Gewalt stoppen
lmt. Die Präventionskampagne «16 Tage gegen Gewalt an Frauen» findet vom 25.November bis 10.Dezember statt. Während diesen Tagen wird geschlechtsspezifische Gewalt in verschiedenen Aktionen schweizweit thematisiert.
430’000 Vergewaltigungsopfer, alle zwei Wochen ein Feminizid, über 50 registrierte Fälle von häuslicher Gewalt pro Tag, so sieht die Faktenlage in der Schweiz in Bezug auf geschlechtsspezifische Gewalt aus. Und dies sind nur die bekannten Zahlen. Die Dunkelziffer aller geschlechtsspezifischer Gewaltdelikte ist um einiges höher. Bezüglich Feminizide existieren erst gar keine offiziellen Statistiken. Um die Thematik, die gerne von den Medien und der Regierung verharmlost wird, aus dem Schweigen zu holen, startete am 25.November die jährliche Kampagne «16 Tage gegen Gewalt an Frauen».
Aber wieso genau 16? Die Aktionstage beginnen stets am internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen, dem 25.November, und enden am Tag der Menschenrechte, dem 10.Dezember. Dazwischen liegen 16 Tage. Geschlechtsspezifische Gewalt ist immer eine Menschenrechtsverletzung. Von dieser Gewalt betroffen sind auch Menschen, die von der Gesellschaft in die weibliche Kategorie gezwungen werden, sich mit dieser aber nicht identifizieren. So etwa non-binäre oder trans Menschen.
Ein gelungener Auftakt
Eingeläutet wurden die diesjährigen «16 Tage gegen Gewalt an Frauen» mit einer grossen nationalen Demonstration am 25.November in Bern. «Ich befand mich gegen 14 Uhr am Versammlungsort und es waren nicht sehr viele Menschen anwesend. Es war ja auch bitterkalt», berichtet Sevin Satan, feministische Aktivistin und Sekretärin der PdA Zürich, dem vorwärts. Es folgten ziemlich lange Reden. «Während dieser Zeit kamen so viele neue Menschen dazu, dass wir plötzlich eine grosse, vielseitige und bunte Demonstration hatten. Ich könnte eine ewig lange Liste an Organisationen und Gruppen aufzählen», so Sevin weiter. Unter dem Motto «Schulter an Schulter gegen Gewalt und Unterdrückung» zogen dann die Demonstrant:innen durch die Strassen Berns. «Die Stimmung war so gut, dass sogar die Kälte vergessen ging», hält Sevin dazu fest. Am Zielort der Demonstration, dem Bundesplatz, waren es dann gut 10000 Teilnehmer:innen. Mehrere Reden, auch von prominenten Politikerinnen, sowie unzählige Parolen, prangerten die strukturelle Gewalt an.
Gewalt verhindern
Geschlechtsspezifische Gewalt kennt viele Formen, deshalb steht jedes Jahr ein anderes Thema im Zentrum. So wird die Vielfalt von Gewaltformen und Gewaltbetroffenen sichtbar. Weiter kann die Kontinuität der Arbeit gegen Gewalt aufgezeigt werden. Das ist auch einer der Schwerpunkte in der diesjährigen Kampagne. Mit dem Hauptthema «Wege aus der Gewalt» soll beleuchtet werden, was es braucht, um Gewalt zu verhindern und Betroffene darin zu unterstützen, ein gewaltfreies Leben zu führen. Dabei werden individuelle Unterstützungen sowie auch strukturelle und kollektive Verantwortungsübernahme betont. Die wichtige Arbeit von Opferhilfen und Beratungsstellen erhält ihre unentbehrliche Aufmerksamkeit.
Geschlechtsspezifische Gewalt ist immer Teil eines Kontinuums, das von banalisierten bis hin zu tödlichen Gewalttaten reicht: Abwertung, Belästigung, psychische Gewalt, Vergewaltigung bis hin zu Feminizid. Diese Taten sind nicht isoliert: Fehlende Gleichstellung und patriarchale Strukturen bilden ihre gemeinsame Basis. Aus diesen Gründen müssen die Präventionsbemühungen alle Formen geschlechtsspezifischer Gewalt berücksichtigen, um in alle Felder wirksam greifen zu können. «Es ist traurig, dass wir im Jahr 2024 immer noch auf Gewalt gegen Frauen und queere Personen aufmerksam machen müssen. Das habe ich bereits letztes Jahr gesagt und auch die Jahre davor. Solange sich die Geschichte wiederholt, wiederholen wir unsere Forderungen», beteuert Rita Maiorano. Die feministische Aktivistin und PdA-Genossin macht dann auf einen wichtigen Punkt aufmerksam: «Seit 2018 ist die Istanbul-Konvention hierzulande in Kraft. Diese verpflichtet die Schweiz, umfassende und diskriminierungsfrei Massnahmen zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt zu ergreifen. Doch zu wenig hat sich getan.»
Bund und Kantone müssen handeln
Zu oft werden scheinbar harmlose Gewaltformen normalisiert. Denn was ist schon an einer dummen Anmache, einem Pfiff oder einem sexistischen Witz dran? Das sind alles Gewaltformen, die ein enormes Eskalationspotenzial aufweisen. Denn was mit einem Poklaps beginnt, kann schnell mal in heftigere Schläge, häusliche Gewalt und Feminizid enden. Es ist so, wie es die ehemalige Bundesrätin Simonetta Sommaruga in Bern an der Auftaktdemonstration gesagt hat: «Dies bedeute nichts anderes, als dass Frauen weniger Wert beigemessen wird. Und wer keinen Wert hat, über den kann man verfügen – auch mit Gewalt.» Sie äusserte das in Bezug auf den Lohnunterschied der Geschlechter, aber es passt eben auch auf andere Situationen.
Um Gewalt gegen Frauen zu bekämpfen, ist es unausweichlich, festgefahrene patriarchale Strukturen zu brechen. Denn sie ermöglichen es erst, dass jegliche Formen geschlechtsspezifischer Gewalt auf fruchtbaren Boden treffen. Die Kampagne «16 Tage gegen Gewalt an Frauen» leistet einen wichtigen Beitrag in der Sensibilisierungs-, Aufklärungs- und Präventionsarbeit. Doch 16 Tage im Jahr reichen nicht aus, um ein ganzjähriges, jeden Tag auftretendes Problem zu bekämpfen. Es braucht Ressourcen. Bund und Kantone müssen endlich Geld in die Hand nehmen, um ihren Verantwortungen gerecht zu werden. Die wichtige Arbeit der Gleichstellungsorganisationen und Beratungsstellen muss unterstützt und ausgeweitet werden. Wie viele FINTAs müssen noch leiden und sterben, damit die Politik endlich aufwacht?