Langer Atem lohnt sich

Rita Maiorano (links) und Sevin Satan waren schon vor drei Jahren aktiv beim feministischen Streik in Zürich. Bild: sit

flo. Die PdA-Aktivistinnen Sevin Satan und Rita Maiorano engagieren sich bei den Vorbereitungen für den 14.Juni 2022 – so wie im 2019. Im Gespräch mit dem vorwärts erklären sie, warum sich das Kämpfen am Frauen*streik vor drei Jahren lohnte und was die Perspektiven der Frauen*bewegung in der Schweiz sind.

Vor drei Jahren gingen Hunderttausende Frauen* in der Schweiz im Rahmen des Frauen*streiks auf die Strasse, hat es sich gelohnt?
Sevin: Auf jeden Fall! Nur schon die ganze Vernetzung, die stattgefunden hat zwischen Gewerkschaften, Parteien und Organisationen, aber auch unter Einzelpersonen, die vielleicht vorher politisch noch nicht so aktiv waren. Und es hat viele Themen angestossen, die politisch diskutiert wurden, für die man in den Organisationen Positionen finden musste und so weiter. Und dazu kommt: Es lohnt sich immer zu streiken.

Rita: Es ist auch ein sehr starkes Gefühl von einem Miteinander seither entstanden. Egal, wo man politisch organisiert ist, ob man jung ist oder alt, wo man arbeitet. Das hat Kraft gegeben, weiterzukämpfen, sich zu organisieren. Das war wichtig. Es hat die Leute zusammengeschweisst und motiviert, weiterzumachen. Dieses Bewusstsein ist auch wieder stärker geworden. Und ja, es war auch so, dass das Gefühl da war: Das ist kein Trend, das ist kein Strohfeuer. Die Frauen* haben genug davon, dass ihre Forderungen nicht erfüllt werden.

Mit dem Frauen*streik 2019 wurde so viel politischer Druck in der Schweiz gemacht wie seit dem Landesstreik nicht mehr. Trotzdem kommen immer weitere Angriffe aus dem Bürgertum: Die geplante Erhöhung des Rentenalters, die Angriffe auf das Recht auf Schwangerschaftsabbruch. Hat die etablierte Politik noch gar nicht mitbekommen, was da auf den Strassen passiert ist?
Rita: Doch, das haben die schon mitbekommen. Aber man muss schon unterscheiden. Viele, die in einem Parlament sitzen, ein Mandat haben, also eben nicht die lohnabhängigen Frauen*, die am 14. Juni 2019 die Basis der Frauen*streikbewegung waren, sind nach dieser Grossmobilisierung mit Lippenbekenntnissen gekommen. Da hiess es dann: Jaja, das machen wir schon. Aber am Ende wurde nur etwas gemacht, wenn es sich auch vereinbaren liess mit ihrem politischen Dasein. Jedoch haben wir auch nicht damit gerechnet, dass das politische Establishment die Frauen*frage lösen wird. Der Druck dafür muss von unten kommen.

Sevin: Es ist kein Zufall, dass solche Angriffe jetzt kommen. Zumindest ist dies meine Einschätzung. Der Grund für die Angriffe war eben die Mobilisierungen. Weil die Leute zusammenkamen, sich organisierten, eine gemeinsame Stärke, einen gemeinsamen Nenner fanden, obwohl sie total unterschiedlich sind. Und ich denke: Je stärker wir auftreten, desto mehr Repression und Angriffe wird es vom Staat geben. Sie bekommen Panik und denken sich: Jetzt müssen wir die Frauen* wieder angreifen, damit sie sich mit dem Zurückschlagen des Angriffs beschäftigen müssen und sich nicht auf sich selbst konzentrieren können.

Zwischen Juni 2019 und Frühjahr 2020 gab es politisch in der Schweiz vor allem zwei Themen: Die Frauen*frage und die Klimabewegung. Dann kam Covid. Wie stark war die feministische Streikbewegung davon betroffen?
Sevin: Das ist ambivalent. Einerseits war man trotzdem auf der Strasse: für das Klima, gegen Femiziden, am 8.März gegen die Repression des Staatsapparates, für die Ja-heisst-Ja-Vorlage und viele andere politische Kämpfe. Man hat versucht, dranzubleiben. Bei vielen Frauen* fehlte es an Kapazitäten. Und auch die Angst vor einer Ansteckung war ein Thema. Viele ältere, aber auch jüngere Genossinnen* nahmen nicht teil oder nur am Rand, weil sie sich davor fürchteten. Aber gleichzeitig fanden viele Vernetzungen statt. Viel auch online. Ja, manche Vernetzungsgruppen sind eingeschlafen, aber gleichzeitig ist auch viel Neues entstanden.

Rita: Das hat auch Fragen vorwärtsgebracht, die eng mit der Frauen*frage zusammenhängen. Während der frühen Phase der Pandemie hat man auf einmal gemerkt, wie viel eigentlich auf den Frauen* lastet. Man hat gesehen, wer arbeiten muss, wen es braucht, damit die Gesellschaft läuft. Denken wir da an die Pflegeberufe oder die Pflege von Angehörigen, an Reinigungsarbeiterinnen*, Kinderbetreuung, Detailhändlerinnen* und so weiter und so weiter. Ganz viele von diesen Aufgaben sind essenziell und werden in der Gesellschaft hauptsächlich von Frauen* verrichtet. Aber ich glaube, da merkt man auch viel von unserer Erziehung und Sozialisierung. In der Situation – und ich fürchte in so schwierigen Situationen wie in der Pandemie, spielen dann ganz viele Verhaltensweisen mit, die man anerzogen bekommen hat – in der wir waren, sind dann eben ganz viele Frauen* hingestanden und haben diese Arbeit gemacht. Ohne zu kämpfen, ohne zu fragen: He, wieso muss ich da immer den Kopf hinhalten? Oder: Warum müssen wir Frauen* so viel von dieser Arbeit übernehmen?» Man hat sich auch nicht hingestellt und «Nein» gesagt.

Ihr kämpft ja nicht nur für die Frauen* in der Schweiz, sondern für alle Frauen*. Gerade ihr zwei als Kommunistinnen seht das ja nicht als nationale, als Schweizer Frage. Hat man nach dem 14.Juni 2019 gemerkt, dass von den Kolleginnen* und Genossinnen* auf der anderen Seite der Grenze mehr Interesse da war, wie die Frauen* in der Schweiz kämpfen?
Rita: Vor allem aus den Nachbarländern haben wir das gespürt, vor allem bevor die Pandemie begann. Wir hatten vermehrt Anfragen von österreichischen oder deutschen Organisationen. Gerade im Rahmen von Treffen, die man international hatte. Aber da kommt dann die Pandemie rein: Das hat alles verlangsamt, manchmal gestoppt. Es hat sich teilweise so angefühlt, als wäre man immer weniger geworden. So nach dem Motto: Da waren es nur noch neun, dann acht… und so weiter. Es gab also schon einen Rückschritt bezüglich des Engagements. Ja, da müssen wir wieder ein wenig aufholen.

Gehen wir ein bisschen weiter zurück. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit war beim ersten Frauen*streik 1991 eine der Hauptforderungen. Wie ist da der Stand?
Sevin: Also meines Wissens ist der Stand noch gleich wie damals: Die Lohngleichheit ist bei Weitem nicht erreicht. Aber wir haben nicht dieselbe Situation wie damals, da die objektiven Bedingungen andere sind. Mit der aktuellen Inflation kommen Sachen auf Frauen* und Flint-Personen zu, auf Frauen*, die im Sozialamt sind, Migrantinnen*, Asylsuchende, bei denen infrage gestellt wird, ob sie ihren Lebensunterhalt bestreiten können. Da müssten die Löhne eindeutig rauf, aber nicht einmal dort geht etwas. Das ist halt so eine Knacknuss: Hätten wir gleiche Löhne, würde sich so viel verändern. Bis hin zu einem wirklich krassen Wandel, der unter den aktuellen Bedingungen schwierig scheint. Und das trotz der Verankerung von der Gleichstellung in der Bundesverfassung.

Was steht also dieses Jahr an?
Sevin: Das Motto ist Kämpfe verbinden. Es wird eine Demo geben um 18.00 Uhr in Zürich auf dem Bürkliplatz. Dieses Jahr wurde die Demo von einer meist jungen Generation organisiert. Das finde ich schön, dass man einen solidarischen Generationenwechsel hat und den Leuten, die noch nicht so aktiv waren, den Platz lässt. Auf der Webseite des feministischen Streikkollektivs sind viele Aktionen rund um den 14.Juni aufgelistet. Es gibt eine Karte dazu unter www.14juni.ch. Also ganz viele Gelegenheiten, sich zu treffen und sich zu beteiligen. Wir verbinden unsere Kämpfe, damit nächstes Jahr wirklich wieder gestreikt werden kann und wir wie vor drei Jahren für etwas Grösseres zusammenkommen können.

Und thematisch?
Rita: Wir müssen dieses Jahr bei gewissen Themen vorwärtsmachen. Es kommen einige Angriffe, die man jetzt im Fokus haben muss. Der Angriff auf die AHV muss genannt werden. Da müssen wir Druck machen. Denn eine Erhöhung des Rentenalters der Frauen* kann ein Dammbruch sein, der auch zu Erhöhungen bei den Männern* führen kann. Man könnte das Ganze auch von der anderen Seite anschauen: Wenn man Gerechtigkeit beim Rentenalter will, wieso redet dann niemand über die Senkung des Rentenalters der Männer*? Weiter darf die Krise in den Gesundheitsberufen nicht vergessen gehen.

Wir sind und sicher einig, dass wir noch lange nicht da sind, wo man sein müsste. Braucht es einen ökonomischen Druck?
Sevin: Es braucht schon einen langen Atem und es ist manchmal auch frustrierend. Der Staat argumentiert damit, dass es uns ja gut genug geht im Vergleich mit anderen und dass wir zufrieden sein sollen mit dem, was wir haben. Aber das ist eine Bewusstseinsfrage. Es läuft in der Schweiz sowieso immer langsam. 1991 gingen Aktivistinnen* mit einer selbst gebastelten riesigen Schnecke auf die Strasse, um zu kritisieren, wie langsam es in der Frauen*frage vorwärts geht. Aber man muss schon sagen, dass auch viele Sachen geschafft wurden. In vielen Bereichen durch Selbstorganisierung wie Frauen*- und Mädchenhäuser, die aus der autonomen Bewegung kamen, sowie die Opferhilfe. Es ist also nicht nichts gelaufen. Aber uns wurde nichts geschenkt. Wir mussten uns alles selber erkämpfen. Und da müssen wir mehr Druck machen und vielleicht neue und meiner Meinung nach radikalere Formen finden. 2019 haben einige Frauen* wirklich ihre Lohnarbeit bestreikt. Manche haben daraufhin Kündigungen bekommen, die sie zum Teil durch Organisierung im Betrieb abwenden konnten. Aber man sieht schon: Streiken ist nichts, was man in der Schweiz richtig kennt. Es ist also auch ein Lernprozess, wie und wo man Kämpfe verbinden kann. Denn nur gemeinsam sind wir stark!

Rita: Natürlich brauch es den ökonomischen Druck. Aber man muss auch anmerken, dass mit Covid eine Flaute wohl wirklich zum allerschlechtesten Zeitpunkt kam. Ich kenne es noch aus meiner Arbeit in der Gewerkschaftsbewegung. Wenn du Belegschaften vorbereitest, um einen Generalarbeitsvertrag abzuschliessen, muss viel diskutiert werden, damit das Bewusstsein da ist, damit die Leute an die Demo gehen, an den Streik. Wenn man dieses Bewusstsein nicht aufrechterhält, muss man es beim nächsten Mal wieder aufbauen. Bei uns ist das aktuell auch so. Nicht weil wir nicht drangeblieben sind, sondern weil wir ein wenig von dieser Pandemie gestoppt wurden.

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