Neoliberalismus und Autoritarismus sind Zwillingsbrüder


Mathias Stalder. Am 7. März kommt es zur Abstimmung über das Referendum gegen das EFTA-Freihandelsabkommen mit Indonesien. Im zweiten Teil des Gesprächs geht der indonesische Aktivist Frans Ari Prasetyo unter anderem auf die Rolle des Militärs, der Polizei und der Banken beim Milliardengeschäft mit dem Palmöl ein.

 

Befürworter*innen des Abkommens sprechen von einer Stärkung des Arbeitsschutzes, ist das tatsächlich so?

Bereits ausgebeutet und mit gestohlenem Mehrwert sind die Menschen konfrontiert mit Problemen der Gesundheit und Arbeitssicherheit, niedrigen Löhnen, schlechten Lebensbedingungen und geschlechtsspezifischer Diskriminierung. Hinzu kommt die hohe Zahl in die Illegalität getriebener Arbeiter*innen sowie die Kinderarbeit. Letzteres verstösst gegen die internationale ILO-Konvention 182 über die Rechte der Kinder und den Präsidialerlass Nr. 59 zur Abschaffung der Kinderarbeit. In der Praxis geschieht all dies noch immer in Indonesien, aber es kommt noch massiver. Wie kann man solche Arbeitspraktiken bei RSPO-Label (Roundtable of Sustainable Palm Oil) erklären, die angeblich mit den Werten der Menschenrechte und des Umweltschutzes in Einklang stehen? Die Berichte des RSPO scheinen in sich stimmig zu sein, aber sie widerspiegeln nicht die Realität, die tatsächlich auf dem Feld existieren. Gewöhnlich sieht der Bericht wie folgt aus: «Unternehmen X hat eine umfassende Zertifizierungsbewertung bei XY durchgeführt und kommt zu dem Schluss, dass die Tätigkeit von XY mit der nationalen Auslegung den RSPO-Prinzipien und -Kriterien Indonesiens übereinstimmt».

Auch die Sustainable Develepment Goals der UNO sind im Nachhaltigkeitskatalog verankert, was denken Sie darüber?

Bei den SDGs, mit ihren 17 Nachhaltigkeitszielen, handelt es sich um ein globales neoliberales Rezept, das Entwicklungsländern wie Indonesien in einer globalen Schuldenfalle gefangen hält. Ziel Nr. 1 hält die Beseitigung der Armut fest. Sie wird diese aber weiterhin reproduziert, um die Arbeitskräfte für die Tycoons des Palmölgeschäfts billig zu halten. Und es widerspricht auch Ziel Nr. 8 zur menschenwürdigen Arbeit und Ziel Nr. 2 in Bezug auf den Hunger, das eng mit der Ernährungssicherheit und Ernährungssouveränität verbunden ist. Die Ausbreitung von Biokraftstoffen, sprich Palmöl, bedroht die genannten Ziele durch die Beschlagnahmung von Agrar- oder Waldflächen, die früher für den Anbau von Nahrungsmitteln genutzt wurden. Das SDG-Ziel Nummer 15 würde sich gegen die Palmölindustrie stellen: Es schützt Indigene, Kleinbäuerinnen und Kleinbauern die von Landkonflikten bedroht sind. Es richtet sich in diesem Fall gegen den Staat, der aber durch Polizei und Militär geschützt wird, welche wiederum Unternehmensinvestitionen schützen. Das Ziel 15 bezüglich des Lebens auf dem Land gilt also nicht für Kleinbauern und indigene Völker, deren Land und Wälder von der Palmölindustrie beschlagnahmt werden.

Hat der indonesische Staat überhaupt ein Interesse daran, die artenreichen Wälder und die Interessen der Bevölkerung zu schützen?

In den 1960er-Jahren waren etwa 80 Prozent des indonesischen Staatsgebiets bewaldet. Aber mit einer der höchsten Abholzungsraten der Welt, ist weniger als die Hälfte der ursprünglichen Waldfläche erhalten geblieben. Neunzig Prozent der Ölpalmenexpansion im indonesischen Borneo ging auf Kosten der tropischen Regenwälder. Die Waldgebiete werden von verschiedenen Unternehmen und Gruppen monopolisiert, die heute 57 Millionen von insgesamt 132 Millionen Hektar kontrollieren. Aus diesen Daten geht hervor, dass der Waldbesitz von 303 Unternehmen mit Forstkonzessionsrechten kontrolliert wird, eine Fläche von 25 Millionen Hektar umfasst. Die 12,3 Millionen Hektar Palmölplantagen, werden von 1605 Unternehmen kontrolliert, während der Bergbausektor 3,2 Millionen Hektar in Beschlag nimmt, die von 1755 Unternehmen kontrolliert werden. Dieser Zustand zeigt deutlich die extremen Ungleichheiten in den Landbesitzverhältnissen auf. Diese Entwicklung des Extraktivismus, also der Ausbeutung von Rohstoffen für den Export, führt unweigerlich zu Landkonflikten. Die Nationale Landbehörde Indonesiens (Badan Pertanahan Nasional, BPN) hat mehr als 3000 Konflikte zwischen lokalen Gemeinschaften und Palmölunternehmen registriert. Nach den Daten für 2018 gab es 410 Fälle von Landkonflikten, von denen 87000 Haushalte in Indonesien betroffen waren. Diejenigen, die sich widersetzen, werden allzu häufig als Kriminelle behandelt, sind Gegenstand von politischen Schikanen und Schlägen, Inhaftierung von Dorfvorstehern, Zwangsumsiedlungen und Tötungen. Über diese Fakten wird kaum berichtet, da die meisten Medien auch Teil der geschilderten Machtverhältnisse sind.

Können Sie uns erklären, wie die Macht in Staat, Politik und Militär verteilt ist?

Das Beispiel des Merauke Integrated Food and Energy Estate (MIFEE) zeigt dies deutlich. Ein Megaprojekt, das auf über 10000 Quadratkilometer Fläche Plantagen und industrialisierte Landwirtschaft vorsieht und damit Mensch und Umwelt im gesamten südlichen Teil West-Papuas bedroht. MIFEE ist ein Konfliktgebiet. West-Papua ist auch die nächste Front für die Plantagenindustrie Indonesiens – nachdem die Wälder Sumatras und Borneos für die Zellstoff- und Ölpalmenindustrie bereits stark dezimiert wurden. Dieses Projekt wurde von vielen Parteien bekämpft, aber in der Regierung des Präsidenten Joko Widodo, der seit 2014 im Amt ist und autoritäre Tendenzen hat, wird das MIFEE-Projekt nun fortgesetzt. Nachdem der Volkskampf 1998 die Diktatur von General Suharto zu Fall gebracht hatte, wurde die politische Macht des Militärs beschnitten – ein Szenario, das von den Generälen, die nie abgetreten sind, nicht ganz akzeptiert wurde. Joko Widodo belebte die autoritäre Struktur durch das so genannte Omnibus-Gesetz wieder und damit auch die Rolle des Militärs in Gesellschaft und wirtschaftlicher Entwicklung. Die Akteur*innen der indonesischen Palmölindustrie sind lokal, national und sowie international einzuordnen. Sie sind die treibenden Kräfte bei der Landnahme und der Finanzierung der Expansion, unterstützt von Militärpolizei und Paramilitär, welche gleichzeitig auch Eigentümer oder Teilhaber von Ölpalmenunternehmen in Indonesien sind – oder es werden können. Ich nenne sie ein militärisches Geschäft ausserhalb des Krieges. Sie sind wie Wachhunde, die das Haus vor Dieben schützen und die ordnungsgemässe Abwicklung gewährleisten. Darüber hinaus beobachten wir die Rolle der Polizei und des Militärs bei der Wiederbelebung des Autoritarismus und Neoliberalismus durch das Omnibus-Gesetz, das diesen Leuten den Zugang zu 162 Landflächen von Millionen von Hektaren gewährt, insbesondere in Kalimantan, dies nicht nur für Palmölplantagen, sondern auch für Elektrizität und Bergbau.

Wie hat sich die Situation unter Covid-19 entwickelt?

Zu Beginn der Pandemie wurden verschiedene Programme im Zusammenhang mit der Wirtschaft zur Priorität. Doch viele Menschen sterben und verlieren ihren wirtschaftlichen Zugang, vor allem diejenigen, die im informellen Sektor arbeiten. In dieser Situation verabschiedete die Regierung dann das Omnibus-Gesetz am 5.Oktober 2020, dass die Arbeits- und Umweltsouveränität verschlechtert und Indonesien zurück in ein autoritäres Loch stürzt. Die Verordnung bildet die rechtliche Grundlage für die Unterstützung des Agrarreformprogramms der indonesischen Regierung, dass durch ein Darlehen der Internationalen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (IBRD) von der Weltbankgruppe finanziell unterstützt wird. Das Hauptziel besteht darin, den Landnutzern zu helfen, Klarheit und Sicherheit in Bezug auf die Zugänglichkeit und das Eigentum an Land und natürlichen Ressourcen zu gewinnen. In Indonesien gibt es 126 Millionen Landparzellen, von denen nur 51 Millionen zertifiziert wurden. Logischerweise wird ein Kredit bei einer Geschäftsbank mit dem eigenen Grundbuchauszug als Sicherheit zu einem Vermögenswert der Bank. im Falle einer Zahlungsunfähigkeit beschlagnahmen sie das Land. Diese Verschiebung des faktischen Eigentums wirft die Frage auf, ob das gesamte Programm Teil des Prozesses der Landliberalisierung und des globalen Kapitals zur Schaffung eines Grundstücksmarktes im Land ist. Ein Projekt, das theoretisch auf die Verringerung von Armut und Einkommensungleichheit abzielt, wird in der Praxis das Gegenteil bewirken. Die von Präsident Joko Widodo, der von der Weltbank unterstützt wird, vorgetäuschte Agrarreformagenda zielt also unter anderem darauf ab, Menschen, die das Zertifikat erhalten, Möglichkeiten zu eröffnen, Kapitaldarlehen aufzunehmen und in der Regel ein Palmölunternehmen zu gründen oder zu betreiben.

Haben Sie Beispiele dafür?

25 Palmöl-Holdinggesellschaften sind in den Händen der Tycoons, 20 davon sind an der Börse quotiert. Im Zeitraum von 2010 bis 2018 haben Banken Darlehen und Aktien im Gesamtwert von 19,4 Milliarden US-Dollar für die Palmölaktivitäten von 19 tycoon-kontrollierten Konzernen bereitgestellt. Diese Daten belaufen sich nur auf 19 Tycoons bis 2018, wenn es 25 Tycoons sind, und wenn man sie bis 2020 betrachtet, sind sie heute sicherlich noch grösser. Nach dem Sieg Jokowis bei den Wahlen 2019 sind die ausländischen Investitionen, insbesondere im Palmölbereich, noch stärker geöffnet worden. Die wichtigsten Banken, die die Palmölfinanzierung bereitstellen, sind die Oversea-Chinese Banking Corporation (Singapur), die CIMB-Gruppe (Malaysia), Malayan Banking (Malaysia), Bank Negara Indonesia (Indonesien) und Bank Mandiri (Indonesien), Credit Suisse (Schweiz), Rabobank (Niederlande), BNP Paribas (Frankreich) und Citigroup (USA).
Diese Bedingungen werden durch den Ökorassismus legitimiert. Dieser hat eine historische Kontinuität, die den Ursprung in der Vorherrschaft von Kolonisation und Imperialismus hat. Es ist unsere Pflicht, welweit Widerstand zu leisten.

Freitag, 26. Februar 2021, 14 bis 15 Uhr.
Webinar mit dem Aktivisten Frans Prasetyo auf: https://www.facebook.com/StopPalmoel
Teil 1 des Interviews siehe Ausgabe
Nr. 01/02 vom 22. Januar 2021

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