Vorschlag gegen das Pflegepersonal
sit / Alois Seger. Die Initiative «Für eine starke Pflege» kommt am 28.November zur Abstimmung. Bei einer Ablehnung tritt der Gegenvorschlag des Bundesrats in Kraft, der vom Parlament abgesegnet worden ist. Dieser lässt zur Freude der Arbeitgeber*innen zentrale Forderungen der Initiative aussen vor.
«Die Qualität der Pflege in der Schweiz ist gefährdet. Derzeit sind 11000 Stellen in der Pflege unbesetzt und bis 2029 braucht es weitere 70000 neue Pflegende. Zudem verlassen vier von zehn Pflegenden ihren Beruf frühzeitig», ist auf der Website pflegeinitiative.ch zu lesen. Ziel des Volksbegehrens «Für eine starke Pflege», das am 28.November zur Abstimmung kommt, ist es, diese Missstände zu beseitigen. Dies mit einer «Ausbildungsoffensive», durch die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und die Sicherung der Pflegequalität. Dass dies alles eine absolute Notwendigkeit ist, wissen alle spätestens seit Ausbruch der Pandemie. Daher die Frage: Wer hat ein Interesse daran, dass die Initiative scheitert und warum?
Eng verflochten
Die Antwort beginnt damit: Wird die Initiative abgelehnt, tritt der Gegenvorschlag des Bundesrats in Kraft, der vom Parlament abgesegnet wurde. So präsentiert sich die Ausgangslage im Abstimmungskampf so: In der einen Ecke des Rings steht das Pflegepersonal. In der Ecke gegenüber befinden sich die Berufsverbände der Arbeitgeber*innenseite, die oft eng mit den Ausbildungszentren der Gesundheitsberufe verflochten sind. So wie bei Xund, ein von den Arbeitgeber*innen und Betrieben getragener Verband und Bildungszentrum in der Zentralschweiz. Mit rund 2660 Lernende und Studierende, über 100 Mitarbeitende und 460 Dozierende ist Xund eines der grössten Bildungszentren für Gesundheitsberufe der Schweiz. Unter dem Xund-Dach befindet sich der Berufsverband mit Namen «Organisation der Arbeit» (OdA), der die Interessen von 264 Gesundheitsbetrieben der Zentralschweiz wahrnimmt und vertritt (siehe auch Artikel unten)
Eine Milliarde als «Schmiergeld»
Der Vergleich zwischen Initiative und Gegenvorschlag zeigt, warum sich die Arbeitgeber*innenseite für den Gegenvorschlag ausspricht – und somit gegen die Initiative. So verlangt die Initiative bei den Arbeitsbedingungen, dass der Bund «für anforderungsgerechte Arbeitsbedingungen» sorgt, wie auf der Website admin.ch informiert wird. Denkbar wäre somit die Festlegung eines Minimallohns auf Bundesebene für das Pflegepersonal. Davon will der Gegenvorschlag nichts wissen: «Arbeitsbedingungen und Löhne bleiben primär in Zuständigkeit der Kantone, Betriebe und Sozialpartner», hält der Bund fest. Ganz im Sinne der Branchenverbände. Gleiches bei der beruflichen Entwicklung, für dessen Möglichkeiten der Bund zuständig sein soll. So das Ziel der Initiative. Im Gegenvorschlag sollen die «Bildungsakteure zuständig für die Entwicklung der Berufsbilder» bleiben. Mit der Initiative können bei den Arbeitsbedingungen und bei der Ausbildung Minimalstandards- wie zum Beispiel eben ein Mindestlohn – gesetzt werden, die eingehalten werden müssen und dies passt der Arbeitgber*innenseite nicht in den Kram. So einfach.
Wie wichtig die Hoheit in Sachen Arbeitsbedingungen und berufliche Entwicklung für die Kapitalseite ist, zeigt Folgendes: Bei der «Ausbildungsoffensive», einen zentralen Anliegen der Initiative, sieht der Gegenvorschlag den Betrag von einer Milliarde Franken vor. Die Initiative lässt hingen die konkrete Umsetzung offen. Etwas böse gesagt, ist diese Milliarde das «Schmiergeld», um den Gegenvorschlag der Bevölkerung schmackhaft zu machen. Klar ist, dass von diesem Geld die Bildungsinstitute und Betriebe der Gesundheitsbranche profitieren werden. Es erstaunt daher wenig, dass Xund unter anderem wegen der Milliarde den Gegenvorschlag als «ein geeignetes Mittel, um die Attraktivität der Pflegeausbildung zu steigern und zeitnah dem Fachkräftemangel zu begegnen» erachtet, wie es auf Anfrage schreibt. Und der Gegenvorschlag sei «pragmatischer und rascher umsetzbar».
Einfaches Fazit
Pragmatischer und rascher umsetzbar? «Das ist Augenwischerei. Die Initiative sieht vor, dass die Umsetzung innert vier Jahren erfolgen soll. Aber in den Übergangsbestimmungen ist explizit vorgesehen, dass der Bund bereits innert 18 Monaten erste Massnahmen gegen den Fachkräftemangel in der Pflege umsetzen muss», sagt Viviane Hösli, Zentralsekretärin der Gewerkschaft VPOD Zentralschweiz auf Anfrage. Und sie erinnert daran, dass ein Referendum gegen den Gegenvorschlag ergriffen werden kann. Wäre dies der Fall, würde die Umsetzung noch länger auf sich warten lassen.
Finanziert wird die Milliarde von Bund und Kantonen, und zwar jeweils zur Hälfte, wie Samuel Burri, Branchenverantwortlicher Pflege der Gewerkschaft Unia dem vorwärts erklärt. «Bei der Ausbildungsunterstützung, wie sie der Gegenvorschlag vorsieht, fliesst das Geld aber nur, wenn die Kantone ihren Anteil zusichern», führt Burri weiter aus. Ergo: «Der Gegenvorschlag tritt erst in Kraft, wenn die kantonalen politischen Prozesse abgeschlossen sind. Und dann erst können zusätzliche Pflegende ausgebildet werden, was wiederum drei Jahre dauert. Der Gegenvorschlag wird die unmittelbare Situation der Pflegenden also nicht verändern.»
So ist das Fazit einfach: Während die Pflegeinitiative die Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Pflegenden zum Ziel hat, werden mit Gegenvorschlag des Bundes die Interessen der Kapitalseite wahrgenommen. Das Volk hat die Wahl.