Ettie und Peter Gingold kämpften ihr Leben lang gegen den Faschismus

Redaktion: Am 26.April organisiert die PdA Bern einen Anlass zum Thema «80 Jahre Befreiung vom Faschismus und Krieg», unter anderem mit einer Hommage an eine Genossin und einen Genossen, die den antifaschistischen Kampf in Deutschland und Frankreich entscheidend mitgeprägt haben. Um niemals zu vergessen – no pasarán!

Dass nichts bleibt, wie es ist, erläuterte der im In- und Ausland bekannte Kommunist und Antifaschist Peter Gingold seinen meist jugendlichen Zuhörern gerne anhand seiner eigenen Biografie. Als er am 8.März 1916 in Aschaffenburg als Sohn einer aus Polen emigrierten jüdischen Familie geboren wurde, existierte noch das deutsche Kaiserreich. Nach seiner Schulzeit begann Peter Gingold eine kaufmännische Lehre. Mit 14 Jahren wurde er Mitglied der Gewerkschaftsjugend, und 1931 trat er, inzwischen in Frankfurt am Main lebend, dem Kommunistischen Jugendverband Deutschlands (KJVD) bei. Gemeinsam organisierten sie Widerstandsaktionen gegen die immer massiver auftretenden faschistischen Verbände.

Die Liebe des Lebens
Peter Gingolds Eltern und seine vier Geschwister emigrierten im Sommer 1933 nach Paris. Peter folgte ihnen gegen Ende des Jahres. Neben der Sicherung des Lebensunterhaltes, ohne über eine dauerhafte Aufenthalts- oder Arbeitserlaubnis zu verfügen, engagierten sich die Geschwister Gingold in der antifaschistischen Aufklärungsarbeit. Peter fand Arbeit bei der antifaschistischen Zeitung «Pariser Tageblatt», war weiter aktiv in einer kleinen Gruppe des KJVD sowie Mitbegründer der Freien Deutschen Jugend. Neben ihm waren an dieser Gründung unter anderem Willy Brandt und Hermann Axen beteiligt.
1937 trat Peter Gingold der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) bei, die in der Folgezeit eine bedeutende Rolle im antifaschistischen Widerstand in Frankreich einnehmen sollte. Die politische Arbeit in Paris war zunächst auf die Aufklärung der Bevölkerung gerichtet. In kleinen Veranstaltungen informierte die Gruppe über den Kampf und die Verfolgung von Antifaschisten in Deutschland. Die Jugendlichen sammelten Geld für im Nachbarland Verfolgte und unterstützten die Kampagnen für die Freilassung von Ernst Thälmann.
In der Arbeit der Jugendgruppe lernte Peter Gingold auch Ettie Stein-Haller kennen. Die junge Frau war in Czernowitz, das zu Österreich-Ungarn und nach dem ersten Weltkrieg zu Rumänien gehörte, geboren worden und aufgewachsen. Anfang der 1930er-Jahre ging sie nach Paris, um Französisch zu studieren. Peter Gingold und Ettie Stein-Haller heirateten und kämpften fortan ihr Leben lang gemeinsam.

Verhaftung, Folter und Flucht
1940 – nach der Besetzung von Paris durch die faschistischen Truppen – organisierten sich beide Gingolds in der Résistance. Die nach Frankreich emigrierten deutschen Kommunist:innen und Antifaschist:innen gründeten die Travail Allemand (TA), die sich der französischen Widerstandsbewegung anschloss und einen bedeutenden Beitrag zur Befreiung Frankreichs leistete.
Peter wurde als «feindlicher Ausländer» zeitweise interniert. Ettie organisierte geeignete Verstecke für seine Familie und Widerstandskämpfer:innen, die gesucht wurden. Beide hatten die Aufgabe, Aufklärungsarbeit unter den deutschen Soldaten zu leisten. Flugblätter wurden gedruckt und heimlich verteilt, Verbindungen geknüpft, Informationen auf allen erdenklichen Wegen beschafft – eine politische Arbeit, die an jedem Tag das Leben kosten konnte. Durch einen in das Netz der TA eingeschleusten Spitzel war es den Besatzern möglich, Peter zu verhaften. Nach wochenlanger Haft und brutaler Folter gelang ihm die Flucht durch eine List. Im Kampf um sein Leben konnte er die Gestapo davon überzeugen, dass er ihnen einen Treffpunkt der Résistance verraten würde. Dafür müsse er aber dort selbst erscheinen, wenn der Schlag gegen den Widerstand gelingen sollte. In Kenntnis der örtlichen Gegebenheiten liess er sich in Paris zum Boulevard St. Martin 11 bringen, verschaffte sich Einlass und schloss das Tor blitzschnell hinter sich zu. Auf diese Weise hatte er ausreichend Zeit, über mehrere Hinterhöfe zu entkommen. Er schloss sich erneut dem Widerstand an und war gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin Ettie im August 1944 an der Befreiung von Paris beteiligt.

Staatenlos
Den 8.Mai 1945 erlebte Peter Gingold in Turin, wohin er von der Résistance zur Unterstützung der italienischen Partisan:innen geschickt worden war. Nach dem Sieg über den deutschen Faschismus, den Peter stets als die Morgenröte der Menschheit bezeichnete, ging er zurück nach Frankfurt – Ettie folgte ihm kurze Zeit später aus Paris. Beide waren entschlossen, dazu beizutragen, ein antifaschistisches Deutschland aufzubauen. Sie wurden Gründungsmitglieder der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN). Wie schmerzlich war es für sie zu sehen, wie die alten Funktionsträger und Nutzniesser des Faschismus nach und nach wieder in ihre Ämter und Funktionen kamen. Das Verbot ihrer Partei, der KPD, im Jahr 1956 war für sie die Quintessenz dieser Entwicklung. Die BRD entzog der Familie die Pässe und erklärte sie zu Staatenlosen, womit sie gehindert waren, das Land legal zu verlassen.

Reisende in Sachen Mutmachen
Die Lehren seines Kampfes gegen den Faschismus, die Notwendigkeit eines entschlossenen Zusammenstehens gegen rechte und faschistische Entwicklungen, vermittelten Ettie und Peter als Zeitzeuge vor ungezählten Schulklassen und Jugendgruppen, auf Demonstrationen und Kundgebungen im ganzen Land. Wo auch immer er gebraucht wurde, waren sie zur Stelle.
Beide Gingolds waren seit der Neugründung der kommunistischen Partei, der DKP, im Jahr 1968 deren Mitglied. In der antifaschistischen und Friedensbewegung standen sie in der ersten Reihe. Als gegen ihre Tochter Sylvia ein Berufsverbot verhängt wurde, organisierten die Eltern mit vielen anderen Menschen Solidaritätsaktionen. Wertvolle Unterstützung kam vor allem aus Frankreich, wo beide nach wie vor grosses Ansehen genossen.
Peter und Ettie Gingold haben einen unschätzbaren Beitrag dazu geleistet, dass dem in Westdeutschland verbreiteten Antikommunismus Grenzen gesetzt werden konnten. Den herrschenden Verhältnissen entgegenzutreten, war das Credo ihres Handelns. Sie blieben sich auch 1989, als die Konterrevolution ihren vorläufigen Sieg erringen konnte, selbst treu. Er sei nun eben, so sagte Peter, ein Reisender in Sachen Mutmachen.
Die Stadt Frankfurt am Main ehrte Ettie und Peter Gingold 1991 mit der Verleihung der Johanna-Kirchner-Medaille. Peter Gingold erhielt 2004 von der Internationalen Liga für Menschenrechte die Carl-von-Ossietzky-Medaille.

Quellen: www.rotfuchs.net, www.gingold-initiative.de

80 Jahre Befreiung vom Faschismus und Krieg
Vor genau 80 Jahren endete 1945 eine der dunkelsten Epochen Europas: Die faschistischen Regime Italiens und Deutschlands hatten den Kontinent in den Krieg und Genozid gestürzt. Wie der antikoloniale Denker Aimé Césaire betonte, war der Faschismus der «nach Hause geholte Imperialismus» – eine brutale Machtpolitik, die zuerst nur die kolonialisierten Länder getroffen hatte und nun auch die europäischen Gesellschaften selbst zerfrass. Gleichzeitig diente er der Zerschlagung von Arbeiter:innenbewegungen und kommunistischen Kräften, die als Bedrohung für die Machteliten galten. Diese Verbindung von Gewalt, Wirtschaftssystem und Herrschaft zeigt: Der Faschismus lässt sich nicht auf die Vergangenheit reduzieren und der antifaschistische Kampf ist noch lange nicht vorbei. Deshalb organisiert die Partei der Arbeit Bern eine Reihe von Veranstaltungen und Konferenzen, um dieses Thema zu vertiefen.
Den Auftakt der Reihe bildet eine Veranstaltung zum Kriegsende und zum antifaschistischen Widerstand. Als Gast begrüssen wir Maurizio Coppola – Soziologe, Journalist und Mitglied der nationalen Koordination der italienischen Partei «Potere al Popolo». In seinem Vortrag analysiert er die historische Situation Italiens und die Rolle der antifaschistischen Bewegung. Ausserdem werden wir an Ettie und Peter Gingold erinnern, die beide in der französischen Résistance aktiv waren und ihr ganzes Leben dem Kampf für eine bessere Zukunft widmeten. Zum Abschluss der Veranstaltung, feiern wir die Befreiung Italiens am 25.April 1945 mit revolutionären Liedern interpretiert vom «Pop’chestra». Siamo tutte e tutti antifascisti!

SAMSTAG, 26.APRIL, 15 UHR, BREITSCH-TRÄFF, BREITENRAINPLATZ 27, 3014 BERN.

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