Zum orangen Zwerg gespart?

flo. Seit Monaten wird bei der Migros auf allen möglichen Ebenen gespart. Nun sollen 1500 Angestellte die Baisse bei den Umsätzen ausbaden. Die ersten 151 von ihnen, haben ihre Stelle bereits verloren.

Der Februar war für die Migros ein Monat lausiger Schlagzeilen. Anfang jenes Monats hatte die Migros, das Privatunternehmen, das mit etwa 98000 Angestellten in der Schweiz am meisten Arbeiter:innen beschäftigt, bekannt gegeben, dass insgesamt 1500 dieser Stellen dem Rotstift zum Opfer fallen würden. Zusätzlich sollen mindestens vier Teilbereiche komplett verkauft werden: das Reiseunternehmen Hotelplan, der Kosmetikproduktionsbetrieb Mibelle, der Elektronikfachhandel Melectronics sowie der Sportfachmarkt SportX. Unklarheit, wie es weitergeht, besteht derweil bei den Teilunternehmen Do It+Garden, Bike World und Micase.

Mehr und mehr Namen
Am 24.Mai wurde dann das nächste Sparprogramm bekannt gegeben: Ebenfalls von den Kürzungen betroffen ist die Unternehmenspublizistik des Genossenschaftsverbunds. Das Kochmagazin Migusto soll neu in vier statt zehn Ausgaben pro Jahr erscheinen, Rezepte will man nicht mehr «inhouse» produzieren – de facto werden diese also wohl irgendwo abgeschrieben. Die publizistische Eigenleistung ausser dem Drucken und Veröffentlichen wird mit den Anpassungen bei Migusto wohl überschaubar sein. Für die Angestellten dürften sich die Entwicklungen beim orangen Riesen seit Beginn dieses Jahres wie ein heftiger, ein brutaler Einschnitt anfühlen. Und tatsächlich beschreiben die ersten Angestellten, die am 21.Mai 2024 ihre Kündigungen erhalten haben, die Stimmung als katastrophal. Vermutlich auch weil sich die Unternehmensleitung offensichtlich keine Gedanken gemacht hatte, wie man diesen ersten Stellenabbau am Hauptsitz an der Zürcher Limmatstrasse etwas weniger aufwühlend für die Arbeiter:innen hätte organisieren können.
Betroffen von den ersten Massenentlassungen waren Angestellte des Standorts Zürich, vor allem solche, die in den Abteilungen Marketing und Kommunikation arbeiteten. Neben den 151 Entlassungen wurde bei weiteren 100 Personen der Vertrag verändert, beziehungsweise verschlechtert. Laut CH-Medien sind drei der Betroffenen werdende Mütter. Sie werden nach Ablauf des Mutterschutzes gehen müssen. Auch junge Familienväter waren betroffen. Gegenüber dem Tages-Anzeiger berichtete eine Angestellte von den Kündigungen: Besprechungsräume seien mit Packpapier blickdicht abgeklebt, Angestellte sollten ihre Mails im Blick behalten. Einige Mitarbeiter:innen hätten im Personalrestaurant geweint. Die Stimmung sei wie nach einem Unglück, einem Flugzeugabsturz gewesen. Immer mehr Namen von Kolleg:innen, die gehen müssen, seien durchgesickert.

Von den Kleinen für die Kleinen?
In ihren Medienmitteilungen zu den Einschnitten und den Sozialplänen präsentiert sich die Migros indes als «soziale Arbeitgeberin». Gewerkschaftsvertreter:innen lassen sich von dieser Rhetorik aber nicht beeindrucken. Gegenüber der Gewerkschaftszeitung «work» erklärte Anna Rubin, Leiterin Detailhandel der Unia: «Viele unserer Mitglieder sind schockiert über das Ausmass. Es kann nicht sein, dass diejenigen, die massgeblich zum Erfolg beitragen, noch einmal die Hauptlast einer undurchsichtigen Strategie tragen sollen!»
Auch die ehemalige VPOD-Präsidentin und Nationalrätin Katharina Prelicz-Huber übte Kritik in einem Interview bei Watson: «Gottlieb Duttweiler dreht sich im Grab um. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ‹Dutti› je geglaubt hätte, dass die Migros zu dem wird, was sie jetzt ist.» Einer Rhetorik, die aber eine gute alte Zeit beschwört, in der Genossenschaften für das Wohlbefinden der Angestellten als auch der Konsument:innen sorgten, ganz nach dem Motto «von den Kleinen für die Kleinen», muss die radikale Linke aber eine Absage erteilen. Am Beispiel der Migros zeigt sich, dass eine Genossenschaft an sich noch keine Betriebsform ist, die Ausbeutung und Prekarisierung beseitigt. Denn dafür ist eine Umwälzung der Besitzverhältnisse und der gesamten Arbeitswelt nötig.

Schluss mit der Genossenschaftsromantik
Gerade in der reformistischen Linken ist die Beschwörung eines Genossenschaftsmodells, das so praktisch nie und nur partiell sowie lokal existierte, en Vogue. Es wird kolportiert, dass man schon einen Kapitalismus mit menschlichem Antlitz, mit keinen oder zumindest viel, viel weniger sozialen Verwerfungen errichten könne, wenn man sich doch auf die Genossenschaften und die Ideale eines Säulenheiligen wie Gottlieb Duttweiler besinne. Mit solchen Narrativen übernimmt die Mainstream-Linke die Unternehmenskommunikation der Migros aus den 1940er- und 1950er-Jahren, mit denen sie sich schlicht als besonders gemeinnützig darstellen wollte. Auch wenn diese erfolgreiche Marketingkampagne bis in die Gegenwart nachwirkt (und in Form von greenwashing, pinkwashing, etc. fester Bestandteil moderner Unternehmens-PR geworden ist), wird ihr Narrativ nicht wahrer.
Auch Duttweiler war ein Kapitalist und als solcher den Zwängen des Marktes ausgeliefert. Seine Umwandlung der Migros vom Aktienunternehmen in einen Genossenschaftsverband hatte eben – wie er Ende der 1950er-Jahre endlich selbst zugab – zumindest teilweise auch ökonomische Gründe. Denn ab 1938 wurde zum Zwecke der Wiederaufrüstung und Arbeitsbeschaffung vom Bund eine Ausgleichssteuer eingeführt. Genossenschaften waren von dieser befreit. Auch das Filialverbot, das Grossverteilern die Eröffnung neuer Geschäftsstellen verbat, wurde mit der neuen Geschäftsform umgangen.
Die Vorstellung, dass Genossenschaften eine so viel sozialere Geschäftsform sei, dürfte mit dem Vorgehen der Migros, die ihre Angestellten dafür büssen lässt, dass man ein «schlankeres» Unternehmen mit mehr Umsatz schaffen will, ziemlich widerlegt sein. Dass die Einschnitte in einer Zeit wirtschaftlicher Unsicherheit und Teuerung kommen, dürfte auch wenig überraschen: Wie der Reformismus ist das Genossenschaftsmodell davon abhängig, ob genug Konjunktur eine milde Umverteilung zulässt. Stockt die Wirtschaft, lassen CEOs und Manager ihre Angestellten über die Klippe springen.

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