Renaissance der Berufsverbote gegen Linke
Peter Nowak. Als Begründung für die Berufsverbote wird angeführt, dass man so Ultrarechte, die nicht auf dem Boden der Verfassung stehen, aus dem öffentlichen Dienst raushalten will. Die Realität ist aber eine komplett andere.
Eigentlich wollte Jan-Hendrik Friedrichs die Berufsverbote nur als historische Angelegenheit betrachten. Der Historiker forscht an der Berliner Humboldtuniversität zum Projekt «Der Radikalenerlass in West-Berlin: Entstehung – Wirkung – Folgen». Mit dem heute als «Radikalenerlass» titulierten Beschluss der Regierungen des Bundes und der Länder zur Überprüfung von Bewerber:innen für den öffentlichen Dienst auf deren Verfassungstreue vom 28.Januar 1972 wurden 3,5 Millionen Personen von der Regelanfrage bei den Ämtern für Verfassungsschutz erfasst. Gegen etwa 11000 Bewerber:innen für den öffentlichen Dienst von Bund und Ländern wurden Verfahren eingeleitet. Mehr als 1000 Menschen wurden nicht in den öffentlichen Dienst eingestellt oder aus ihrem Beruf entlassen.
Nicht nur in der BRD wurde von Berufsverboten gesprochen. Dieses Wort wurde auf Deutsch auch in Frankreich, Holland und Belgien in den Wortschatz übernommen. Es entwickelte sich eine starke Bewegung über Ländergrenzen hinweg unter dem Motto «Sei keine Duckmaus – weg mit den Berufsverboten». «Der Erlass zählt heute im zeithistorischen Diskurs überwiegend zu den als verfehlt gehaltenen Massnahmen der westdeutschen Innenpolitik im Spannungsfeld von wehrhafter Demokratie, Fundamentalliberalisierung und deutsch-deutscher Systemkonkurrenz», so die Einschätzung von Jan-Hendrik Friedrichs. Daher hat der Historiker auch kein Verständnis dafür, dass es im Jahr 2025 eine Renaissance der Berufsbote gibt.
Betroffen waren überwiegend Linke
In Brandenburg wurde die Regelanfrage an den Verfassungsschutz für Bewerber:innen im öffentlichen Dienst noch von der früheren Landesregierung eingeführt, die sich aus der CDU und SPD zusammensetzte. Das in der aktuellen Landesregierung mitregierende Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) beabsichtigt davon wieder abzurücken. Dafür plant auch die aus SPD und Grünen zusammengesetzte Hamburger Landesregierung die Regelanfrage an den Verfassungsschutz für alle Personen, die im Öffentlichen Dienst arbeiten wollen. Auch andere Bundesländer wollen nachziehen. Als Begründung wird von SPD, Union und FDP angeführt, dass man so Ultrarechte, die nicht auf dem Boden der Verfassung stehen, aus dem öffentlichen Dienst heraushalten will. Dabei waren von dem Radikalenerlass in den 1970er- und 1980er-Jahren in der übergrossen Mehrheit Linke betroffen. Der Historiker Friedrichs stiess bei seinen Forschungen nur auf ganz wenige Berufsverbote gegen Personen aus dem rechten politischen Milieu. Das scheint sich auch aktuell nicht geändert zu haben. Während heute der Radikalenerlass als Waffe gegen rechts diskutiert wird, gibt es aktuell wieder Linke, die wegen ihrer politischen Aktivitäten in ihrer Freizeit ihren Beruf nicht ausüben können.
Umweltschutz zu extremistisch
Wie vor mehr als 40 Jahren steht dabei auch heute wieder der Freistaat Bayern an der Spitze. So darf die Klimaaktivistin Lisa Poettinger nicht Lehrerin in Bayern werden. Das zuständige Kultusministerium verweist in ihrer Begründung auf ihre «Tätigkeit und Mitgliedschaft in extremistischen Organisationen». Für die Behörde zählt dazu das «Offene Antikapitalistische Klimatreffen München», eine Gruppe, die die Klimafrage mit der sozialen Frage verbinden will. Das zuständige Ministerium verweist auf verschiedene Aktivitäten von Poettinger. Dazu gehört ihre Teilnahme an Protesten gegen den Braunkohleabbau und die seit 2021 in München stattfindende Internationale Automesse IAA. Poettinger wird von der Behörde angelastet, dass sie in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung die IAA als «Symbol für Profitmaximierung auf Kosten von Mensch, Umwelt und Klima» klassifizierte. Den Begriff der Profitmaximierung ordnet das bayerische Kultusministerium der kommunistischen Ideologie zu, die für die Behörde mit der «freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht vereinbar» ist.
Marxismus geht gar nicht
Auch Benjamin Russ ist den bayerischen Behörden zu kapitalismuskritisch. Vor zwei Jahren bewarb er sich auf eine Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Kartographie und visuelle Analytik der Technischen Universität München (TUM). Eine Professorin wollte den studierten Geografen mit Master-Abschluss in Urbanistik einstellen. Doch die Personalabteilung der Uni schickte ihm anschliessend, wie in Bayern üblich, einen Fragebogen zu seiner Verfassungstreue. Danach gab es eine Anfrage an das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV). Auf der Basis der Einschätzung des Geheimdienstes lehnte die Universität dann die Anstellung von Russ ab. Es bestünden zu grosse Zweifel an seiner Verfassungstreue – unter anderem wegen seiner «marxistischen Weltanschauung», hiess es zur Begründung. TUM-Kanzler Albert Berger schrieb in einer Stellungnahme, Russ bediene sich «in der Gesamtheit seiner Äusserungen (…) klassischer Begriffe wie Faschismus, Rassismus, Kapitalismus, Polizeigewalt/-willkür, mittels derer auch die Gegnerschaft zur bestehenden Ordnung betont und begründet wird».
Politische Streiks auch zu extremistisch
Der Anwalt des Freistaats, Gerhard Greiner, machte klar, dass Russ nicht nur wegen seiner von ihm selbst im Fragebogen angegebenen Mitgliedschaften im Linkspartei-nahen Studierendenverband SDS und der Hilfsorganisation für politische Gefangene, Rote Hilfe, ungeeignet für eine Tätigkeit im öffentlichen Dienst sei. Greiner führte auch von Russ veröffentlichte Texte an, in denen er sich für die umfassende Wahrnehmung des Streikrechts und gegen das neue bayerische Polizeiaufgabengesetz (PAG) positionierte. So wurde Russ eine Passage in einem Artikel zum PAG vorgehalten, in dem er schrieb, mit dem PAG könne man Bayern als «Brutstätte und Testlabor einer inneren Militarisierung bezeichnen».
Auch Texte, in denen sich Russ zu Arbeitskämpfen äussert, werden ihm vorgehalten. So hat er in einem Artikel geschrieben: «Die Streiks müssen konsequent bis zum Ende geführt werden und nicht nach drei Warnstreiks in Verhandlungen mit dem Arbeitgeber enden.» Zudem sprach sich Russ für politische Streiks aus und forderte, die Betriebe zu demokratisieren. Das Arbeitsgericht München gab dem Freistaat Recht. Russ verlor die Klage und konnte die Stelle an der TUM nicht antreten. Weitere juristische Schritte kann er nicht gehen, weil seine Anwältin, die prominente Sozialdemokratin Hertha Däubler Gmelin aus juristischen Gründen davon abriet und er dafür auch keinen weiteren Rechtsschutz von der Gewerkschaft Verdi bekäme.
Lasst Luca lehren
Doch nicht nur im Freistaat Bayern erhalten Linke Berufsverbot. In Hessen darf der 27-jährige Luca nicht als Lehrer arbeiten. Ihm wurde zum Verhängnis, dass er wegen Landfriedensbruch zu einer hohen Geldstrafe verurteilt wurde. Ihm wurde vorgeworfen, auf einer Demonstration am 1.Mai 2021 einen Rauchtopf, den die Polizei in die Menge geschmissen hatte, zur Seite geschleudert hat, um einen Demonstranten zu schützen, der verletzt am Boden lag. Die von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) initiierte Kampagne «Lasst Luca lehren» findet breite Unterstützung.
In Berlin wurde die Sozialarbeiterin Ines Heider von ihrem Arbeitgeber, einem gemeinnützigen sozialen Träger, entlassen, weil sie einen Demonstrationsaufruf gegen Sozialkürzungen im Berliner Stadtteil Neukölln über Mail verbreitet hatte. Damit hätte sie die Beziehungen des Trägers zum Bezirksamt gefährdet, lautet die Begründung für Heiders Entlassung.