Immer neue Hiobsbotschaften
flo. Trotz immer höherer Prämien haben die Krankenkassen nicht genügend Reserven. Es drohen noch höhere Preisanstiege. Doch zumindest gibt es eine gute Nachricht: Ein Teil der Bevölkerung beginnt, den Kampf gegen die Teuerungskrise auf die Strassen der Schweiz zu tragen.
Die schlechten Neuigkeiten reissen nicht ab. Seit 2012 gilt für die Krankenkassen in der Schweiz, dass Rücklagen in Höhe von 2,5 Monatsbeiträgen pro versicherte Person geschaffen werden müssen. Das verlangt das Gesetz. Kürzlich wurde durch CH Media publik gemacht, dass jede vierte Schweizer Krankenkasse nicht genug Reserven besitzt, darunter der Marktriese CSS, die grösste Schweizer Krankenkasse, was doch aufhorchen lassen muss. Ihre sogenannte Solvenzquote ist von 205 auf nur noch 84 Prozent gefallen, also unter den gesetzlich vorgegebenen Wert.
Weitere Erhöhungen und Einschnitte drohen
Die Reserven sind rasch dahingeschmolzen. Noch im September 2022 hatte sich das SRF in einem Artikel gefragt, ob es nicht besser sei, die Reserven aufzulösen, um damit niedrigere Prämien zu ermöglichen. Damals hatten noch alle Kassen die Mindestanforderungen erfüllt. Inzwischen ist der Solvenz-grad bei manchen von ihnen auf die Hälfte gefallen; in einem Extremfall auf nur noch 25 Prozent. Die betroffene Kasse, die Zuger Krankenversicherung Klug (den Namen bereuen die jetzt wohl auch…), musste per Weisung aus Bern die Prämien im laufenden Jahr erhöhen. Betroffen waren Versicherte in Zürich, im Aargau, in Luzern und Nidwalden.
Insgesamt sind die Rücklagen massiv zurückgegangen. Das BAG kündigte nun die Beobachtung von weiteren wenig solventen Kassen an. Es sei jedoch Sache der Kassen selbst, für höhere Rücklagen zu sorgen. Ergo ist mit einer Erhöhung der Prämien und, wo möglich, mit Einschnitten bei den Leistungen der betroffenen Kassen zu rechnen. Der 2021 beschlossene Abbau von Reserven zur Senkung der Prämien war nur leicht und von kürzester Dauer. Einzig 2022 konnte ein durchschnittlicher Rückgang von 0,2 Prozent beobachtet werden. Diese minimale Senkung durch den Abbau von Reserven wurde seither um ein Vielfaches wieder ausgemerzt.
Ein landesweites Problem
Zumindest lässt hoffen, dass in Teilen des Landes Protest gegen die Entwicklungen bei den Kassen laut wird. Es waren die Menschen im Tessin, die den Anfang machten. Dies nach einem Stakkato von Angriffen: der Erhöhung der Mindestfranchise, die Ankündigung der Tessiner Regierung, bei den Prämienverbilligungen zu sparen, und dann die Botschaft, dass die Prämien massiv ansteigen werden. Kein:e PR-Spezialist:in hätte sich eine schlechtere Koordination in Sachen Vorgehen von Bund, Kassen und Kantonen ausdenken können.
Gerade im Tessin, wo ein Drittel der Bevölkerung auf verbilligte Prämien angewiesen ist und die Durchschnittsprämie mit 472 Franken die zweithöchste im Land ist, kam die Dauerkanonade im Gesundheitsbereich nicht gut an. Am 2.Oktober versammelten sich Hunderte auf der Piazza Nosetto in Bellinzona und demonstrierten gegen die Entwicklung der Gesundheitskosten in ihrem Kanton. Der Onkologe und ehemalige sozialdemokratische Nationalrat Franco Cavalli kritisierte in seiner Rede anlässlich der Proteste die Situation scharf. Gerade im Tessin spielt die hohe Zahl von Privatkliniken und Spezialisten eine Rolle bei den Kosten im Gesundheitswesen. Das Hauptproblem sei jedoch kein tessinerisches, sondern ein landesweites: die Ausrichtung unseres gesamten Gesundheitswesens auf die Profitmacherei einiger weniger.
Über die Alpen bringen
Mit der Fallpauschale habe sich das ganze kaputte System noch weiter von den Bedürfnissen von Patient:innen und Gesellschaft entfernt. Die protestierenden Tessiner:innen formulierten drei Sofortmassnahmen zur Linderung der Situation: ein Moratorium auf Kassenprämien im Tessin, die Rücknahme von eingesparten Prämienverbilligungen und eine Einheitskasse. Das Tessin mag besonders stark von der Explosion bei den Gesundheitskosten getroffen worden sein – der Protest muss jedoch auch für uns nördlich der Alpen ein Lehrstück sein.