Kein Privileg, ein Recht!

Friedlicher Sitzprotest rund um den 8.März 2021 löst einen Polizeieinsatz aus. Nun sollen die Kosten für solche Einsätze zwingend auf die Aktivist:innen umgewälzt werden.
Bild: vorwärts-Archiv

lmt. Die sogenannte Anti-Chaot:innen-Initiative der Jungen SVP stösst auf Zustimmung in der Bevölkerung, auch dank den Mainstream-Medien. Doch die Initiative ist ein Affront gegen die gesamte Bevölkerung des Kantons Zürich.

Erneut geschieht ein Feminizid. Noch am selben Abend wird zu einer Demonstration aufgerufen. Da spontan auf das Geschehnis reagiert werden muss, reicht die Zeit nicht, um eine Bewilligung einzuholen. Gut hundert Menschen treffen zusammen und demonstrieren friedlich durch die Stadt Zürich. Die Polizei ist wie immer mit von der Partie. Es kommt zu keinem nennenswerten Zwischenfall. Einige Tage später erhalten die Organisator:innen Post. Eine Rechnung in Höhe von tausenden Franken für einen ausserordentlichen Polizeieinsatz.
Dieser Fall könnte bald Realität werden. Denn die Initiative «zur Durchsetzung von Recht und Ordnung» der Jungen SVP (jSVP) verlangt die zwingende Kostenüberwälzung von ausserordentlichen Polizeieinsätzen auf ihre Verursacher:innen (siehe auch vorwärts-Nr. 03/04). Darüber abgestimmt wird am 3.März. Im fiktiven Beispiel oben reichte die Zeit für eine Bewilligung nicht, wodurch es zu einer illegalen Demonstration wurde. Dies löst immer einen Polizeieinsatz aus, welcher als «ausserordentlich» eingestuft wird.

Völkerrechtswidrig
«Es geht bei dieser Initiative nicht darum, Sicherheit zu gewährleisten, sondern die Menschen davor abzuschrecken, ihre Rechte auf der Strasse auszuüben», hält Patrick von Amnesty International an der Podiumsdiskussion des «Bündnis gegen Repression» fest. Eine Zermürbungstaktik der Rechtskonservativen, welche zu dem noch auf die finanzielle Schädigung ihrer politischen Gegner:innen abzielt. Denn wenn bei jeder öffentlichen Kundgebung mit horrenden Kosten zu rechnen ist, überlegt mensch es sich zweimal auf die Strasse zu gehen. Dabei wächst das Gewicht von Menschen und Gruppierungen mit viel Geld im öffentlichen Diskurs noch weiter und systemkritische Stimmen verstummen. Eins ist sicher, der jSVP ging es nie darum, die Steuerzahler:innen zu entlasten oder für Sicherheit zu sorgen. Das ist nur ein Vorwand. Ziel ist es, ihre politischen Gegner:innen zu schwächen.
Das Gefährliche an der ganzen Sache ist, dass die bürgerliche Hegemonie die Bevölkerung so weit im Griff hat, dass diese freiwillig ihre Grundrechte aufgibt. Bekan-ntermassen verletzt die Initiative die Menschenrechte auf Versammlungsfreiheit und Meinungsäusserung massiv. Zwei Rechte, welche vom Gesetz geschützt und zu gewährleisten sind. Aus völkerrechtlicher Sicht ist die geforderte Bewilligungspflicht rechtswidrig. «Das Prinzip eines Grundrechtes ist es, dass für dessen Ausübung keine Bewilligung einer Behörde gebraucht wird», so Patrick weiter.

In den Diensten der Bürgerlichen
Die SVP wäre allein nie so weit gekommen mit dieser Initiative. Sie hatte eine mächtige und einflussreiche Komplizin: die Mainstream-Medien. Dazu gehören all die von der Bevölkerung im Übermass konsumierten Zeitungen wie der Tages-Anzeiger, die Neue Zürcher Zeitung (NZZ), der Blick oder Nau. Ihnen kommt eine wichtige Rolle zu, wie der Diskurs geführt wird. Und während des ganzen Abstimmungskampfs haben sie strikt das Narrativ und Argumentarium der jSVP übernommen. Die NZZ schreibt, Zürich werde immer wieder Schauplatz gewalttätiger Demos: «Linksextreme ziehen durch die Gassen und dreschen in ihrer Wut auf alle und alles ein, nicht selten ohne erkennbare politische Forderung. Hauptsache, es geht gegen das System.» Dass dies völliger Schwachsinn ist, benötigt keiner Ausführung. Der Zweck der Mainstream-Medien ist die Zementierung des Bildes «linksextremer Chaot:innen» und damit die Erfolgschancen der Initiative zu erhöhen. Indem politische Gewalt gezielt als eine rein linke Problematik dargestellt wird, wird bewusst von rechter politischer Gewalt abgelenkt. Dabei schützen sie diejenigen, von denen die grösste Bedrohung für bereits errungene soziale Freiheiten ausgeht.
Meriem von der WOZ machte an der Podiumsdiskussion auf eine Tatsache aufmerksam: «Wichtig zu berücksichtigen ist, dass die Polizei keine neutrale Organisation ist, sondern bewusst Propaganda betreibt, welche unkritisch von den Medien übernommen wird.» Wenn die Polizei in ihren Medienmitteilungen von Gewaltsuchenden, linksextremen Chaot:innen spricht, wird dieses Narrativ übernommen. Mit dieser negativen Berich-terstattung wird die Meinungsbildung der Bevölkerung manipuliert.

Dunkle Wolken
Zustimmung der Bevölkerung hin oder her: Die Umsetzung der Initiative wird auf einige Hürden stossen – immerhin. Fakt bleibt aber, dass Begriffe wie ein «ausserordentlicher Polizeieinsatz» gesetzlich nicht geregelt sind. Und dennoch gibt es für die Bürgerlichen einen Hoffnungsschimmer: Im April 2023 besetzten Umwelt-aktivist:innen ein Waldstück in Rümlang. Die Besetzung wurde durch ein massives Polizeiaufgebot geräumt. Die Kosten dieses Polizeieinsatzes (ca. 60000 Franken!) wurden auf die Aktivist:innen umgewälzt. Das dabei neu gegründete Solidaritäts-Kollektiv legte Rekurs ein. Mario Fehr, der Vorsteher des Sicherheitsdepartements des Kantons Zürich, liess durch die Blumen durchsickern, dass er den Fall bis zum Verwaltungsgericht ziehen werde. Denn der Fall in Rümlang und die dabei erfolgte Kostenüberwälzung stellt einen Präzedenzfall dar. Heisst: Wenn der Entscheid des Verwaltungsgerichts zugunsten der Polizei ausfällt, kann die Durchsetzung der Initiative auf diesen Präzedenzfall gestützt werden.
Klar ist, dass der Polizei mit einer Annahme der Initiative ein willkürlich einsetzbares Repressionsmittel in die Hand gedrückt würde. «Bei Repression sind wir immer in der Defensive. Ihr Ziel ist es, dass wir aufhören, Opposition zu machen», meinte Rolf von «Augen auf» an der Podiumsdiskussion. Und er fügte hinzu: «Jede Repression ist erfolglos, wenn wir weiter machen!» In diesem Sinne: Am 3.März Nein stimmen.

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