«Völlig verhärtete Situation»
dab. Die Verhandlung gegen Brian K. vor dem Zürcher Obergericht Ende Mai wurde in seiner Abwesenheit von seinen Anwälten Thomas Häusermann, Bernard Rambert und Philip Stolkin zu einer Anklage gegen das schweizerische Justizsystem gemacht. Sie forderten seine Entlassung aus dem Strafvollzug.
Das Gericht fällte noch kein Urteil, die sofortige Haftentlassung wurde abgewiesen. Brian bleibt in Isolationshaft, was gemäss internationalen Expert*innen einer Folter gleichkommen kann. 2019 wurde Brian vom Bezirksgericht Dielsdorf unter anderem wegen versuchter schwerer Körperverletzung, Sachbeschädigung, Drohung und weiteren Delikten zu vier Jahren und neun Monaten Gefängnis sowie zu einer «kleinen Verwahrung» verurteilt. Er soll im Strafvollzug psychiatrisch behandelt werden, lehnt aber die Therapie ab. Als Begründung für seine Abwesenheit gab Brian K. in seinem bewilligten Dispensationsgesuch dem Zürcher Obergericht an, er sei wegen der unerträglichen Haftbedingungen nicht imstande, an der Verhandlung teilzunehmen.
Unheilvolle Mühlen
Die folgenden Zitate stammen aus der Verhandlung vor dem Obergericht. «Die Härte der Haftbedingungen für den Gefangenen und das Leid, das Brian seit dem Abbruch des Sondersettings angetan wurde», erfordern laut den drei Verteidigern «zwingend die sofortige und bedingungslose Entlassung aus der Haft.» Das Gericht sah sich mit Foltervorwürfen gegen das Justizvollzugssystem konfrontiert, auf die es beim nächsten Verhandlungstermin antworten muss. «Beim Abbruch des erfolgreichen, für Herrn K.* im Jahre 2012 eingerichteten Sondersetting hat der Mob Regie geführt», sagte Verteidiger Bernard Rambert angesichts der breit angelegten Medienkampagne, die Brian K. als unberechenbares Monster «Carlos» dargestellt hatte. Die Abkürzung des Namens «Brian K.» erinnert übrigens zufällig an die Hauptfigur «Josef K.» in Franz Kafkas Roman «Der Prozess», die – in anderen Zusammenhängen – in die unheilvollen Mühlen der Behörden geriet.
Der damalige Vorsteher der kantonalzürcherischen Justizdirektion, Martin Graf, soll vor der vom «Blick» angeführten Hetzkampagne im Sommer 2013 einen Kniefall gemacht haben, um seine eigene Haut zu retten: «Es wurde gelogen und mutwillig eine erfolgreiche Therapie sabotiert» so die drei Anwälte, «damit tragen er und sein damaliges Departement die volle Verantwortung für das unendliche Leid, das Herr K. seither erleiden musste.» Rechtsanwalt Philip Stolkin sagte sogar: «Es wurde ein Jagdschein auf Brian ausgestellt, 2700 Schlagzeilen wurden geschrieben, um den Sensationshunger der breiten Masse zu stillen.» Brian sei in der Öffentlichkeit, über die mediale Berichterstattung vorverurteilt worden, so Stolkin. «Doch der Staatsanwalt sah keinen Anlass, in pompösen Interviews auf die Unschuldsvermutung hinzuweisen, obschon gerade er diese hätte wahren sollen. In dubio pro reo», mahnte Stolkin mehrfach: «Im Zweifel für den Angeklagten».
«Urbanioks Scharlatanerie»
Das Bezirksgericht Dielsdorf stützte sich im angefochtenen Urteil in der Anordnung der kleinen Verwahrung nach der Überzeugung der Verteidiger auf ein Gutachten, welches den wissenschaftlichen Anforderungen in keiner Weise nachkommt: «Die Methode Urbaniok, die dahinter steckt, muss man als ‹Scharlatanerie› bezeichnen.» Bernard Rambert: «Die Staatsanwaltschaft will Brian wegsperren und von seiner Familie fernhalten. Abschotten und umerziehen – mir erstarrt das Blut in den Adern.» Rambert zitierte die Luzerner Oberrichterin Marianne Heer: «Die kleine Verwahrung kommt einer Todesstrafe gleich». «Eine Massnahme, wie sie die Staatsanwaltschaft fordert, ist mit Verweis auf Art.7 EMRK und Art.4 des 7.Zusatzprotokolls völkerrechtswidrig», so Philip Stolkin. «Das Massnahmenregime verstösst zudem gegen Art.5 EMRK, da die Massnahme einen Strafantritt während ihrer Dauer aufschiebt, was in aller Regel zu einer Haftentlassung am St. Nimmerleinstag führt. Eine unendlich lange Haft verstösst zudem ebenfalls gegen das Verbot der unmenschlichen Handlung.»
Herr K. werde seit Sommer 2018 systematisch gefoltert, sagte Bernard Rambert. «Es muss heute darum gehen, die völlig verhärtete und für Herrn K. äusserst gefährliche Situation, zu welcher der Haftvollzug geführt hat und die den Charakter eines Teufelskreises angenommen hat, grundlegend und nachhaltig zu durchbrechen. Ich frage mich, wann diesem Wahnsinn endlich ein Ende gesetzt wird.» Obwohl die Straftat nicht bewiesen werden könne, werde eine Massnahme gefordert, «eine unendlich lange Haft», sagte Rechtsanwalt Thomas Häusermann. «Zudem ist erschreckend, dass der Staatsanwalt die Gutachten, die erstellte Folter, einfach vom Tisch fegen will, wenn er sagt, die Verteidigung behaupte dies nur. Es wäre zu erwarten, dass er diese Vorwürfe ernst nimmt. Ich bin über seine Berufseinstellung schockiert.»
Intervention und Bericht
Es kommt erfahrungsgemäss kaum je zur Entlassung aus der Verwahrung, sie kommt de facto einem Einsperren auf Lebzeiten gleich. Nachdem der junge Mensch seit fast drei Jahren in Isolationshaft sitzt, stellen sich menschenrechtliche Fragen. Die Anwälte konsultierten die entsprechenden Experten. Nils Melzer, UNO-Sonderberichterstatter für Folter, wird beim Schweizer Aussenministerium intervenieren und weitere Abklärungen fordern. Der internationale Dachverband zur Unterstützung von Folteropfern IRCT veranlasste einen forensischen Expertenbericht zu den Haftbedingungen. Das Gutachten kommt zum Schluss, dass zahlreiche Mindeststandards nicht erfüllt werden und die Bedingungen von Brians Haft in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Pöschwies «in hohem Masse der Definition von Folter und anderen unmenschlichen, erniedrigenden Behandlungen entsprechen».
Weiterer Text siehe Seite 4.