Umwelt oder Barbarei

lmt. Die Klimakrise findet hier und jetzt statt. Weiter wie bisher ist keine Option. Die Folgen der Übernutzung der natürlichen Ressourcen sind bereits heute spürbar und bedrohen unsere Zukunft. Am 9. Februar erhält die Schweizer Bevölkerung die Möglichkeit, dem ein Ende zu setzen.

«Umweltschutz muss auch ohne die Überwindung des Kapitalismus möglich sein», schreibt Herr Staehelin vom Tages-Anzeiger am 24.Januar. Faktisch soll der Hauptverursacher der Klimakrise bleiben, und dennoch soll die Umwelt gerettet werden. Ein in sich unüberwindbarer Widerspruch, meinen Sie nicht auch, Herr Staehelin? Denn verantwortlich für die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen ist unwiderruflich das wachstums- und profitorientierte Wirtschaftssystem – sprich, der Kapitalismus. Grosskonzerne setzen alles daran, ihre Profite zu maximieren, ohne Rücksicht auf Umwelt oder Gesundheit. So ist dieses Wirtschaftsmodell aufgebaut, daher bedeutet es auch Krise statt Zukunft.
Doch am 9.Februar erhält die Bevölkerung hierzulande die Möglichkeit, den kapitalistischen Wahnsinn mit einem Ja an der Urne einzudämmen. Mit der Umweltverantwortungsinitiative sollen die planetaren Grenzen eingehalten und geschützt werden.

Es ist fünf nach zwölf
Planetare was? Als planetare Grenzen bezeichnet man die Grenzen, ab denen sich die natürlichen Ressourcen der Erde in bestimmten Umweltbereichen nicht mehr erholen können. Sie definieren für verschiedene Bereiche, wie viel Umweltbelastung die Erde aufnehmen kann, bevor Ökosysteme kollabieren. Nehmen wir das Beispiel der Klimaerwärmung. Die planetare Grenze für das Klima wird durch die Konzentration von CO2 in der Atmosphäre definiert. Der sichere Grenzwert wurde auf 350 parts per million (ppm) CO2 festgelegt. Dieser Wert gilt als Schwelle. Unterhalb dieser Schwelle bleibt das Klimasystem relativ stabil. Aktuell haben wir diese Grenze bereits deutlich überschritten. Im Jahr 2024 liegt die CO2-Konzentration in der Atmosphäre bei etwa 420 ppm und steigt weiter an. Die Folgen sind für alle spürbar: extreme Wetterereignisse, Hitzewellen und so weiter.
Einfach ausgedrückt zeigen uns die planetaren Grenzen einen Handlungsspielraum, der die Stabilität der Erde, wie wir sie kennen, erhält. Überschreiten wir die Grenzen, destabilisieren wir unsere Erde und zerstören unsere Lebensgrundlage. Dieses Konzept betrachtet neun für das System Erde wichtige ökologische Grenzen. Entwickelt wurde es von einer internationalen Forschungsgemeinschaft, 2009 erstmals publiziert und seither kontinuierlich weiterentwickelt. Die Wissenschaft sagt klar: Bei der Bekämpfung von Umweltkrisen sind die nächsten zehn Jahre entscheidend. «Wir hätten die planetaren Grenzen nie überschreiten dürfen. Um unsere eigenen Lebensgrundlagen zu erhalten, müssen wir schnell und entschlossen handeln. Nur so bekommen wir die Klimakrise und das Artensterben noch in den Griff», schreibt das Initiativ-Komitee auf seiner Webseite.

Die kleine, unschuldige Schweiz?
Aber was soll die kleine Schweiz schon verrichten können? Eine solche einschneidende Initiative sei unverhältnismässig, da die Schweiz im globalen Kontext nur ein kleiner Fisch sei. Oder? Falsch! Die Schweiz verursacht im Vergleich zu anderen Ländern sehr viele Klimaschäden. Pro Person verursachte sie im Jahr 2022 fünf Tonnen CO2-Äquivalente, womit die planetare Grenze von 0,6 Tonnen massiv überschritten wurde. Ausserdem ist die «kleine» Schweiz eine massive Handelsdrehscheibe sowie Sitz unzähliger Grosskonzerne. Werden alle im Ausland verursachten Emissionen durch Importgüter mit eingerechnet, sind es sogar 14 Tonnen CO2-Äquivalente pro Person und Jahr, was weit über dem weltweiten Durchschnitt von knapp sechs Tonnen liegt. Auch in anderen Bereichen wie der Biodiversität oder dem Stickstoffeintrag liegt die Schweizer Umweltbelastung weit über dem weltweiten Durchschnitt und auch weit über dem, was planetenverträglich ist.

Eine Selbstverständlichkeit
Es überrascht kaum, dass Wirtschaftsverbände, Bundesrat und Parlament für eine Ablehnung der Initiative plädieren. Sie sehen ihre heissgeliebte Wirtschaft zu Recht in Gefahr. Daher möchten sie lieber mit der bisherigen Schweizer Klimapolitik weiterfahren. Doch bringen wir es gleich auf den Punkt: Die aktuelle Klimapolitik der Eidgenossenschaft ist fahrlässig, mangelhaft und schlichtweg unzureichend.
Ist die Initiative wirklich so utopisch und abwegig, wie es die Liberalen behaupten? Nein! Denn die Initiative verlangt, was eigentlich selbstverständlich sein sollte: die Lebensgrundlagen des Planeten und somit der Menschheit zu erhalten. Konkret soll die Schweiz innert zehn Jahren so produzieren und importieren, dass nur so viele Ressourcen verbraucht und Schadstoffe freigesetzt werden, wie unsere Umwelt verkraftet. Anders gesagt, soll die Schweiz innerhalb von zehn Jahren die planetaren Grenzen nicht mehr überschreiten. Dies ist nur mit einem grundsätzlichen Wandel von Wirtschaft und Gesellschaft möglich. Das heisst: Weg vom Profitstreben der Grosskonzerne hin zu einer Wirtschaft, die das Wohl von Menschen und der Umwelt ins Zentrum stellt. Damit die Umsetzung der Initiative sozialverträglich geschehen kann, müssen profitorientierte Konzerne, die einen grossen Teil der Umweltschäden verursachen, einen angemessenen finanziellen Beitrag leisten.

Was geschieht, wenn wir nichts tun?
Und da kommt die Angst der Liberalen und Bürgerlichen ins Spiel. Der Initiativtext schreibt zwar nicht vor, welche Massnahmen und Einschränkungen ergriffen werden müssen, aber um die Ziele erreichen zu können, muss ein anderes Wirtschaftssystem her. Kein Wunder kommen die Bürgerlichen mit ihrem Lieblingsargument daher: Das sei zu teuer. Herr Staehelin vom Tages-Anzeiger hat die liberale Sichtweise bestens auf den Punkt gebracht: «Bei all den Einschränkungen und Steuererhöhungen könnten die Konzerne entweder bald keine hohen Steuern mehr abliefern oder würden vorher auswandern. Wenn die Initiative überhaupt umgesetzt werden könnte, würde sie die Volkswirtschaft in eine tiefe Krise stürzen.»
Schade nur, dass die Bürgerlichen nie die ganze Rechnung präsentieren. Denn was passiert, wenn wir nichts unternehmen und den Planeten weiter unkontrolliert ausbeuten? Dann wird es so richtig teuer! Gemäss einer Studie in der Fachzeitschrift Nature übersteigen global die Kosten des Nichtstuns diejenigen des Klimaschutzes um das Sechsfache. Die ETH Lausanne berechnet die Kosten der Klimakrise für die Schweiz auf bis zu zehn Milliarden Franken pro Jahr. Zudem können zerstörte Existenzen und Todesfälle nicht mit Geld aufgewogen werden. Unter dem Strich kostet die lausige Klimapolitik der Bürgerlichen mehr und wird uns früher oder später nicht nur in eine Wirtschaftskrise, sondern gar in eine Existenzkrise stürzen.

Solidarität heisst Umverteilung
Es wird nicht möglich sein, die Umweltschäden vom Wirtschaftswachstum zu entkoppeln. Denn sogenannte Rebound-Effekte unter einem auf Wachstum ausgelegten Wirtschaftssystem würden jegliche Fortschritte wieder zunichtemachen.
«Deswegen müssen wir die Grundlagen des Systems so ändern, dass Wirtschaftswachstum nicht mehr die Voraussetzung für Wohlstand und Fortschritt ist», schreibt das Initiativ-Komitee. Das Geld und die Technologien für einen ökologischen Wandel existieren, bisher fehlt der politische Wille für eine sozialgerechte Umverteilung.

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