigt und die Klassenkämpfe werden sich international verschärfen. «Umso wichtiger ist trotz Einschränkungen ein kollektives Erlebnis!», hält Arthur fest. Er organisiert mit Genoss*innen deshalb über den Winterthurer Lokalsender Radio Stadtfilter eine Radiodemo. «Es wird eineinhalb Stunden Parolen, Demomusik, Reden geben. Halt alles, was zu so einer 1.Mai-Demo dazugehört.» Die Leute, die bei der Demo mitmachen wollen, sollen ihre Radios auf den Balkon stellen, die Lautstärke hochdrehen und so dazu beitragen, dass der 1.Mai akkustisch stattfindet.

Ein Tag für die Solidarität
Doch der 1.Mai war und ist nicht einfach «nur» Kampftag. Er ist auch immer ein Tag, an dem man sich der Kämpfe der Genoss*innen weltweit bewusst wird und Solidarität mit ihnen zeigt. Es ist ein Tag, der sich gut eignet, um Unterstützung für Projekte zu gewinnen, linke Zeitungen zu kaufen, sich mit mehreren Dutzend Flyern und Broschüren einzudecken, um die neusten Kampagnen der verschiedenen linken Gruppen kennenzulernen. Auch wenn sicher nicht jede Diskussion auf dem Zürcher Kasernenareal an der 1.Mai-Feier immer besonders konstruktiv oder gesittet sind, man ist irgendwie gezwungen, sich mit den Ideen, den Konzepten anderer linkspolitischer Gruppen auseinander zu setzen. Und so schärfen wir letztlich unsere eigene Argumentation. Vieles davon wird dieses Jahr nicht stattfinden. Manches wird sich vielleicht in den elektronischen Rahmen verschieben.
Wer am Tag der Arbeit demonstrieren geht oder nur schon nachher beim Maifest vor Ort auf dem Kasernenareal vorbeischaut, kann dort einfach mit Menschen ins Gespräch kommen, einen Eindruck von den verschiedenen Kräften in der Linken gewinnen und erlebt so (zumindest war das bei mir der Fall, als ich als jugendlicher Roter an meine ersten Maidemos ging) die kollektive Kraft, die von so einer Demonstration ausgeht. Während man sich sonst als radikaler Linker vereinzelt, isoliert vorkommt, auch wenn man bei sich vor Ort keine Gruppe, keine Strömung, keine Partei hat, so fühlt man sich doch am internationalen Tag der Arbeit als Teil einer Bewegung, wenn man mit Hunderten in einem Demonstrationszug mitläuft und aus praktisch allen Kehlen die gleiche radikale Parole kommt. Dieses Erleben wird vielen dieses Jahr fehlen.

Ein Tag für unsere Klasse
Der 1.Mai spielte für unsere Bewegung, wie vielschichtig und heterogen sie in ihrer langen Geschichte auch geworden ist, immer eine wichtige Rolle. Nicht nur um nach aussen hin Stärke zu zeigen, sondern auch um nach innen hin an Stärke zu gewinnen. Es ist der wichtigste Tag des Jahres für uns Sozialist*innen. Nachdem die Maikundgebungen und -Feiern abgesagt wurden, dauerte es bei vielen 1.Mai-Komitees zu lange, bis man nach Möglichkeiten suchte, wie man sich doch beteiligen kann. Bei den Gewerkschaften kann man nun rote Fahnen bestellen, um sie am Tag der Arbeit vom Balkon zu hängen, lokal wird der Verkauf von Maibändchen online organisiert, Referate sollen in den sozialen Medien verbreitet werden und auch vergleichbare Projekte wie die Winterthurer Radiodemo werden in verschiedenen Städten geplant. Die Bedingungen für unseren Kampf haben sich seit März schlagartig verändert. Das bedeutet, dass wir uns anpassen müssen, Wege finden müssen, auch dieses Jahr zu sagen: «Doch, da sind wir immer noch!» Denn mit der Krise des Kapitalismus braucht es den 1.Mai wohl noch nötiger als im letzten Jahr.

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