Gewollte Perspektivlosigkeit

Abgewiesene Asylsuchende leben in katastrophalen Bedingungen, die sie abschrecken sollen. Bild: zVg

lmt. Ein Hilferuf aus einem Nothilfecamp in St.Gallen erreichte das Migrant Solidarity Network. Die Menschen leben dort am untersten Rand des Existenzminimums, abgeschottet vom Rest der Gesellschaft. Eine menschenverachtende Strategie seitens der Politik, die vom St.Galler Regierungsrat Fredy Fässler (SP) gestützt wird.

«Das Schlimmste am Ausreise- und Nothilfezentrum ist die Perspektivlosigkeit. Ich habe grosse Angst zwangsausgeschafft und in meinem Heimatland gefoltert zu werden. Ich kann nicht zurückgehen!», erzählt ein Bewohner des Nothilfecamps Sonnenberg im Kanton St. Gallen am Telefon dem vorwärts. In seiner Stimme ist deutlich die Verzweiflung zu hören: «Jedes Mal, wenn die Polizei ins Camp kommt, habe ich Panik. Ich kann nicht schlafen, ich kann gar nichts tun. Nicht arbeiten zu dürfen, führt zu grosser Hoffnungslosigkeit.» Und genau das ist die Idee des Nothilferegimes des Staats. Perspektivlosigkeit, bis die Menschen gehen.

Abgeschottet am Rande der Gesellschaft
Anfang Dezember gelangte ein Hilferuf ans Migrant Solidarity Network (MSN). Verzweifelte Menschen aus dem Nothilfecamp Sonnenberg berichten dem Netzwerk über die katastrophalen Bedingungen, unter denen sie leben müssen. Das Nothilfecamp liegt in Vilters-Wangs, fern von jeglicher Zivilisation. Gut eine Stunde zu Fuss muss man gehen, um nach Sargans, dem nächst grösseren Ort zu gelangen. Abgeschottet leben rund 80 Menschen auf engstem Raum. Es handelt sich dabei um Personen, die einen rechtskräftigen negativen Asylentscheid erhalten haben und ausreisen müssen. Sie sind vom Staat schon lange abgeschrieben worden und bekommen nur noch das Notwendigste. Und dies auch noch auf höchst fragwürdige Weise.
«Die Menschen im Camp erhalten kein Geld, sondern ausschliesslich Sachabgaben. Das bedeutet, das Essen wird zu spezifischen Zeiten geliefert: um 7.30 Frühstück, um 12.00 Mittagessen, um 17.00 Uhr Abendessen. Möglichkeiten zum Selberkochen gibt es nicht. Wer die Mahlzeit verpasst, erhält sie erst am nächsten Tag wieder», ist in der Medienmitteilung des MSN vom 2.Dezember zu lesen. Für Hygieneprodukte, wie zum Beispiel Binden und Tampons, aber auch Seife und Shampoo, müssen alle einen Franken bezahlen. Ein unmöglicher Umstand ohne finanzielle Mittel.

Erzeugung von Not
Die Nothilfe soll abgewiesene Asylsuchende abschrecken, damit sie die Schweiz verlassen. Das ist die Idee dahinter. «Die Menschen leben in diesen Camps wie in einem Freiluftgefängnis», bringt es Pfarrer Daniel Winkler im SRF-Rundschaubeitrag vom 9.Juni bestens auf den Punkt. Der Pfarrer ist ein scharfer Kritiker des Nothilferegimes und erklärt im Beitrag weiter: «Sie haben keinerlei Möglichkeiten ihr Leben eigenständig zu gestalten. Sie dürfen nicht arbeiten, sich nicht weiter- oder gar ausbilden, nicht einmal ehrenamtlich engagieren. So verelendet der Mensch und geht kaputt.»
Das bestätigte auch der Bewohner aus dem Camp Sonnenberg dem vorwärts: «Ich weiss nicht, was ich tun soll. Ich kann nicht arbeiten, ich kann nicht schlafen. Die Verzweiflung ist gross.»
Pfarrer Winkler kritisiert dieses System richtig: «Die Nothilfe ist nicht etwa Hilfe in der Not. Sie ist die Erzeugung von Not». Und er fügt hinzu: «Es ist nicht, wie die Behörden behaupten, eine konsequente Asylpolitik, sondern einfach nur grausam.» Diese Menschen, auch wenn sie die Schweiz verlassen müssen, haben das Recht auf ein menschenwürdiges Leben.

Perspektivlosigkeit als Zwangsmittel
Fredy Fässler, der zuständige St. Galler Regierungsrat (SP), ist anderer Meinung. Er verteidigt die menschenverachtende Praxis. «Wir wollen diesen Menschen die Perspektivlosigkeit in der Schweiz aufzeigen. Sie haben einen negativen Entscheid und müssen gehen. Meiner Meinung nach würden wir gegen Bundesgesetze verstossen, wenn wir ihnen eine Wohnung geben und ihre Situation verbessern», so die Worte des SP-Regierungsrats im Rundschaubeitrag. In seinem Wahlvideo behauptete Fässler, ihm ginge es um eine gerechtere Welt.
Aber sein Sinn für Gerechtigkeit hält sich massiv in Grenzen. Dass Familien mit Kleinkindern zusammengepfercht in einem kleinen Raum leben müssen, sieht er als legitim an, um die Eltern zu einer Ausreise zu veranlassen. Dieses System der Unsicherheit, Angst und des Zwangs produziert psychisch kranke Kinder. Dazu meint Fässler nur: «Ich glaube auch, dass es für die Kinder besser ist, wenn die Eltern sie packen und ausreisen. Und wenn man wirklich zum Schluss kommt, dass eine Unterbringung in Kollektiv-Unterkünften kinderrechtswidrig ist, dann muss man die Bundesgesetze anpassen.»

Eine andere Lösung ist möglich
Im Kanton Schaffhausen werden Familien mit einem rechtskräftigen negativen Asylentscheid immer in Wohnungen untergebracht. Die Kinder besuchen die öffentliche Schule und ihre Eltern haben Zugang zu Deutschkursen und Beschäftigungsangeboten. Alles vom Kanton finanziert. «Kinder haben von der Verfassung und der UNO-Kinderrechtskonvention geschützte Rechte. Diese stehen über der Nothilfe-Regulierung», sagt Andi Kunz vom Sozialamt Schaffhausen der Rundschau. Er fügt hinzu: «Abschreckungspolitik auf dem Buckel der Kinder ist zynisch und langfristig sehr teuer.» Da ein Teil der Abgewiesenen dableiben werde, ist es im Interesse des Kantons, diese zu integrieren.

In der nächsten Ausgabe des vorwärts erscheint ein Interview mit einem Bewohner des Nothilfecamps Sonnenberg.

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