Palmöl und das globale Akkumulationsregime in Indonesien

Mathias Stalder. Am 7. März kommt es zur Abstimmung über das Referendum gegen das EFTA-Freihandelsabkommen mit Indonesien. Teil 1 des Gesprächs mit Frans Ari Prasetyo, unabhängiger Forscher und Fotograf der in Bandung auf dem Inselstaat lebt. Er arbeitet zu urbaner Politik und mit verschiedenen Grassroots-Bewegungen und Kollektiven.

Der weltweit grösste Exporteur von Palmöl steht seit langem in der Kritik: Abholzung der Torf- und Regenwälder, Gefährdung der Artenvielfalt, Wasserraub und -verunreinigung, Vertreibung Indigener und Ausbeutung von Arbeiter*innen, insbesondere von Frauen* und Kindern. In den letzten Jahren haben sich verschiedene Palmöl-Nachhaltigkeitsstandards entwickelt – diese sind jedoch höchst umstritten. Mit dem EFTA-Freihandelsabkommen mit Indonesien will die Schweiz nur noch nachhaltiges RSPO-zertifiziertes Palmöl (Roundtable on Sustainable Palm Oil) importieren.

Frans, kannst Du uns bitte mehr über RSPO erzählen?
Der RSPO ist sowohl internationale Handelsplattform wie auch ein Standard für Palmöl. Die Regulierung bietet eine gewisse Elastizität, die entsprechend der politischen Richtung der globalen neoliberalen Politik angepasst werden kann. Mit dem EFTA-Abkommen wollen diese Länder nur nachhaltiges Palmöl mit reduziertem Zollansatz importieren. Der RSPO ist im Vergleich zum indonesischen ‹Nachhaltigkeitslabel› ISPO sicher besser. So führt letzteres keine Kriterien für ethische Geschäftsführung, um korrupte Praktiken in der Palmölindustrie zu verhindern. Und was das Landrecht betrifft, verlangt das ISPO keine freie, vorherige Zustimmung der betroffenen Gemeinschaften und indigenen Völker. RSPO geht zum Beispiel stärker auf die Landrechte von indigenen Gemeinschaften ein. Trotzdem ist es eine Illusion, dass ein solches Zertifikat die sozialen Konflikte und die Umweltproblematik rund um die Palmölplantagen lösen kann. Das ist ein neoliberaler Schwindel, denn grundsätzlich geht es bei beiden um das Geschäft mit extraktivistischen Produkten und um dieses stabil sowie sicher zu halten.

Immer wieder gelangt der Inselstaat bezüglich der grassierenden Korruption in die Schlagzeile.
Indonesien ist eines der Länder mit der höchsten Korruptionsrate der Welt. Die politischen Verwandtschaftsbeziehungen durch Macht und Geschäfte von der lokalen bis zur nationalen Ebene sind sehr stark. Die Palmölindustrie wird von 25 Tycoons kontrolliert und befindet sich im Besitz globaler Unternehmen. Daneben gibt es hunderte kleinere Palmölfirmen, die im Besitz von Parlamentsmitgliedern, Gouverneuren, hochrangigen Polizei- und Militärchefs oder Bürgermeistern sind. Das heisst, dass die Palmölindustrie und die Politik sehr stark verbunden sind. Wenn die Plantagen die RSPO-Zertifizierung nicht erhalten, dann bekommen sie auf jeden Fall das ISPO-Label durch Korruption und Vetternwirtschaft. Wenn zum Beispiel ein Gouverneur Palmölland besitzt, wird ihm kaum die Ausstellung von Zertifikaten verweigert. Ein Unternehmen, das ISPO hat, kann weiter an ein grösseres RSPO-Unternehmen verkaufen. Die grossen und mächtigen Unternehmen in Indonesien haben alle ISPO und RSPO. Das Palmöl für den Export ist, egal woher es kommt, am Schluss zertifiziert.

Diese Label verstossen also systematisch gegen ihre eigenen Kriterien?
Die Prinzipien und Kriterien werden zum ‹Papiertiger›, die in der Praxis kaum umgesetzt werden können. RSPO oder ISPO betreibt ein Zertifizierungsgeschäft als Legitimation des Palmöls, welches Wälder abbrennt, natürliche und soziale Ökosysteme schädigt, Landkonflikte geschaffen hat, die nie gelöst wurden. Die Auswirkungen interessieren kaum, da am Schluss der wichtigste Indikator die Wirtschaft ist. Nicht zu vergessen die Finanzierung und Einbindung des Palmöls durch riesige globale Investor*innen in das weltweite Akkumulationsregime. Das heisst, die Schweiz und andere EU-Länder spielen auch indirekt eine wichtige Rolle im Palmöl-Kreislauf. Die Credit Suisse ist neben der Rabobank (Niederlande) und der BNP Paribas (Frankreich) eine der wichtigsten Banken im Finanzierungssystem der indonesischen Palmölindustrie, die übrigens auch als Schauplatz der Geldwäsche dient.

Bieten die Palmölindustrie und die damit verbundenen Arbeitsplätze einen Ausweg aus der Armut, so wie es die Politik von Staatspräsident Joko Widodo verspricht?
Indonesien folgt den neoliberalen Rezepten zur Bekämpfung von Armut und Hunger durch die SDG-Ziele Nr.1 und Nr.2 (Sustainable Development Goals). Diese beruhen alle auf Aufträgen, Interessen und Vereinbarungen mit fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern und internationalen Geberorganisationen durch Schuldenprogramme. Indonesien ist in der globalen Schuldenfalle gefangen. Die Palmölindustrie soll zwanzig Millionen Arbeitsplätze schaffen. Die Regierung vergisst aber, dass es sich um Arbeit und Zeit für Dinge handelt, die die Risiken nicht wert sind, die sie eingeht. Von Wohlstand kann nicht die Rede sein, wenn die Arbeiter*innen überleben, können sie schon von Glück reden. Auf der anderen Seite hat die Palmölindustrie tatsächlich ‚zig Millionen Arbeitsplätze für die Menschen in der Umgebung der Wälder, Dörfer und landwirtschaftlichen Gebiete zerstört. Sie sind nicht mehr in der Lage zu arbeiten, um von den Produkten des Waldes, der Flüsse und der Berge zu leben, weil die Palmölplantagen expandieren. Die Palmölindustrie hat zwar einen wirtschaftlichen Aufschwung geschaffen, aber die sozialen und ökologischen Verluste sind viel grösser.

Kannst du auf die sozialen Folgen, insbesondere das der Frauen* und Kinder eingehen?
Die Expansion hat zur Ausbeutung insbesondere von Frauen* und Kinder und zu Menschenhandel geführt. Geschätzte 7,6 Millionen Frauen* arbeiten auf den Feldern. Sie klagen oft über Fieber, Husten und Nasenbluten, nachdem sie jahrelang gefährliche Pestizide ohne Schutzausrüstung gesprüht haben. Sie können es sich nicht leisten, einen Arzt aufzusuchen, denn sie verdienen nur durchschnittlich zwei Dollar pro Tag. Die schlechte Wasserqualität durch Pestizide, die schlechte Luft durch die Brandrodung und die schlechte Ernährung führen zur Geburt von missgebildeten Kindern. Hinzu kommt, dass viele Frauen* von Plantagenleitern vergewaltigt werden. Der Menschenhandel ist verbreitet, wir können ihn in Palmölenplantagen an der indonesisch-malaysischen Grenze beobachten wo rund zwei Millionen Indonesier*innen als illegale Arbeiter*innen in Malaysia arbeiten.

Einher mit der Ausbreitung der Palmölplantagen gehen Landkonflikte, was weisst du darüber?
Die Insel Sumatra ist die Region mit den meisten Landkonflikten in Indonesien sowie der grössten Palmölplantagen, insbesondere in den Provinzen Riau, Nordsumatra und Aceh. Es scheint, dass hier ausser Ölpalme keine anderen Feldfrüchte angebaut werden können. Jedes Jahr gibt es wieder Waldbrände für Palmöl. Entsprechen diese Waldbrände dem RSPO- oder ISPO-Standard? Sie sind zu einem Umweltverbrechen an der Menschheit geworden. Daraufhin werden Palmölmonokulturen angepflanzt, auf Land auf dem früher die indigene Bevölkerung war. Zusätzlich zu den sozialen Konflikten führen die Auswirkungen der Palmölenexpansion, zu einer Konkurrenz mit lokalen Nahrungsquellen. So der papuanischen Gemeinschaft geschehen mit der lokalen Sago-Nahrung (Anm. aus der Sagopalme gewonnes Mehl für Brot und Fladen). Die verschlechternde Ernährungs- und Gesundheitsqualität der lokalen Bevölkerung hat ganz konkret mit der Expansion des Palmöls zu tun.

Im Herbst letzten Jahres kam es in Indonesien zu massiven Protesten gegen das Omnibus-Gesetzespaket. Was sind die Auswirkungen der Deregulierungen bei den Arbeits- und Umweltrechten?
Im Oktober 2020 verabschiedeten das Repräsentantenhaus (DPR) und die Regierung das Omnibus-Gesetz. Es wurde als ein Schritt zur Entwicklung des Landes, zur Schaffung von Arbeitsplätzen und zum Abbau von Bürokratie vorgestellt. Die Auswirkungen für die Arbeiter*innen sind enorm: Die enthaltenen Bestimmungen würden die Arbeitszeit verlängern, den bezahlten Mutterschaftsurlaub und den bahnbrechenden Menstruationsurlaub abschaffen sowie den Schutz vor Entlassungen schwächen. Die Unternehmen können die Löhne ihrer Beschäftigten unabhängig vom Mindestlohn festlegen und müssen ihn nicht mehr an die Inflation anpassen. Überstunden müssen unentgeltlich geleistet werden.
Schon zu Beginn von Jokowis zweiter Amtszeit (2019 bis 2024) wurden verschiedene Gesetzentwürfe formuliert und geändert, was eine Protestwelle #reformasidikorupsi (Reform der Korruption) auslöste. Das Omnibus-Gesetz zeigt, dass Indonesien das jüngste Lex-mercatoria-Stadium erreicht hat, wo Rechtsprodukte von Unternehmen geschaffen werden, die ihnen selbst dienen. Ich erinnere mich an die Worte von Dianto Bachriadi von der NGO Agrarian Resources Center, der sagte, dass mit dem neuen Omnibus-Gesetz gierigen Grossgrundbesitzer*innen die Kontrolle über riesiges Land erleichtert wird. Die Menschen aber eher nicht in der Lage sein werden, ihre Rechte zu verteidigen, selbst wenn sie bereits Rechtssicherheit über ihr eigenes Land haben. Der Autoritarismus und der Neoliberalismus sind Zwillingskatastrophen. Ihre Wiederbelebung fand lange vor 2019 statt, was für die globalen Kapitalisten sehr wichtig ist, um einen ‹Notstand› zu schaffen, der die Menschen von der Krise des Kapitalismus ablenkt. Covid-19 scheint das alles zu verschleiern. Ein Regimewechsel voller Gewalt und unterstützt von ausländischen Mächten, um dem freien Markt zu dienen, hat in Indonesien Pionierarbeit geleistet – und kann immer wieder genutzt werden. Die Palmölindustrie ist nur ein Schauplatz, um das sehr deutlich zu zeigen.

Der Autor ist Sekretär der bäuerlichen Gewerkschaft Uniterre und Koordinator der Kampagne Stop Palmöl – Nein zum Freihandelsabkommen mit Indonesien.
Teil 2 des Interviews erscheint in der nächsten Ausgabe.

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