Das grüne Kuba

sit. Der Anteil erneuerbarer Energie soll in Kuba bis zum Jahr 2030 auf 24 Prozent gesteigert werden. Trotz zahlreichen Schwierigkeiten und den völkerrechtswidrigen US-Sanktionen gibt es Fortschritte. Ein Interview mit dem Journalisten Marcel Kunzmann, der unter anderem in Havanna studierte.

Marcel, Artikel 13 der kubanischen Verfassung sieht unter anderem «die Förderung einer nachhaltigen Entwicklung vor, die den individuellen und kollektiven Wohlstand sowie die Erhaltung und Vermehrung der Errungenschaften der Revolution gewährleistet». Was ist damit gemeint?
Über eine Verfassungsreform hatte Kuba 1992 als eines der weltweit ersten Länder nachhaltige Entwicklung zum Staatsziel erklärt. Dieser Anspruch wurde in der aktuellen Konstitution von 2019 noch einmal bekräftigt und erweitert, deren Text explizit die Bekämpfung des Klimawandels umfasst. Darüber hinaus hat sich das Land zur Erfüllung der UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung verpflichtet.
Mit dem angestrebten «prosperierenden und nachhaltigen Sozialismus» versucht Kuba bis 2030 ein neues Entwicklungsmodell zu implementieren, welches soziale und ökologische Nachhaltigkeit mit Wirtschaftswachstum und Wohlstand verbindet. Mit der Erweiterung der Rolle privater und genossenschaftlicher Betriebe, der Dezentralisierung der Staatsbetriebe sowie durch die stärkere Nutzung von finanziellen Methoden und Marktmechanismen bei der Steuerung der Wirtschaft will das Land über ein robustes Wachstum den Erhalt und Ausbau der Sozialsysteme langfristig absichern.
Eine zentrale Herausforderung besteht in der Transformation der Energiematrix. 2019 erzeugte Kuba mehr als 80 Prozent seines steigenden Strombedarfs mittels Schwerölkraftwerken und Dieselgeneratoren aus fossilen Brennstoffen. Deren Nutzung soll deutlich zurückgehen, der Anteil vollständig erneuerbarer Energien bis zum Jahr 2030 auf 24 Prozent steigen. Vor allem die Biomasse der Zuckerindustrie soll an Gewicht gewinnen, gefolgt von Windenergie und Solarkraft.

Wie läuft die Umstellung auf erneuerbare Energien und worin bestehen dabei die grössten Schwierigkeiten?
Durch die Corona-bedingten Ausfälle der Tourismuseinnahmen, die mehrfache Verschärfung der US-Blockade sowie die anhaltenden wirtschaftlichen Probleme des wichtigsten Handelspartners Venezuela ist Kubas Wirtschaft nach mehreren schwierigen Jahren jetzt in eine schwere Wirtschafts- und Versorgungskrise gerutscht. Für 2020 wird mit einer Rezession von acht Prozent gerechnet. Die Situation bremst natürlich auch Projekte der Energiewende aus, welche an entsprechende Finanzierungsmöglichkeiten geknüpft sind.
Seit 2014 wurden 65 kleinere Solarparks errichtet und im Januar ging mit chinesischer Hilfe das erste Biomassekraftwerk mit einer Leistung von 60 Megawatt ans Netz. Dennoch blieb die Umsetzung der Energiewende bisher hinter den Plänen zurück, die erneuerbaren tragen heute erst rund zu zwei Prozent zum Strommix bei. Inzwischen wurde der Verkauf von Solarpaneelen an Privatpersonen angekündigt. Überschüssiger Strom soll von den Haushalten gegen Vergütung ins Netz eingespeist werden können. In diesem Rahmen sind künftig sicher auch lokale Energie-Genossenschaften denkbar, welche die Umstellung beschleunigen könnten. Kurzfristig sollen Einsparmassnahmen für eine effizientere Verwendung der vorhandenen Ressourcen sorgen. Vorläufer ist die 2005 gestartete «Energierevolution», in deren Rahmen Haushaltsgeräte mittels staatlicher Kredite ausgetauscht und Stromzähler installiert wurden. Die letzten noch vorhandenen US-Kühlschränke wurden damals in kurzer Zeit durch chinesische Neugeräte, Glühbirnen durch Energiesparlampen ersetzt. Mittlerweile läuft die Umstellung auf LED-Technik, die auch bei der Strassenbeleuchtung immer häufiger zum Einsatz kommt.

Wie will Kuba den zunehmenden Folgen des Klimawandels begegnen?
Kuba ist eines der wenigen Länder, wenn nicht das einzige, welches hohe menschliche Entwicklung mit einem Ressourcenverbrauch von unter einem Planeten pro Einwohner vereint. Das heisst übersetzt: würden alle Menschen wie die Kubaner*innen leben, bräuchten wir uns um Klimawandel und Nachhaltigkeit wenig Sorgen zu machen. Obwohl Kuba kaum zur Beschleunigung des Klimawandels beiträgt, ist die Insel wie viele Länder des globalen Südens selbst überproportional von dessen Auswirkungen betroffen, wozu neben steigenden Meeresspiegeln auch immer heftiger werdende Hurrikansaisons zählen, die das Land Milliarden kosten.
Im April 2017 beschloss der Ministerrat den Klimaschutzplan «Tarea Vida» (Lebensaufgabe), den ersten integralen Entwurf zur Bekämpfung der Folgen des Klimawandels auf Kuba. Neben der Sicherung der Wasserressourcen geht es dabei auch um die bereits seit 1959 laufende Wiederaufforstung, Nahrungsmittelsicherheit und ökologische Landwirtschaft, der Schutz der Korallenriffe sowie eine Änderung der Bebauungspläne angesichts steigender Meeresspiegel. Die Erosion von Küstengebieten soll mit der gezielten Pflanzung von Mangrovenwäldern verlangsamt werden.

Was sind die aktuellsten Umweltprojekte in Kuba? Wie steht die Bevölkerung dazu?
Trotz der wirtschaftlichen Schwierigkeiten der letzten Jahre sind einige wichtige Umweltprojekte vorangeschritten, von denen auch die Bevölkerung direkt profitiert. Vergangenen November wurde in Havanna beispielsweise ein neun Kilometer langes Aquädukt eingeweiht, welches grosse Teile der historischen Altstadt, die bisher mit Tanklastwagen bedient werden mussten, mit kühlem Nass versorgt.
Ein weiteres Projekt besteht im Aufbau einer Müll- und Recyclingwirtschaft. Obwohl die aufkommende Müllmenge im Vergleich zu anderen Entwicklungsländern vernachlässigbar ist, brennt das Thema vielen Städtern auf Kuba unter den Nägeln. Grosse Teile des Mülls können nicht recycelt werden und landen auf Deponien bzw. werden verbrannt. Die Erneuerung der Müllabfuhr zum 500. Jubiläum in Havanna war ein erster Schritt auf diesem Weg. Jetzt werden Investor*innen gesucht, welche dabei helfen, eine moderne Recyclingindustrie aufzubauen.
Darüber hinaus sind dieses Jahr neue Wassertarife in Kraft getreten. Bisher war Leitungswasser auf Kuba stark subventioniert, was die Verschwendung extrem begünstigte . Nun steigen die Kosten proportional zum Verbrauch, wobei eine gewisse Grundmenge auf Basis eines Durchschnittshaushalts weiterhin vergünstigt bleibt. Wenn nun aber jeden Tag das Auto mit Trinkwasser abgespritzt wird oder Betriebe ihre Lecks nicht beseitigen, wird es schnell teuer. Ein ähnliches Konzept wurde bereits im Rahmen der «Energierevolution» bei den Stromtarifen eingeführt.

Nachhaltigkeit versus wichtige Einnahmequelle Tourismus: Ein Widerspruch?
Ich denke nicht, dass sich Tourismus und Nachhaltigkeit zwangsläufig ausschliessen – sehe allerdings durchaus die Problematik. Kuba muss jedes Jahr rund 70 Prozent aller Lebensmittel importieren, nicht wenige davon für den Tourismus. Mit den laufenden Reformen, welche Bäuer*innen den Import von Saatgut und Maschinen ermöglichen und die Rahmenbedingungen für die Entwicklung der Lebensmittelindustrie verbessern sollen, will das Land diesen Zustand mittelfristig umkehren – das verbessert natürlich auch die Umweltbilanz des Fremdenverkehrs.
Statt primär auf «Sonne und Strand»-Pakete zu setzen, soll zudem der Ökotourismus gezielt ausgebaut werden. Mit ihren 275 Naturschutzgebieten und 14 Nationalparks verfügt die Insel dafür ideale Voraussetzungen. Sanfter und naturnaher Ökotourismus hilft beispielsweise schon länger dem grössten Schutzgebiet, dem «Nationalpark Alexander Humboldt», Programme für den Artenschutz zu finanzieren. Ein weiteres Beispiel ist das touristisch erschlossene Ökodorf «Las Terrazas» im Biosphärenreservat Sierra del Rosario, etwa 77 Kilometer westlich von Havanna. Aufgrund der hügeligen Landschaft, seiner Beschaulichkeit und Lebensqualität wird es von manchen auch die «kubanische Schweiz» genannt.

Was können wir in der Schweiz und in Europa von der kubanischen Umweltpolitik lernen?
Ich denke es gib einige Punkte, bei denen europäische Länder von Kuba lernen könnten. An erster Stelle wären da die proportional zum Verbrauch steigenden Stromtarife. Bei uns ist es ja so, dass Verbraucher immer weniger für die Kilowattstunde zahlen, je mehr Strom sie beziehen. Das ist praktisch das direkte Gegenteil einer Einpreisung ökologischer Folgekosten und in Bezug auf den Klimawandel absoluter Wahnsinn. Ein anderer Aspekt ist die urbane Landwirtschaft, welche in Kuba Anfang der 1990er-Jahre aus der Not heraus geboren wurde und sich inzwischen einen festen Platz bei der Nahversorgung erobert hat. Auch dieses Modell halte ich für zukunftsweisend mit Blick auf die Schweiz und Europa. Last but not least möchte ich den Öffentlichen Verkehr anführen, der in Kuba absolute politische Priorität geniesst. Auf jeden verkauften Neuwagen wird eine Sondersteuer erhoben, deren Einkünfte in einen Fond zum Ausbau öffentlicher Transportmittel fliessen. Eine Idee, welche besonders in Deutschland extrem unpopulär sein dürfte, in Zeiten der Klimakrise jedoch schon längst hätte implementiert werden können.

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