«Wir kämpfen weiter»

sit. Die PdA-Genossinnen Sevin Satan und Rita Maiorano haben zusammen 17’000 Stimmen erhalten und somit ein erstaunlich gutes Resultat bei den Ständeratswahlen im Kanton Zürich erzielt. Der vorwärts sprach mit ihnen über die möglichen Gründe, den Rechtsrutsch im Parlament und einiges mehr.

Wie fühlt ihr euch 48 Stunden nach dem Wahlsonntag?
Sevin: Ich bin müde und erleichtert. Nebst der Lohnarbeit, der Familie, der sonstigen politischen Arbeit noch zusätzlich eine Wahlkampagne zu führen, war sehr anstrengend. Da wir für die Ständerat- und Nationalratswahlen ein Budget von insgesamt 15’000 Franken hatten, waren wir ständig am Flyer stecken und Plakate kleben. Hinzu kam der administrative Teil, da wir viele Fragen aus der Bevölkerung bekamen, die wir gerne beantworteten. Dann noch Interviews, Stände, ein Radio- und ein TV-Auftritt, zwei Podien: Ich kam doch ans Limit. Ich war nie ein Fan von Wahlen und parlamentarischer Arbeit. Aber es hat sich gelohnt und ich habe viel gelernt, daher verspüre ich auch eine Brise Freude.

Rita: Ich bin froh, ist es vorbei. Der Wahlkampf hat viel Arbeit und Energie gekostet. Gleichzeitig ist mir aber auch bewusst, dass wir weiterkämpfen müssen. Und ich bin immer noch etwas erstaunt über unser Wahlresultat, das ich so nicht erwartet hatte. Ein schöner Abschluss der Wahlkampagne war der Wahlsonntag im PdA-Sekretariat. Es kamen zahlreiche Genoss:innen und Sympathisant:innen, was mich sehr gefreut hat. Wir haben viel diskutiert und auch bereits Ideen gesammelt, wie wir nach den Wahlen weitermachen können. Denn eines ist klar: Wir haben noch viel Arbeit vor uns, was auch die Resultate der Nationalratswahlen auf nationaler Ebene zeigen.

Wie erklärt ihr euch das tolle Ergebnis, das ihr erzielt habt? Was sind die Gründe dafür?
Sevin: Zuerst einmal Danke an alle, die uns gewählt haben. Danke auch allen, die uns gewählt hätten, aber nicht konnten, da sie nicht wahlberechtigt sind. Ihre Solidarität war gleich viel wert und sehr stärkend für mich. 17’000 Menschen im Kanton Zürich sind mit dieser Scheindemokratie nicht zufrieden und wollen feministische und antikapitalistische Themen ins Parlament tragen. Wir boten diese Möglichkeit und Alternative an.

Rita: Für eine schlüssige Erklärung ist es noch zu früh. Es braucht eine vertiefte Auswertung, die wir sicher vornehmen werden. Fakt ist aber: Die Menschen, die uns ihre Stimme gaben, haben nicht mich oder Sevin als Person gewählt, sondern die Themen, die wir eingebracht haben. Das erfüllt mich mit Freude, denn das war auch das Ziel unserer Kandidatur. Wir wurden von vielen Genoss:innen und Sympathisant:innen unterstützt, dafür bedanke ich mich bei allen herzlich. Ohne ihr Engagement hätten wir wohl nie so ein Ergebnis erreicht.

Ihr seid angetreten, damit die Forderungen des feministischen Streiks nicht in Vergessenheit geraten. Ist euch das Vorhaben gelungen?
Sevin: Allein die Tatsache, dass in der Stadt Zürich über einen Monat lang violette, grosse Plakate mit dem Motto «Frau*, Leben, Freiheit» und der Aufforderung «Auf zum nächsten feministischen Streik!» gut sichtbar ausgehängt waren, empfinde ich als einen Erfolg. Und auch, dass wir überall dort, wo wir sprechen oder auftreten konnten, immer wieder Forderungen aus dem feministischen Manifest einbrachten und die Menschen, sich das zum Teil ungern anhören mussten, aber zum Teil auch gerne anhören wollten. Uns wurde von unserer Partei, frei nach den Worten Lenins gesagt, die politische Bühne geboten, um unsere Forderungen sichtbar zu machen. Das haben wir genutzt und ich denke, dass es gut gelungen ist.

Rita: Ich stimme Sevin zu. Teilweise ist es uns wirklich gut gelungen, auch wenn wir mit unserem kleinen Budget leider nicht alle Menschen erreichen konnten und die zwei grossen Tageszeitungen in der Stadt Zürich uns komplett totgeschwiegen haben. Vielleicht hatten sie Angst vor uns, wer weiss … (lacht). Aber unsere Kleber und Plakate waren in der ganzen Stadt gut sichtbar. Wir haben mehrere Standaktionen durchgeführt, bei denen es zu sehr spannenden und auch kontroversen Diskussionen über den feministischen Streik und seine Forderungen kam.

Was für Schlüsse zieht ihr aus dem Wahlkampf? Was hat euch positiv überrascht, was negativ?
Sevin: Dies war erst der Anfang. Wir müssen dranbleiben, sowohl an den feministischen Forderungen als auch an den Wahlkämpfen. Überrascht war ich, als ich sah, auf welchen Listen ich panaschiert wurde. So stand mein Name auch 25-mal auf einer SVP-Liste. Zuerst dachte ich: Ich sehe nicht richtig, dann musste ich einfach nur lachen. Ich kam zur Schlussfolgerung, dass diese 25 Stimmen sicher von Frauen sein müssen, die in Bezug auf meine Äusserungen zur Gleichstellung, Care-Arbeit, Gewaltprävention und Renten sich angesprochen gefühlt haben, da diese Themen auch sie direkt betreffen. Wenn das tatsächlich so ist, dann habe ich doch etwas bewirkt.

Rita: Für den Ständerat zu kandidieren, hat sicherlich dazu beigetragen, dass die Forderungen des feministischen Streiks ein Thema waren. Und zwar überall dort, wo wir die Möglichkeit bekommen haben, uns zu äussern. Es war richtig und wichtig, die Wahlen als Mittel und Zweck für unsere Ziele einzusetzen. Dass dies aber nicht reicht, wissen wir alle und zeigen auch die Wahlergebnisse. Die nächsten wichtigen Aktionen stehen nun an: die Kampagne «16-Tage gegen Gewalt an Frauen» im November, der 8.März und der 14.Juni des kommenden Jahrs, um drei ganz wichtige zu nennen.

Gab es besondere Momente im Wahlkampf?
Sevin: Mich hat es sehr berührt, als Menschen, die ich kannte, mir schrieben: «Danke, dass du kandidierst». Sie haben mich verstanden, denn es braucht Nerven, in dieses Gruselkabinett der Politiker:innen mit Namen Parlament hineingehen zu wollen. Aber darauf zu warten, dass die Parlamentarier:innen unsere Forderungen umsetzen, strapaziert schon seit 30 Jahren meine Nerven. Ich bin eine Frau mit Migrationshintergrund, eine Feministin, eine Kommunistin und heisse zudem zum Nachname Satan. Da braucht man schon gute Nerven in einem Wahlkampf. Daher waren die Nachrichten dieser Menschen Balsam für meine Seele.

Rita: Mich hat die Unterstützung der Juso sehr gefreut, für die ich mich auch an dieser Stelle nochmals bedanke. Je mehr ich mit den Menschen über unsere Forderungen sprach, desto mehr Spass hatte ich dabei. Interessant war auch zu beobachten, wie die Menschen reagierten, als sie begriffen, dass sie mit einer Kandidatin für den Ständerat am Reden waren: Viele wirkten überrascht und erstaunt. Wohl auch deswegen, weil sie noch nie die Möglichkeit hatten, mit einer Kandidatin zu sprechen.

Das Schweizer Parlament ist noch weiter nach rechts gerückt, die rassistische SVP wird noch stärker. Was sind die Hauptgründe?
Sevin: Wenn man 14 Millionen Franken in einen Wahlkampf investiert, so wie die SVP, und eine Hetz- und Angstkampagne lanciert, dann muss man die Antwort nicht lange suchen. Zudem sind die linken Parteien viel zu wenig radikal im Einfordern und auch im Gegendruck ausüben.

Rita: Die Rechnung der SVP ist aufgegangen, ob es uns passt oder nicht. Sie hat es geschafft, den Menschen Angst zu machen, dass viele Migrant:innen in die Schweiz kommen und den Schweizer:innen alles wegnehmen. Viele Menschen haben aufgehört, kritisch zu denken, sie hinterfragen nicht, was sie lesen oder hören, nehmen selbst die billigste SVP-Propaganda als bare Münze. Und dies ist ein Problem, das wir Linke ernst nehmen und uns fragen müssen, was wir dagegen unternehmen müssen. Denn, wie einst mal ein kluger Genosse sagte: «Der Kapitalismus braucht Konsument:innen, der Sozialismus hingegen kritisch denkende Menschen.» Die einseitigen Berichterstattungen der bürgerlichen Medien über die Kriege, die immer näher zu uns kommen, haben das Wahlverhalten sicher auch beeinflusst.

Und was sind eure Antworten auf diesen Rechtsrutsch?
Sevin: No passaran! Was ich den Rechten zugestehen muss, ist die Tatsache, dass sie jederzeit fähig sind, gemeinsam zu arbeiten. Sie führen keine ideologischen Kämpfe, sondern fokussieren sich auf das Wesentliche: Macht und Kapital in den patriarchalen Strukturen. Wir Linke hingegen sind so mit unseren eigenen Ideologien und Utopien beschäftigt, dass wir uns immer noch mit gegenseitigen Anschuldigungen herumstreiten, wer von unseren Idolen jetzt der/die bessere ist. Mir ist das im Endeffekt komplett egal. Wenn wir so weiterfahren wie bisher, schneiden wir uns weiter ins eigene Fleisch und spielen den Rechten in die Hände. Wichtig ist, dass wir als Linke sicher alle ein gemeinsames Ziel haben: ein menschenwürdiges Leben für alle im Einklang mit der Natur. Um es zu erreichen, reicht es aber nicht, an einer Demo «Schulter an Schulter gegen den Faschismus» zu rufen. Wir müssen es verinnerlichen und umsetzen. Dafür müssen wir alle auch fähig sein, über unseren eigenen Schatten zu springen. Wir müssen endlich lernen, zusammenzukommen, zusammen zu kämpfen. Es ist die Zeit für Zusammenarbeit, Toleranz und Solidarität. Wir müssen die feministischen Kämpfe zuoberst auf die Agenda setzen. Ich bin, wie viele andere auch, davon überzeugt, dass eine Gesellschaft nur so frei sein kann, wie es die Frauen in dieser Gesellschaft sind.

Rita: Ich antworte mit einem Zitat von Gregor Gysi, der in einem Interview eine Tatsache im Kapitalismus so schön auf den Punkt brachte. Er sagte: «Wenn wir in der Gesellschaft etwas verändern und mehr soziale Gerechtigkeit herstellen wollen, dann müssen wir den Blick nicht zur Seite, sondern nach oben richten. Wir müssen das Verhältnis von Armut und Reichtum umverteilen.» Daran gilt es zu arbeiten, dafür lohnt es sich weiterhin zu kämpfen.

Zum Schluss: Wie geht es jetzt nach diesem tollen Wahlergebnis weiter?
Sevin: Wir kämpfen weiter. Alle Menschen, die hinter dem feministischen Streik stehen oder sich als Linke sehen, sollen alle ihre Mittel nutzen, um die Forderungen immer wieder und überall zu wiederholen und einzubringen. Sei dies, indem sie sich die Strassen nehmen, demonstrieren, Kundgebungen abhalten, Initiativen und Petitionen starten, am Arbeitsplatz streiken, sei es zu Beginn auch nur für eine Stunde. Alle, die sich im Parlament als links sehen, müssen die Forderungen in einer radikaleren Form voranbringen. Um unsere Ziele zu erreichen, braucht es uns alle.

Rita: Es geht genauso weiter wie vor dem Wahlergebnis: Wir stellen unsere Forderungen ins Zentrum unserer politischen Aktivitäten. Die Lohngleichheit muss durch einen staatlichen, griffigen Kontrollmechanismus garantiert werden. Care-Arbeit soll als Lohnarbeit anerkannt werden, damit sie auf die Rente einen Einfluss hat. Auszubauen sind die Massnahmen zur Bekämpfung von rassistischer und queerfeindlicher Gewalt. Als Gesellschaft müssen wir gemeinsam Rassismus, Homophobie und Sexismus aus der Welt schaffen, denn darauf können wir alle definitiv verzichten. Zu erhalten und auszubauen sind alle Projekte, die die gesellschaftliche Teilnahme von Migrant:innen fördern. Die Massnahmen zum Klimaschutz müssen ausgebaut werden, und zwar sofort, denn einen Planet B haben wir nicht. Wir lehnen die BVG-Reform ab und fordern stattdessen, dass das 3-Säulen-Prinzip bei der Altersvorsorge abgeschafft wird zugunsten einer einzigen solidarischen Säule und öffentlichen Altersvorsorge, der AHV. Und die Einführung einer 13.AHV-Rente. Wie zuvor erwähnt: Wir haben noch viel Arbeit vor uns, packen wir sie gemeinsam an.

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