Kaskade der Repression

lmt. Das Kaskadenmodell soll mit Beginn der kommenden Fussballsaison Ende Juli eingeführt werden. Mit Kollektivstrafen und Repression soll die angebliche Fangewalt eingedämmt werden. Ein Schuss, der nach hinten losgehen wird.

«Nicht zielführend, einseitig und unverhältnismäs-sig», so lautet das Urteil der Swiss Football League (SFL) am 14.März zum Kaskadenmodell. Dies verkündete der CEO der Liga, Claudius Schäfer, an der gemeinsamen Konferenz mit den Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD). Ursprünglich war gedacht, dass an jenem Tag einvernehmlich die neuen Massnahmen gegen Fangewalt, sprich das Kaskadenmodell, vorgestellt werden sollten. Doch, aus der Traum.
Noch vor einem Jahr wurde grosskotzig eine gemeinsame Lösung gegen Fangewalt verkündet. Es sollte so etwas wie der grosse Wurf werden, von Klubs und Behörden gemeinsam verabschiedet und in der ganzen Schweiz gültig sein. Eine eingesetzte Lösung, wenn es zu schwerwiegenden Ausschreitungen kommt. Und nur dann. Die Fankurven liessen schnell wissen, dass sie zu Recht nichts von den vorgeschlagenen Massnahmen hielten. Und jetzt zieht die SFL, welche die 22 Klubs der beiden höchsten Schweizer Ligen vereint, nach und kehrt dem Kaskadenmodell den Rücken zu.

Repressionsschraube
Doch, was ist das Kaskadenmodell? Das Ziel sei es, Einzeltäter:innen zu erwischen. So wurde ein Massnahmenkatalog aufgestellt, der sich je nach Vorkommnis verschärfen kann. Dabei lösen gewisse Vorfälle automatisch vorbestimmte Massnahmen aus. So führt Stufe eins zu einer obligatorischen Lagebesprechung von Polizei, Klub und Fans für die nächsten drei Spiele. Bereits ab Stufe zwei eskaliert es schnell. Es soll eine Gesichtserkennung via Videoüberwachung aller Fans am Eingang erfolgen. Wenn Personen verletzt werden (Stufe drei), wird die Fankurve für mindestens ein Spiel geschlossen. Gleichzeitig muss der Ticketverkauf sofort gestoppt werden, damit die Fans nicht auf andere Sektoren ausweichen können. Ein weiterer Bestandteil des Kaskadenmodells ist die sogenannte «Bewährungsphase». In jener Zeit steht die betroffene Fankurve unter verstärkter Beobachtung. Kommt es dabei zu erneuten Ausschreitungen, kann ein Geisterspiel verhängt oder die Bewilligung für die Durchführung des Spiels entzogen werden, wobei der Klub eine Forfait-Niederlage erfährt.
Wer sich jetzt fragt, was diese Stufen mit der Ermittlung Einzeltäter:innen zu tun haben, stellt sich die richtige Frage. Die Antwort darauf ist leicht: nichts! Das Kaskadenmodell ist ein Repressionsinstrument der Behörden. Anstelle des altbewährten Dialogs folgen nun Kollektivstrafen. Diese sind nicht nur rechtlich fragwürdig, sondern tragen zu einer Verschärfung des Klimas zwischen Behörden und jungen Fussballfans bei und erhöhen das Risiko von weiteren Eskalationen. All dies zu einem Zeitpunkt, in dem es noch nie zu so wenigen Fällen von schweren gewaltsamen Auseinandersetzungen bei Spielen in der Super League kam. Die Zahlen dazu werden seit 2018 erhoben.

Versuchskaninchen
Dass die KKJPD jetzt allein mit ihrem Modell dasteht, hat sie sich grösstenteils selbst zuzuschreiben, denn die Behörden erlaubten sich einige Fehltritte. Obwohl das eigentliche Kaskadenmodell noch in der Vernehmlassung war, entwickelten die kantonalen und städtischen Bewilligungsbehörden eine Eigendynamik. Mit einer skurrilen «Arbeitsgruppe Bewilligungsbehörde» erliessen sie ohne gesetzliche Grundlage und Entscheidungshoheit mehrere Kurvensperrungen in acht Städten.
In Zürich wurde die Südkurve nach einer bewussten Eskalation seitens der Polizei gegen vereinzelte FCZ-Fans am Bahnhof Altstetten gesperrt (siehe vorwärts-Ausgabe 05/06). Die Zürcher Sicherheitsvorsteherin Karin Rykart versucht schon fast verzweifelt, das Vorgehen zu rechtfertigen. «Wir haben das Modell nicht zu früh angewendet und es war auch kein Alleingang», schreibt sie gegenüber dem Tagesanzeiger. Es sei lediglich ein «provisorisches System» gewesen. In anderen Worten: Die jüngsten Kurvensperrungen waren erste Versuche, das Kaskadenmodell anzuwenden. Dabei wurden mehrfach Stufen übersprungen, die laut Modell vor der Aussperrung von Zuschauenden kommen sollten.

Dialog statt Repression
«Die Öffentlichkeit und auch friedliche Fussballfans würden nicht verstehen, wenn die Behörden auf massive Ausschreitungen lediglich mit einer Intensivierung des Dialogs reagieren», erklärt Karin Kayser-Frutschi, die Co-Präsidentin der KKJPD an der Konferenz. Ein typisches Scheinargument seitens der Behörden. Was die «friedlichen Fussballfans» eigentlich nicht verstehen, ist, warum sie für die Taten anderer bestraft werden. Zudem konnte bis anhin noch niemand erklären, wie die Sperrung einer Kurve dazu beiträgt, dass weitere Fangewalt verhindert wird. In Tat und Wahrheit hat das Kaskadenmodell mit Gewaltprävention nichts zu tun. Es ist ein Instrument der sinnlosen Repression. Um Fangewalt zu verhindern, muss der Dialog zwischen Behörden, Klubs und Fans gestärkt werden.

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