Nix geht ohne Lohnschutz!

flo. Mit dem institutionellen Rahmenabkommen soll EU-Dienstleister*innen der Zugang zum Schweizer Markt garantiert werden. Doch wegen der Unbeweglichkeit Brüssels beim Lohnschutz scheint das Abkommen nicht mehr gerettet werden zu können.

Die Situation beim Rahmenabkommen ist grösstenteils unsicher. Auf Anfrage des vorwärts heisst es bei der Gewerkschaft Unia, dass man durchaus bereit sei, Auskunft zu geben, aber die Informationen bis zum 1.Mai wahrscheinlich schon veraltet seien. Trotz grosser Unklarheiten ist in Bern wie in Brüssel relativ klar, dass das Abkommen so wie es vorliegt keine Chance hat.

Hüftschuss mit Folgen?
Doch in Brüssel scheint man Geschmack an direktdemokratischen Mitteln zu finden. Dies zumindest beim CDU-Europaparlamentarier Andreas Schwab, der die Schweiz-Delegation des EU-Parlaments anführt. «Ein Volksentscheid wäre uns lieber, als wenn der Bundesrat nach jahrelangem Hinhalten einfach Nein sagt», erklärte er. Der Christdemokrat spekuliert gar, dass das Schweizer Stimmvolk eine solche Vorlage bestimmt annehmen würde. Dies zeige alleine schon die Erfahrungen, die man im Zusammenhang mit dem bilateralen Weg mit der Schweiz gemacht habe – Herr und Frau Schweizer würden im Zweifelsfall schon für eine Kooperation stimmen. Warum die Schweiz nicht Teil der EU ist, wenn sich das Stimmvolk im Zweifel doch für die europäische Integration aussprechen würde, bleibt bei Schwab jedoch offen. Und auch, dass laut Brüssel die Schweiz mit der Annahme der Masseneinwanderungsinitiative den bilateralen Weg stark gefährdet habe, scheint Schwab vergessen zu haben.
Die Forderung nach einer Volksabstimmung zur Rettung des Rahmenabkommens gleicht mehr einem Schnellschuss als politischer Strategie. Und er ist weit daneben gegangen: Ein Urnengang hätte weder den gewünschten Erfolg, noch ist das politische Establishment in der Schweiz bereit, eine solche Abstimmung zu forcieren.

Bern ist nicht Brüssel
Der Hauptgrund dafür ist, dass die Zahl der politischen Kräfte, die von einer solchen Abstimmung und vor allem vom Abstimmungskampf profitieren kann, sehr klein ist. Genau genommen könnte sich vor allem die SVP, die in den letzten Monaten politisch immer stärker in Bedrängnis kam, auf ein Powerplay einstellen und mit ihrem Steckenpferdchen die anderen etablierten Parteien vor sich hertreiben.
Wirklich für das Plebiszit beim Abkommen einstehen, mag ausser der GLP kaum jemand. Selbst der Freisinn, der sich in Sachen Rahmenabkommen stets hinter ihren Bundesrat Cassis stellte, einer der Hauptunterstützer des Abkommens, plant bereits, was man beim Scheitern tun muss. Und auch die CVP – heute Die Mitte – und ihr Parteipräsident Gerhard Pfister sind zurückgekrebst. So wollte die Partei im März 2019 dem Volk und dem Parlament «das erste und letzte Wort geben». Zwei Jahre später erklärte Pfister im Gespräch mit dem Schweizer Fernsehen, dass bei einer Ablehnung durch den Bundesrat eine Volksabstimmung «absurd» sei, da die Gegner*innenschaft sich so auf den Bundesratskurs berufen könnten. Pfister will offensichtlich der SVP keine Gelegenheit geben, mit ihrem Lieblingsthema in den Abstimmungskampf zu ziehen. Das Verdikt ist klar: Wird der Bundesrat das Abkommen ablehnen, dann werden Teile der politischen Mitte sich anschliessen. Zugleich wird das Abkommen von der Sozialdemokratie, den Gewerkschaften und der SVP bekämpft. Wie es unter diesen Umständen vor dem Volk auch nur den Hauch einer Chance haben soll, dürfte Menschen, die mit der Schweizer Politlandschaft vertraut sind, ein Rätsel sein.

Lohnschutz verteidigen!
Stichtag für den Fortgang der Verhandlungen ist der 23.April, kurz nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe. Dann soll der SVP-Bundesrat Guy Parmelin in Brüssel nochmals einen Versuch wagen. Scheitert dieser, ist es am Bundesrat, die Verhandlungen nach sechs zähen Jahren für gescheitert zu erklären. Einen Plan B hat der Bundesrat vermutlich nicht. Denkbar ist, dass neue Verhandlungen bis 2023 auf Eis gelegt werden, bis das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) neu besetzt wird. Der aktuelle EDA-Vorsteher Ignazio Cassis gab 2018 den Lohnschutz preis. Dies, obwohl der Schutz des Lohnes vom Bundesrat als «rote Linie» bezeichnet wurde, die man nicht überschreiten werde. Cassis setzte sich mit der Preisgabe bei der reformistischen Linken in die Nesseln. Diese war bislang zuverlässige Verbündete der europäischen Integrationspolitik.
Es war klar, dass durch das Handeln von Cassis am Ende nur noch die politische Mitte für das Abkommen zu gewinnen ist. Denn spätestens seit dem Personenfreizügigkeitsabkommen mit der EU im Jahr 2004 sind Lohnschutz und flankierende Massnahmen für die Gewerkschaften zentrale Prinzipien ihrer Europapolitik. Eine Dienstleistungs- und Personenfreizügigkeit gibt es für sie nur bei Sicherung des hiesigen Lohnniveaus. Genau das will man in Brüssel aber kippen. Neu soll die Schweiz die Lohn«schutz»mechanismen der EU übernehmen. Wie wenig weit diese gehen, insbesondere im Bereich der Kontrollen, zeigen vielfache Skandale bei Arbeitsbedingungen und Löhnen im EU-Raum… Die Methode ist in aller Regel immer gleich: Mit der Anstellung von Subunternehmen, Scheinselbstständigkeiten und entrechtete Leiharbeiter*innen, sowie dem Verschleiern von Besitzverhältnissen werden missbräuchliche Löhne bezahlt.

Gegen das Europa des Kapitals
Mit ihrem Vorgehen in Sachen Bilaterale handelt die EU in keinster Weise ungewohnt. Während von der EU-Aussenhandelsbehörde immer noch Tausende in ein nasses Grab getrieben werden, betreibt der Staatenbund in aller Regel Interessenspolitik für die Kapitalist*innenklasse. Ein Ausdruck davon sind eben die Versuche, den Lohnschutz in der Schweiz zu unterhöhlen. So hätte die EU in den Verhandlungen zum Rahmenabkommen auch die Verfolgung von in der Schweiz versteckten Steuergeldern als Faustpfand einbringen können. Sie tut es nicht, denn so würde sie nicht Arbeiter*innen sondern Kapitalist*innen geschadet!

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