Beruhigtes Hinterland
flo. Seit Jahrzehnten wird gegen das WEF protestiert, seit Jahrzehnten verhallen die Proteste mehrheitlich im Getöse der Berichterstattung über den Kapitalist*innentreff im Tiefschnee selbst. Dabei stehen die Protestformen in einem schwierigen Spannungsverhältnis zwischen den Erwartungen linker Bewegungen und der Öffentlichkeit.
Wenn sich die Reichen und Mächtigen in Davos zum World Economic Forum (WEF) treffen, drehen die Schweizer Medien immer ein bisschen durch. Da erfährt man in der Pendler*innenzeitung «20 Minuten», welche Davoser Bäckerei vielleicht den Hamburger für Trump zubereitet hat (kein Witz!), wegen welcher Gesundheitsprobleme Greta Thunberg ihre Teilnahme am Protestmarsch nach Davos absagen musste. Und der Winterthurer Lokalzeitung, dem Landboten, ist es eine Titelgeschichte mit grossem Bild der Oberwinterthurer Autobahnausfahrt wert, wenn Trump irgendwo neben der Eulachstadt durchgefahren ist. Angesichts der Anwesenheit der ganzen schwerreichen CEOs und den Präsident*innen der mächtigsten imperialistischen Staaten einmal pro Jahr geben sich die Medien hierzulande gierig der Illusion von eigener Grandeur hin.
Millionen für den Reichentreff
Dabei wurde auch dieses Jahr protestiert. Kundgebungen und Demos fanden in Davos selber, in Bern, in Zürich statt. Ein Protestmarsch führte gar von Landquart bis nach Davos. Doch ebenso beim Marsch, wie in Davos selber machten Polizei und Kanton Auflagen: Das letzte Drittel der Strecke ab Klosters wurde den Protestierenden untersagt (sie gingen es dennoch und blockierten dann teils die Strasse) und in Davos wurde die Zahl der Demonstrationsteilnehmer*innen auf 300 begrenzt. Protest ist also schon okay, zumindest solange er nicht in Sichtdistanz stattfindet. Und wenn er doch dort durchgeführt wird, wo die Damen und Herren aus den Chefetagen und den Regierungssesseln ihn sehen können, dann soll er doch bitteschön möglichst bescheiden sein. Dem WEF selber werden derweil massive Freiheiten gewährt. So wenden Bund, der Kanton Graubünden und die Gemeinde Davos Abermillionen auf, damit Klaus Schwabs Reichentreff stattfinden kann. 3000 Personen nehmen Davos in Beschlag, das in Belagerungszustand verfällt. Inklusive Scharfschütz*innen auf den Dächern und Flugverbotszone.
2001 – eine Zäsur
Kein Wunder also, dass sich die Hauptlast der Proteste in die Ballungsräume verschoben hat. Eine Institution in diesem Bereich ist das in Zürich durchgeführte andere Davos. «Mittlerweile ist es mit etwa 1000 Teilnehmenden über die ganze Konferenz hindurch das grösste antikapitalistische Treffen der Schweiz», erzählt Mitorganisator Phillip Gebhardt gegenüber dem vorwärts. Gebhardt ist Aktivist der Bewegung für Sozialismus (BfS), die das Andere Davos seit 1999 organisiert. Selber nimmt er schon seit 2006 an Protesten gegen das WEF teil. «Die grosse Zeit der Demonstrationen in Davos war damals schon durch», er spricht von den frühen 2000-er Jahren. Es war die Blütezeit der Antiglobalisierungsbewegung. 2001 gab es die Demonstration in Davos, die die zukünftigen Proteste gegen das WEF entscheidend verändern sollten: Der McDonalds im Ort wurde entglast und US-Medien fabulierten von Lebensgefahr in der sich der damalige Präsident Bill Clinton befunden habe. Im Jahr drauf fand das WEF wegen «Terrorgefahr» durch Globalisierungsgegner*innen nicht mehr im Bündnerland, sondern in New York statt. Das WEF kam nur ein Jahr später wieder in die Alpen. Anders als eine Millio-nenstadt lässt sich ein Tal relativ leicht abriegeln, die Zahl der Protestierenden ohne Schwierigkeiten regulieren. Das zeigte sich auch 2004: Die Polizei bildete beim Eisenbahnknotenpunkt Landquart einen Kessel, in dem sie 1082 Personen festhielt. Die Botschaft war klar: Wer zum Protest hinauf will, wird in Landquart hängenbleiben und damit die Leute es gar nicht erst versuchen wird vorsorglich extra hart zugegriffen.
Presse oder Protest?
Die Linke begann sich auf die neue Situation einzustellen. Militante Aktionsformen fanden vermehrt in den grossen Schweizer Städten statt, die Proteste in Davos selber wurden kleiner und mehrheitlich von Gruppen getragen, die mit einer sehr medienbewussten Strategie auftraten. Beispielsweise als Juso und Occupy-Bewegung unter der Losung «Occupy Davos» mit selber gebauten Iglus in der Gemeinde campierten und täglich Interviews für internationale Medien gaben. Doch Aktionen wie das Occupy Davos werfen die Frage auf, welche Protestformen die Linke gegen das WEF vorwärts bringen will. Eine Strategie, die sich in erster Linie an den Medien ausrichtet, birgt nämlich auch eine Gefahr: WEF-Gründer Schwab wird gerne als grosser Brückenbauer zwischen Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Politik dargestellt. Aus dem Widerspruch zwischen Arbeit und Kapital, dem zwischen den Massen und einer kleinen Klasse von Besitzenden, wird so die Verhandlung eines Kompromisses konstruiert, bei dem eine Greta und ein Trump sich unter der Schirmherrschaft des WEF treffen können. Das Problem präsentiert sich als die Lösung.
Das sieht auch Gebhardt kritisch: «Ab dem Moment, wo die Medien als Gradmesser genommen werden, steht man vor einem Dilemma.» Die Öffentlichkeit sei bei Protesten zwar auch eine relevante Grösse aber Proteste würden aus Sicht des Aktivisten eine andere Funktion erfüllen: «Das kann für Menschen Anlass sein in Bewegung zu geraten und das sind dann eben so Momente wo Leute anfangen sich langfristig zu organisieren.» Was es braucht um die Proteste auf eine höhere Ebene zu heben, ist für Gebhardt jedoch klar: «1999 beim WTO-Gipfel in Seattle schlossen sich die Antiglobalisierungsbewegung und die Arbeiter*innenbewegung zusammen. Das muss das Ziel sein.» Damals demonstrierten 40000 in Seattle. Die Stadt in den USA war seither niemals mehr Ausrichtungsort für einen Globalisierungsgipfel.
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