Résistance mondiale mit Mal Élevé
sit. Am 5.Dezember spielte Mal Élevé im Zürcher Dynamo. Der grossartige deutsch-französische Musiker ist ein überzeugter antifaschistischer Aktivist. Alle seine Songs sind politische Botschaften und Aufrufe zur internationalen Solidarität zugleich. Ein schon fast emotionaler Rückblick auf ein denkwürdiges Konzert.
Bereits ab dem ersten Song «Partigani» ist die schier unglaubliche Energie, die Mal Élevé ausstrahlt, spürbar, ja fassbar. «Partigiana, Partigiano, wir jagen Nazis aus dem Barrio (…) Solange Faschos hier marschiern, leisten wir Widerstand. Wenn rechter Terror wieder regiert – hilft nur Militanz. Wir kämpfen weiter gegen Nazis, bis zu ihrem Niedergang – auf den Trümmern des Faschismus tanzen wir diesen Tanz: C’est la danse des partigiani.»
Und so viel sei an dieser Stelle bereits verraten: Nach gut drei Stunden werden wir das Jugendkulturhaus Dynamo glücklich, begeistert und voller Energie verlassen. Und im Bewusstsein: Wir kämpfen weiter gegen Faschismus, Rassismus und Sexismus. Wir sind nicht allein und wir werden niemals resignieren. Denn das sind die Botschaften von Mal Élevé, die er gekonnt und voller Überzeugung an seinem Konzert vermittelt. Auf dem Heimweg wird mir meine Kollegin sagen: «Ab und zu frage ich mich, was mein ganzes politisches Engagement, mein politischer Kampf bringen soll? Warum ich es überhaupt tue? Es sind solche Abende wie heute, die dir viel zurückgeben, die dir Mut machen, weiterzukämpfen.» Dem kann mensch sich nur anschliessen. Danke Mal Élevé.
«Ich verarbeite Themen, die mir wichtig sind.»
Mal Élevé bedeutet auf Deutsch «schlecht erzogen». Aus der Sicht der Herrschenden ist er das bestimmt, aber ihre Sicht ist bekanntlich nicht unsere. Auf seinem Geburtsschein steht, dass er mit bürgerlichem Namen Pablo Charlemoine heisst und am 10.Mai 1981 das Licht der Welt erblickte. Aufgewachsen ist er in der Umgebung von Heidelberg im Bundesland Baden-Württemberg. Sein Vater ist ein Manouche (Mensch) – wie sich die Sinti in Frankreich nennen. Für sie und seine Familie schrieb Mal Élevé den Song «Manus». Darin erzählt er von den Herausforderungen und Vorurteilen, mit denen die Manouches konfrontiert sind und hebt zugleich ihre reiche Kultur und ihren Stolz hervor. Er kritisiert gesellschaftliche Ausgrenzung und fordert Respekt sowie Gleichberechtigung. Seine Wurzeln sind sicher ein Grund dafür, dass Mal Élevé bereit ist, alles für seine politischen Ideale zu geben. Und dass er dies tut, sehen und spüren alle der rund 300 Personen in jeder Sekunde seines Konzerts an diesen Donnerstagabend im Dynamo.
Der Vater nahm Pablo bereits als kleines Kind viel mit auf Reisen und ging mit ihm auf Demonstrationen. Als Jugendlicher ging Pablo auf die Strasse gegen Neonazis, gegen Rassismus, gegen Abschiebungen und Krieg. Diese Haltung hat er bis heute nicht verloren. Mal Élevé rebelliert nicht nur mit seiner Musik – er ist und versteht sich als politischer Aktivist. In einem Interview wird er gefragt, woher er die Inspiration für seine Texte hole. Seine Antwort: «Letztes Ende verpacke ich in den Texten das, was mich beschäftigt im Alltag. Ich bin sehr viel unterwegs, sauge vieles auf, nehme vieles wahr, das verarbeite ich in meinen Texten. Ich verarbeite damit Themen, die mir wichtig sind, die mich weltpolitisch interessieren.»
Ist es Angst, Akzeptanz oder Ignoranz?
Im Jahr 2000 gründet der Multikulti-Künstler und Politaktivist mit seinem Bruder Carlito (Carlos Charlemoine) die Band Irie Révoltés. Irie stammt aus der jamaikanischen Kreolsprache Patois und kann mit «positiv», «glücklich» oder «frei» übersetzt werden. Révoltés heisst auf Französisch «Aufständische». Angefangen hat die Band in Kellern besetzter Häuser, das Abschlusskonzert am 27.Dezember 2017 fand in der ausverkauften Maimarkthalle Mannheim mit einem Fassungsvermögen von 12500 Personen statt. In den 17 Jahren dazwischen gab Iri Révolté über 500 Konzerte in 25 verschiedenen Ländern, darunter an vielen politischen Veranstaltungen (zur Erhaltung der Roten Flora in Hamburg, vor dem G20-Gipfel in Hamburg 2017), an Demonstrationen, Kundgebungen und … am vorwärts-Fest vom 21.November 2009 in der Roten Fabrik in Zürich.
Das Abschlusskonzert von Iri Révolté ist in voller Läge auf YouTube zu sehen – es lohnt sich. In der Kommentarspalte fasst User Colorful Jay die Geschichte der Band auf seine ganz persönliche und rührende Art zusammen. Er schreibt: «Das erste Mal gesehen im Juz Mannheim vor 15 Jahren. 3€ Eintritt und 40 Besucher (…) Damals war ich 12 Jahre alt. Ihr habt mein ganzes Leben geprägt… Ich habe euretwegen Französisch in der Schule gewählt, damit ich eure Texte richtig verstehen kann, und ein Referat über die Verwendung von Umgangssprache in euren Songs gehalten… Euch aufwachsen und gross werden zu sehen, war unbezahlbar. Merci.» Iri Révolté ist antifaschistischer, rebellischer Kult. Ihr Song «Antifaschist» ist zu einer Hymne geworden. «Ich wag es, denn je mehr Leute sich trauen sich quer zustellen, desto stärker ist der Widerstand. Ich frag mich, warum so viele Leute weg schaun. Ist es Angst, Akzeptanz oder Ignoranz? (…) Ich wurde so geboren. Ich werde so bleiben bis ich sterb‘. Ich wurde so geboren… Antifaschist für immer, für immer.»
No no no pasaran!
2020 veröffentlicht Mal Élevé sein erstes Soloalbum mit dem Titel «Résistance mondiale». Seine mitreissende Musik ist weiterhin ein Mix aus Reggae, Dancehall, Ska, Rap und Punk. Die Songs sind Aufrufe zur internationalen Solidarität und politische Botschaften zugleich. Weiterhin singt er auf Deutsch und Französisch – oder in zahlreichen anderen Sprachen wie im Titelsong des Albums. Unter dem Motto «Amour & Résistance» tourt Mal Élevé zusammen mit dem Sänger Osy und seiner Band im Herbst 2024 durch Deutschland, Österreich, die Schweiz und die Tschechische Republik. Am 5.Dezember machten die vier Musiker Halt im Zürcher Dynamo.
In einem Interview wird Mal Élevé gefragt: «Welcher Song auf deinem Album bedeutet dir sehr viel?» Seine Antwort: «Es gibt natürlich viele, aber besonders wichtig ist mir der Song ‹No pasaran›, den ich geschrieben habe, weil ich es nach wie vor sehr, sehr wichtig finde, wachsam zu sein und laut zu sein gegen jede Form von Rassismus. Weil meiner Meinung nach hat Deutschland ein riesigen Rassismusproblem. Die Gesellschaft, die Politik verschliesst seit Ewigkeiten die Augen davor, verdrängt, vertuscht oder verharmlost es gar. Rassismus ist jeden Tag präsent, es gibt so viele Menschen in Deutschland, die jeden Tag mit Rassismus konfrontiert werden. Deswegen ist für mich ‹No Pasaran› so ein Weckruf und auch eine Stärkung für die Leute, die betroffen sind und für uns alle, die engagiert sind und sagen: Rassismus betrifft und alle, wir müssen aufstehen.» Und dass es keine leeren Worte, keine Floskeln sind, spüren alle im Dynamo, als er den Song bringt und alle mit ihm mitsingen: «Allerta, allerta, Antifascista, Kampf dem Faschismus egal wo und wann. No no no pasaran!»
Ein Song, der unter die Haut geht
«Migration ist die Mutter der Menschheit», wiederholt Mal Élevé mehrmals. Und: «Menschenleben retten, ist kein Verbrechen.» Die vier Künstler auf der Bühne haben eine orange Schwimmweste, eine Rettungsweste an. Mal Élevé erzählt von einem Freund, der in Italien vor Gericht steht. Ihm droht eine langjährige Haftstrafe, weil er auf einem Seenotrettungs-Schiff Menschenleben gerettet hat – und legte dann los mit dem Song «Mittelmeer», der einem unter die Haut geht. «Ich musste mich bei diesem Lied richtig zusammenreissen, um nicht in Tränen auszubrechen», wird mir meine Kollegin nach dem Konzert erzählen.
Zuerst werden die Fakten genannt: «Europa setzt auf Abschottung mit Frontex und mit Stacheldraht. Militär und Satelliten, das Mittelmeer ein Massengrab. Grenzen werden dicht gemacht und Menschenrechte abgeschafft. Unzählige Leichen, die die Festung hinterlassen hat. Die Politik sagt, es gibt keine finanziellen Mittel mehr. Banken retten, Panzer lenken, das sind ihnen die Mittel wert. Eurosur, Anker Zentren, Menschen sind hier nichts mehr Wert (…) Menschen zu retten ist kein Verbrechen, doch ihr nennt es illegal. Ihr lasst sie verrecken und sagt, es sei rechtens. Denn euch sind Menschen egal.» Das Lied ist aber auch – vielleicht sogar vor allem – ein Aufruf an uns alle, unsere Bequemlichkeit zu überwinden: «Es ist Zeit zu handeln, es muss ein neues Kapitel her. Oh, ich kann nicht fassen, was hier gerade passiert. Doch wir werden nicht wegschauen, wir werden nicht resignier‘n. Es ist Zeit zu handeln, es ist Zeit zu agier‘n. Egal, ob ihr uns kriminalisiert (…) Wir sind zu bequem. Wir stehen da, wie gelähmt. Doch wenn wir nichts unternehmen, was soll‘n wir dann später den Kindern erzähl‘n? Wir hätten es nicht geseh‘n? Sie werden es nicht versteh‘n. Und sie werden uns nicht glauben. Weil es nicht stimmt, also macht was dagegen.»
«Auf in die Freiheit ich gehe meinen Weg …»
Beim Song «Rebelles» kocht die Halle im Dynamo. Meine 22-jährige Tochter ist kaum noch zu halten. Wir drei ältere Semester werden es am nächsten Tag noch spüren – aber der Muskelkater wird schöne Erinnerungen wachrufen. «Je pense qu’il ne faut pas tout accepter. Je pense qu’il ne faut pas tout tolérer. Je pense qu’il faut dire son opinion même si on se fait persécuter. Je sais que beaucoup de gens ne vont pas aimer ce que je chante. Et qui vont m’attaquer, qui vont me chasser. Mais je vous dis, je m’en fiche.»
Nach fast zweieinhalb Stunden neigt sich das Konzert dem Ende zu. Ich hege den Wunsch, den vier Musikern persönlich Danke zu sagen. Eine Sekunde lang überlege ich mir gar, ob ich meine Beziehungen spielen lassen soll, denn ich kenne die Organisator:innen des Abends seit Langem. Aber Nein, die Künstler:innen haben nach ihrem Auftritt ihre Ruhe verdient. Mit dem letzten Song «Barrer» bringen die vier auf der Bühne die Halle nochmals komplett zum Ausflippen. «Je suis désolé, mais je peux pas rester. Manouche à vie, libre comme un oiseau. Mon esprit veut la liberté (..) Je vais me barrer, barrer, barrer. Auf in die Freiheit ich gehe meinen Weg. Barrer, barrer, barrer, je dis ‹Ciao!›, je dis ‹Ciao!›.»
Danke!
Es zeigt sich, dass ich Mal Élevé und die drei anderen Jungs schlecht kenne. Keine Viertelstunde nach dem letzten Song stehen sie alle am Infostand der NGO «Viva con Agua», die sich für den Zugang zu sauberem Trinkwasser weltweit einsetzt. Diese Organisation hat er schon mit Irie Révolté aktiv unterstützt: «Selbst mit Trinkwasser wird im beschissenen Kapitalismus Profit gemacht, ich kann es nicht fassen», sagte er während dem Konzert vor dem Song «Planet». Am Stand können auch Plakate des Konzertabends gekauft werden – der Erlös davon wird der Seenotrettung gespendet.
Und so geht mein Wunsch doch noch in Erfüllung. Ich bedanke mich zuerst beim Sänger Osy, auch er ein grossartiger Künstler, mit einer beeindruckenden Stimme. Dann umarme ich Mal Élevé und sage ihm: «Danke mein Freund. Dank Menschen wie dich, wir ihr vier, lebt der Widerstand weiter.» Und er antwortet mir: «Ich danke euch. Ihr gebt mir die Energie.»