Wo-Wo-Wohnige!
flo. Die Mieten steigen, Städte werden mehr und mehr gentrifiziert und unleistbar für Arbeiter:innen. Gleichzeitig gehen Kapitalist:innen gegen Besetzungen und gegen die Häuserbewegung vor. In Winterthur wurde nun dagegen demonstriert.
Die Leute schienen ein wenig überrascht, als man am 2.November in Winterthur beim Stadtpark loslaufen konnte. Die Demonstration, organisiert vor allem durch die lokale Häuserbewegung, hatte rund 500 bis 600 Personen angezogen. Ein relativ guter Wert für die Eulachstadt. Es könnten gar mehr gewesen sein als beim letzten 1.Mai in Winterthur. Und dies, obwohl das Wetter durchaus hätte besser sein können.
Insbesondere der Umstand, dass die Demonstration so gross war, obwohl sie keine Bewilligung hatte, dürfte deutlich machen, wie sehr das Thema über die Häuserbewegung hinaus mobilisieren kann. Dass keine Bewilligung eingeholt wurde, erklärte ein Aktivist am Samstag gegenüber dem Winterthurer Lokalsender Radio Stadtfilter damit, dass man sie bei der Stadt einholen müsse – einer der wichtigsten Player, wenn es darum geht, wie sich die Mieten in der Stadt entwickeln. Die Demonstration zog über die Stadthausstrasse, auf den Oberen Graben, dann die Neustadtgasse entlang zur Technikumsstrasse und umrundete die Altstadt. Der Wohnungsmangel in der Stadt ist nicht wegzureden. Das Motto der Demo: «Kein Profit mit unseren Mieten». Die Demonstration blieb friedlich, die Polizei hielt sich grösstenteils zurück.
«Spinnen die eigentlich?!»
Auffällig war, wie viele Zuschauer:innen und Passant:innen sich mit den Demonstrierenden solidarisierten. «Das ist wichtig und nötig. Am Ende des Monats bleibt mir immer weniger im Portemonnaie. Und dann kommt das Parlament noch auf die Idee, Vermietern zu ermöglichen, unsere Mieten zu erhöhen, spinnen die eigentlich?!», erklärt eine ältere Frau auf der Demonstration auf Nachfrage. Immer wieder hält der Demonstrationszug an, es werden Reden gehalten: «Letztes Jahr gab es noch 86 freie Wohnung in der Stadt», erklärt ein Redner. Es wird reichlich berechtigte Kritik an der städtischen Wohnpolitik geäussert: An die Winterthurer Stadtregierung, den Pensionskassen und die Terresta AG, die die Wohnungen der Stiftung für Kunst, Kultur und Geschichte (SKKG) verwaltet. Die SKKG wurde vom verstorbenen Immobilienmogul Bruno Stefanini gegründet und wird jetzt von seiner Tochter Bettina Stefanini geführt.
1300 Wohnungen in der Stadt sind im Besitz der Terresta. Jahrelang wurden sie verfallen gelassen. Bruno Stefanini kann wohl mit Recht als «Häuser-Messie» bezeichnet werden. Weil andere Liegenschaften (zum Beispiel in der Altstadt, in der Haus an Haus steht) durch den Zerfall der Häuser gar selber statische Probleme bekamen, musste die Stadt mit einer «Lex Stefanini» reagieren und den Häusersammler Stefanini zur Sanierung zwingen. Es wurden Böller gezündet und Sprechchöre angestimmt. Die Demonstrant:innen riefen: «Oisi Strosse, oisi Quartier, weg mit de Yuppies, weg mit de Schmier.»
Erfolgreiche Demo
Für einmal blieb die Winterthurer Polizei grösstenteils friedlich. Vermutlich realisierte sie, dass doch nicht genug Personal in Winterthur vor Ort war, um eine Konfrontation mit der Demonstration zu suchen – zumal am Abend noch ein Super-League-Spiel in Zürich anstand. Erst nach Auflösung der Demo auf der Steinberggasse griff die Polizei zu. Sie kesselte eine Gruppe von Aktivist:innen ein, die den Lautsprecherwagen zur besetzten «Helvti» an der Helvetiastrasse zurückbrachten. Die Demonstrierenden reagierten friedlich, aber bestimmt. Aktivist:innen umkreisten den Kessel und teilten der Polizei mit, was sie von der Aktion hielten. Der Polizei dürfte es dabei wirklich nur darum gegangen sein, noch ein wenig Druck auszuüben und Aktivist:innen zu drangsalieren. Jedoch war die Zahl der Polizist:innen relativ gering, sodass man mit einem Absperrband die Strasse an der Kreuzung Holderplatz-Technikumstrasse sperren musste. Als eine Aktivistin jenes Absperrband von aussen durchriss, platzte einer Polizistin der Kragen – sie stürmte auf die Demonstrantin zu. Ein weiterer Demonstrant stellte sich der Polizistin in den Weg, was den Einsatzleiter verleitete, Pfefferspray zu spritzen – nur um nachher in seine eigene Reizgaswolke zu laufen. Ein tragischkomischer Abschluss einer erfolgreichen Demonstration.
PdA vor Ort
Eine bewilligte Demonstration hätte möglicherweise mehr Menschen mobilisiert. Dennoch sollte den Organisator:innen nicht vorgeworfen werden, keine Genehmigung eingeholt zu haben. Zunächst müssen wir betonen: Das Versammlungsrecht ist unveräusserlich. Es ist ein Grundrecht gegenüber dem bürgerlichen Staat. Dass ebendieser Staat uns erlauben oder verbieten kann, wo, wann und wie wir dieses Recht nutzen, um für die Organisation unserer Städte zu demonstrieren, erscheint paradox. Zudem gilt es, die Bewegung für bezahlbaren Wohnraum zu verallgemeinern und sie möglichst breit in den Massen zu verankern. Schliesslich betrifft unbezahlbarer Wohnraum alle Proletarier:innen. Folglich ist es sinnvoll, diese Kämpfe auch für vulnerable Gruppen (etwa Menschen ohne Aufenthaltsbewilligung) zugänglicher und sicherer zu gestalten. Die Partei der Arbeit in Winterthur hatte sich bereits an den Mobilisierungen im Quartier Hegi beteiligt. An der Demo selbst nahmen Genoss:innen sowohl aus Winterthur als auch aus Zürich teil. Der Erfolg der Demonstration und insbesondere die positive Resonanz verdeutlichen: Der Kampf für bezahlbare Mieten bietet Chancen und Möglichkeiten. Viele, die sonst eher über demonstrationsbedingte Verkehrsbehinderungen klagen würden, zeigten sich am vergangenen Samstag in Winterthur solidarisch mit einer von der Häuserbewegung organisierten Demonstration.