Tarifschock

flo. Als wäre die Teuerung nicht für die Massen in diesem Land brutal genug, beschliessen Bürgertum und Kapital, dass Arbeiter:innen leiden müssen, damit sie Profite machen können. Dabei ist der aktuelle Prämienschock nur der jüngste in einer langen Reihe von Angriffen auf unsere Lebensumstände. Der nächste wird bestimmt bald kommen.

Die Teuerung könnte die wohl grösste gesellschaftliche, ökonomische und soziale Bedrohung sein, die aktuell in der Schweiz existiert. Bereits in der vorletzten Ausgabe dieser Zeitung rechneten wir vor, dass man, ausgehend vom Medianlohn, im Vergleich zu 2004, 50 Prozent länger arbeiten muss, um sich die durchschnittliche Jahresprämie bei den Krankenkassen leisten zu können. Und vor einem Monat warnten wir einmal mehr: Vertraut nicht auf das Parlament! Vertraut nicht auf den Staat!

Die Steigbügelhalter
Die Bourgeoisie im Parlament, jene Handlanger des Kapitals, werden – und ehrlich gesagt, sind wir ein wenig überrascht, wie rasch wir in unserem Zynismus gegenüber dem bürgerlichen Staat bestätigt wurden – alles Mögliche unternehmen, um sicherzustellen, dass die Profite ihrer schwerreichen Klientel unter keinen Umständen bedroht werden. Die kürzlich angekündigten Sparprogramme des Bundes (siehe dazu Seite 5) haben in dieser Sache dieselbe Stossrichtung wie der kürzlich angekündigte erneute Prämienanstieg. Und gerade die ungebremste Explosion bei den Gesundheitskosten (so soll auch die Mindestfranchise erhöht werden) wird eine Verschlechterung der Gesundheit der Ärmsten bedeuten.

Schockierende Gleichgültigkeit
Als die sozialdemokratische Sozialministerin Elisabeth Baume-Schneider am 26.September bei einer Medienkonferenz ankündigte, dass die Krankenkassenprämien in manchen Kantonen im nächsten Jahr im Extremfall bis zu zehn Prozent teurer werden, war klar: Der Bund erwartet vor allem von den Kantonen Massnahmen. Obwohl Abbau- und Austeritätsprogramme auch in den Kantonen und Gemeinden wüten, zückt der Bundesrat den Föderalismus-Joker. Sollen es andere richten.
Im Durchschnitt werden die Versicherten in der Schweiz im nächsten Jahr sechs Prozent mehr für Prämien ausgeben. Dieser Anstieg wird mit dem Kostenanstieg im Gesundheitswesen begründet. Dieser lag jedoch mit 4,6 Prozent unter dem mittleren Anstieg der Prämien. Ein Teil der Kostensteigerung ist derweil auf die Preispolitik der Pharmalobby zurückzuführen. So berichtet das Gesundheitsnetzwerk Medicus Mundi Schweiz auf seiner Homepage: «Obwohl davon ausgegangen wird, dass es möglich wäre, Insulinanaloga zum Preis von rund 100 Franken pro Jahr und Patient profitabel herzustellen und zu verkaufen, werden diese Produkte heute eher dreimal so teuer verkauft.» Als Massnahme empfiehlt Gesundheitsökonom Thomas Vogel, Urheber des Medicus-Mundi-Artikels, unter anderem Marktregulierungen. Wegen gewisser bestehender Regularien in der Schweiz werden tödliche Preisexplosionen, wie die beim Insulin in den USA, tendenziell abgefedert. Das System der Preisfestsetzung könnte aber kaum kurioser sein.

Preispolitik: abgeschrieben
Um nämlich die Preise von Arzneimitteln festzusetzen, schreibt die Schweiz de facto das Resultat der Preispolitik anderer Länder ab: «Heute werden die Preise in Dänemark, Deutschland, den Niederlanden, Grossbritannien, Frankreich und Österreich berücksichtigt», heisst es in der Erklärung auf der Homepage des Bundesamts des Inneren vom 16.Juni zur Anpassung der Preisfestsetzung. Die Gruppe der Länder, deren Preise für die Festsetzung gelten, soll erweitert werden: «Neu sollen für die Preisfestsetzung von Originalpräparaten, die von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) vergütet werden, auch die Preise in Belgien, Finnland und Schweden hinzugezogen werden.»
Neu sollen auch Rabatte, die es in manchen Ländern als sozialpolitische Massnahme für Prekarisierte für Medikamente gibt, in die schweizerische Preisfestsetzung einfliessen. Da Medikamentenpreise in Belgien, Finnland und Schweden insgesamt stärker reguliert werden, ist auch hierzulande zumindest eine leichte Abfederung der Preissteigerung zu erwarten. Trotzdem muss man es sich auf der Zunge zergehen lassen: Anstatt sein Gesundheitswesen selbst zu regulieren, berücksichtigt man neu beim «abluege» die Regulierungen stärker. Das Grundproblem bleibt aber: Die gestiegenen Medikamentenpreise werden ebenso wie die Profitorientierung des Gesundheitswesens zum Ballast, zum Milliardengeschäft für einige wenige und in Form höherer Prämien wegen höherer Gesundheitskosten wieder ans Kollektiv weitergegeben. Gleichzeitig klagen Krankenhäuser über drohende Profiteinbussen, da aufgrund der Massnahmen gegen den Kostenanstieg mehr ambulante Behandlungen stattfinden.

Kein Allheilmittel
Vielen Progressiven scheint in dieser Lage die Forderung nach einer Einheitskasse die Nächstliegende. Und festzuhalten ist auch: Die Forderung ist auch korrekt. Die Einführung einer Einheitskasse ohne die Umwälzung anderer Bereiche des Gesundheitswesens wäre ein schlechtschweizerischer Kompromiss. So wie etwa die Preisfestsetzungspolitik des Bundes und der Dschungel von rund 40 Krankenkassen. Diese bieten unzählige verschiedene Leistungen an, die aufgrund von 26 unterschiedlichen kantonalen Regelungen zu Prämienverbilligungen überall variieren und somit unterschiedlich viel kosten.
Weitergehende Forderungen wie die Abschaffung der Fallpauschale, die Reorganisation des Gesundheitswesens nach Gesichtspunkten des Service Public, nicht der Profitmaximierung, und die staatliche, demokratisch kontrollierte Produktion von günstigen Arzneimitteln müssen deshalb Teil der Antwort der Schweizer Linken auf den Prämienschock sein. Das Schweizer Gesundheitswesen krankt vor allem am Markt, daran, dass mit unseren Gebrechen Profite gemacht werden.

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