«Wir verstehen den Marxismus als unseren Kompass und unser Werkzeug»
Marius Käch. Die Kommunistische Partei Österreichs erzielt in Graz einen beeindruckenden Wahlsieg und ist mit 28,8 Prozent der Stimmen die stärkste Kraft. Die jahrelange Basisarbeit hat sich bewährt. Der vorwärts sprach mit KPÖ-Stadtrat Robert Krotzer.
Am Wahlsonntag vom 26.September in Österreich: In Graz, der Hauptstadt des südösterreichischen Bundeslandes Steiermark und zweitgrössten Stadt der Republik, geschieht das schon fast Unglaubliche: Unzählige Werktätige aus allen Stadtbezirken strömen zum Volkshaus der Kommunistischen Partei (KPÖ). Dort ertönt lautstark die Internationale unter der roten Fahne mit Hammer und Sichel. Die Genoss*innen haben die Wahlen gewonnen und sind nun die stärkste Kraft in der Stadt. Kompliment! Die Konservativen verlieren nach über 18 Jahren Regentschaft als grösste Partei ihre Vormachtstellung in Graz und die Politiker*innen des Landes sprechen ihre Sorgen über das Wahlergebnis aus.
Historische Verankerung
Der Erfolg der KPÖ basiert auf Jahrzehnte langer Arbeit und eine Verbundenheit mit der Bevölkerung. Dieser Prozess begann, als sich die KPÖ Anfang der 1990er-Jahre nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Lagers die Frage stellte: wie weiter?
Man orientierte sich fortan an den alltäglichen Problemen der Menschen. Man orienteierte sich an der sozialen Frage, unter anderem mit Fokus auf die Wohnpolitik. In Graz lag der Schwerpunkt in den Städtischen Sozialwohnungen, die damals von den Bürgerlichen absolut vernachlässigt wurden. Viele der städtischen Wohnungen verfügten weder über ein Bad noch eine Dusche oder gar eine Toilette. Ernest Kaltenegger der KPÖ begann handfest und in Zusammenarbeit mit der Bevölkerung die Probleme in den Quartieren anzugehen. Er war Ansprechpartner für die arbeitenden Menschen und er «rückte nicht selten mit der Rohrzange aus», wie es Robert Krotzer, Stadtrat (Exekutive) der Partei, auf den Punkt bringt.
Ab 1992 führte die KPÖ sogar einen kostenlosen Mieternotruf ein. Bis heute wird dort direkte Hilfe organisiert, an Hilfsorganisationen weitergeleitet und Rechtsberatung geboten. Diese konkrete Arbeit führte 1998 zu einem Wahlergebnis von knapp neun Prozent. Genosse Ernest Kaltenegger kam in den Gemeinderat und erhielt das Wohnungsamt. Die Bürgerlichen versuchten so, den Kommunisten bei ihrem Hauptthema den Wind aus den Segeln zu nehmen. Denn sie isolierten die KP im Gemeinderat und stellten dem Wohnungsamt zu wenig Geld zur Verfügung. Dies verbunden mit der Hoffnung, dass die KPÖ so politischen Schiffbruch erleiden würde. Doch mit gutem politischem Geschick erreichten die Genoss*innen Erfolge für die Mieter*innen. Jede städtische Wohnung wurde mit einem Bad ausgestattet, Wohnungen wurden saniert und die Miete wurde subventioniert, wenn sie mehr als ein Drittel des Einkommens betrug.
Ständige Präsenz
Da in Österreich die hohen Gehälter der Politi-ker*innen ein Dauerthema sind, entschloss sich die KP, dass alle Gehälter ihrer Mandatsträger*innen über 1950 Euro bedürftigen Menschen zur Verfügung gestellt werden sollen. Mit dieser Finanzierung kommen pro Monat mehrere tausende Euro zusammen, mit denen der Mieternotruf der Partei Menschen in Not unbürokratisch und schnell helfen kann. Diese Hilfe umfasst alles von einer neuen Waschmaschine, hin zu bezahlten Stunden in Psychotherapie oder dem Verhindern von Zwangsräumungen.
Dank diesen Errungenschaften erreichte die KPÖ in Graz 2003 erstmals die 20-Prozent-Marke. Dieser Erfolg machte sogar die CIA auf Graz aufmerksam. 2005 schaffte es die Partei nach 30-jähriger Abwesenheit wieder in den Landtag einzuziehen. Dank ihre ständigen Präsenz auf der Strasse, auch ausserhalb des Wahlkampfes, der Einbindung von Umweltprojekten, dem Erhalt des Stadtbildes und dem Verhindern von Privatisierungen, alles im «Bündnis mit der Bevölkerung», legte die KPÖ Graz die Grundlage ihres beeindruckenden Erfolgs.
Nicht alle freut es
Viele positive Reaktionen gab es für die KPÖ nach dem Wahlsieg am Arbeitsplatz, im Quartier, im Supermarkt und sogar am Kiosk. Die Bevölkerung von Graz, vor allem in den Quartieren der Werktätigen, freut sich sehr über den Sieg. In den Arbeiter*innenviertel stimmten zwischen 40 bis 48 Prozent für die Kommunist*innen. Robert Krotzer berichtet, dass die Menschen froh seien, dass «denen dort oben eins ausgewischt worden ist.»
Doch, nicht alle erfreuen sich am Sieg der KP. Kaum waren die Wahlresultate veröffentlicht, wurde gegen die Kommunist*innen in den Medien und aus anderen Parteien mobilisiert. Das Programm der KPÖ wird jetzt von den Bürgerlichen auf Herz und Nieren untersucht. Die kritisch solidarische Haltung der Partei zur Sowjetunion ist auf einmal für alle grösseren Zeitungen relevant. Doch durch den Gegenwind lassen sie die Genoss*innen in Graz nicht einschüchtern.
Hartnäckigkeit und Konsequenz
Der vorwärts sprach mit Robert Kortzer der Grazer KPÖ. Hauptberuflich war er Lehrer, bis er 2017, nach vier Jahren im Gemeinderat, zum Stadtrat gewählt wurde. Mit dem neusten Wahlsieg ist sein Mandat erneuert worden.
Wie sehr ist das, was die KP in Graz macht, auf andere Regionen übertragbar?
Man kann es ganz konkret mit Salzburg beantworten. Dort ist genau das gelungen. Dort ist genau das gelungen. Wohl auch die Frage des Wohnens noch ein viel grösseres Thema ist. Auch mit der Frage der Politikergehälter fahren die Genoss*innen gut. So ist es gelungen, in den Gemeinderat einzuziehen. Es braucht dann auch die Leute mit dem richtigen Riecher und den entsprechenden Einsatz. Es ist wichtig, dass man den Leuten auf Augenhöhe begegnet, dass man sich wirklich beschäftigt, damit, wie es Leuten geht und wie man Wege finden kann, dass man weiterhelfen kann.
Braucht es also eine pragmatische und konkrete Anwendung des Marxismus auf die österreichischen Verhältnisse?
Das ist die Grundvoraussetzung. Ich habe das an anderer Stelle mal gesagt, dass man von linker oder auch kommunistischer Seite halt aus der Richtung kam, dass wir unsere Bücher haben, die Marx-Bände, die Lenin-Bände, wir wissen wie die Welt tickt, das müssen wir den Leuten nur erklären. Aber ganz so einfach ist es halt nicht. Diese Bücher sind wichtig für uns, weil sie uns Orientierung geben, weil sie unser Kompass sind, weil sie unser Werkzeug liefern. Aber mit diesem Werkzeug musst du dann auch arbeiten. Das dann konkret mit den Menschen. Wir sind davon überzeugt: Das kann man nur von unten nach oben entwickeln. Das wir da im Kleinen anfangen und dass man sich auch nicht entmutigen lassen darf, wenn es beim ersten Mal nicht hinhaut, wenn es beim zweiten Mal nicht hinhaut, dann sollte man es ein drittes Mal probieren. Vielleicht sprechen sich Dinge einfach herum. Ja, gewisse Hartnäckigkeit und Konsequenz braucht man natürlich.
Ist die KPÖ nun eine reformistische Partei oder versucht man damit einfach den Anspruch einer gesellschaftlichen Umwälzung mit solchen Argumentationslinien zu überspielen?
Der Anspruch ist da. Wir sehen uns klar als prinzipienfeste marxistische Partei. Die bei allem sich aber mit einer Bündnisfähigkeit, in erster Linie zur Bevölkerung hin, aber auch mit anderen Bewegungen, versteht. Aber wir sind eine marxistische Partei, wir verstehen den Marxismus als unseren Kompass und unser Werkzeug. Natürlich ist das in all unseren Fragen und unseren Entscheidungen, die wir in den letzten Jahren und Jahrzehnten getroffen haben, immer die Frage, wem nützt etwas. Ist es eine Entscheidung, ist es eine Errungenschaft, die den arbeitenden Menschen, der Mehrheit der Grazer Bevölkerung nutzt? Oder ist es etwas, das in erster Linie Immobilienkonzerne, der Bauwirtschaft, Investor*innen und so weiter hilft? Klar, du kannst als Stadt weder sozialistische Ökonomie aufbauen noch den Kapitalismus auf lokaler Ebene aushebeln und überwinden. Für uns heisst Marxismus auch Bewegung von unten aufzubauen. Ich bin zum Beispiel im Bereich Gesundheit und Pflege zuständig gewesen und werde das hoffentlich auch bleiben, wir haben da auch einen Arbeitskreis «Gesundheit und Pflege» und geben eine Zeitung aus für Gesundheitsbeschäftigte, die wir an alle Pflegeheime verteilen, an alle Spitäler, wo wir jetzt auch planen eine Protestaktion vor dem Landtag zu starten.
Ein ausführliches Interview mit Robert Krotzer, in dem auch das weitere Vorgehen der KPÖ thematisiert wird, folgt in der nächsten Ausgabe.