Gefährlicher Pragmatismus

dom. Was die SP einen «pragmatischen Kompromissvorschlag zur Unterstützung der Ukraine» nennt, bedeutet in Wahrheit ein Einknicken unter dem zunehmenden Druck auf die schweizerische Aussenpolitik. Im Klima allseitiger Aufrüstung gelingt es auch der Schweiz kaum mehr, sich aus dem Krieg rauszuhalten.

Betreffend des Schweizer Kriegsmaterialgesetzes hatte zuletzt der Streit um die Weitergabe von rund 12000 Patronen 35mm-Munition für Aufsehen gesorgt:
Die Munition schweizerischen Ursprungs hätte durch Deutschland an die Ukraine weitergeliefert werden sollen. Der Bundesrat hatte die Anfrage der deutschen Verteidigungsministerin unter Berufung auf Neutralitätsrecht und Kriegsmaterialgesetz abgelehnt.
Und bereits zuvor hätte Dänemark zwanzig Piranha-3-Schützenpanzer an die Ukraine weiterliefern wollen – auch das wurde durch eine Nichtwiederausfuhrerklärung verhindert. Die Süddeutsche Zeitung forderte daraufhin: «Höchste Zeit, am Status quo etwas zu ändern.» Sie kritisierte das doppelte Spiel der Schweiz, das vor dem Hintergrund der veränderten geopolitischen Lage unhaltbar geworden sei. Und Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Vorsitzende des deutschen Verteidigungsausschusses, kündigte an, grundsätzlich die Lieferketten für deutsche Rüstungsgüter überprüfen zu wollen. Das beunruhigte wiederum geschäftsorientierte Politiker wie Thierry Burkart und liberale Blätter wie die Neue Zürcher Zeitung (NZZ), die sich seither für eine Vereinfachung der Kriegsmaterialexporte stark machen. Die Polemik um die Munirion für den Gepard-Fliegerabwehrpanzer habe bereits beträchtlichen Reputationsschaden angerichtet. Der Bundesrat brauche im Bereich Kriegsmaterialexport mehr Kompetenzen, damit die Zuverlässigkeit der Schweiz nicht bei ihren «Top-Kunden» in Zweifel gezogen werde.

Die Motion Burkart
Ganz in diesem Sinne lancierte FDP-Präsident Thierry Burkart seine Motion vor rund einem halben Jahr: «Länder, die die Werte der Schweiz teilen und über ein vergleichbares Exportkontrollregime verfügen, sollen keine Nichtwiederausfuhr-Erklärung mehr unterzeichnen müssen, wenn sie Waffen in der Schweiz kaufen.» Ja, an das Gerede von den Werten haben wir uns spätestens seit dem 24.Februar gewöhnt. Aber man muss sich das schon immer mal wieder bildlich vorstellen: Wie da munter Kriegsmaterial herumgeschoben wird – und dass dies alles völlig unproblematisch sein soll, solange wir uns alle immer wieder gegenseitig versichern, dass wir dieselben Werte teilen. Mit langen Ausführungen darüber, was nun diese Werte sein könnten, hält sich Thierry nicht auf. Er begründet seinen Vorstoss gegenüber der NZZ mit den Ereignissen rund um den Ukraine-Krieg: «Es kann nicht sein, dass Länder wie Deutschland oder Dänemark Waffen, die sie vor 20 Jahren in der Schweiz gekauft haben, nicht weitergeben können, nur weil sie dafür eine Bewilligung von uns brauchen.» Burkart meint zwar, es ginge ihm um die Sicherheit der Schweiz: «Wenn wir diesen Ländern das Recht absprechen, von uns gekaufte Waffen und Waffensysteme untereinander weiterzugeben, dann behindern wir ihre sicherheitspolitischen Anstrengungen, von denen auch wir profitieren.» Aber in erster Linie ist die Motion von geschäftlichen Interessen motiviert. Das Handelsvolumen der «neutralen» Schweiz im Bereich Kriegsmaterial ist gross: «Schweizer Unternehmen haben 2020 für 901,2 Millionen Franken Kriegsmaterial in 62 Länder exportiert. Dies entspricht im Vergleich zum Vorjahr einer Zunahme um 24 Prozent.» Für eine weitere Zunahme genau dieses Geschäfts setzt Burkart sich ein.

In Kriegszeiten geht’s schnell
Noch vor wenigen Monaten äusserte sich Priska Seiler Graf, SP-Nationalrätin und Mitglied der Sicherheitspolitischen Kommission, sehr kritisch ge-genüber Burkarts Vorschlag: «Wir haben erst gerade dafür gekämpft, dass das Kriegsmaterialgesetz klar in seiner Aussage und auch streng ist. So sollte es auch bleiben», meinte sie gegenüber SRF. Aber in Kriegszeiten geht’s eben schnell. Über das Verhalten Einzelner innerhalb der Kommissionen kann zwar nur spekuliert werden. Klar ist aber: Die SP hat die Motion eingebracht, die eine Waffenlieferung an die Ukraine ermöglichen soll. Und gegen aussen ist bis heute kein nennenswerter Widerstand von Seiler Graf oder anderen SP-Mitgliedern zu vernehmen gewesen. Die Wende der Sozialdemokrat:innen hatte sich bereits abgezeichnet. Kurz zuvor hatte Präsident Cédric Wermuth erklärt, es müsse «im Lichte der gegenwärtigen Situation beurteilt werden, was neutralitätspolitisch richtig» sei. Und Nationalrat Eric Nussbaumer gesteht: «Ich habe gezögert, aber jetzt ist es klar: Die Wiederausfuhr von Munition und anderen Rüstungsgütern muss für unsere Nachbarn für den Einzelfall Ukraine bewilligt werden.» Es scheint, als hätte sich die SP-Spitze die Worte des Nato-Generalsekretärs Stoltenberg zu Herzen genommen. Dieser richtete sich am WEF in seiner Rede direkt an die Schweiz und mahnte: «Es geht nicht um Neutralität. Es geht um das Recht auf Selbstverteidigung.»

Fadenscheinige Begründungen
Es ist bemerkenswert, wie die SP ihre Kehrtwende zu begründen versucht. Sie setze sich weiterhin für ein sehr restriktives Kriegsmaterialgesetz ein, meint Jon Pult: «Der Vorschlag der SP ist eine äusserst eng gefasste Ausnahme, welche sich auf das Völkerrecht stützt und faktisch nur auf ganz wenige bewaffnete Konflikte anwendbar ist, darunter der Ukraine-Krieg.» Weil die von der SP eingebrachte und angenommene Kommissionsmotion vorschlägt, «dass Wiederausfuhren vom Bundesrat genehmigt werden können, wenn der UNO-Sicherheitsrat eine Verletzung des Gewaltverbots feststellt oder die UNO-Generalversammlung dies mit einer Zweidrittelmehrheit beschliesst», sei sie so etwas wie ein nobler Gegenvorschlag zur Motion Burkart.

Schweres Geschütz
Aber die Verknüpfung von Kriegsmaterialexporten mit völkerrechtlich abgestützten Mandaten kann nicht wirklich darüber hinwegtäuschen, dass die SP dem Druck der allseitigen Aufrüstung nach-gegeben hat. Im Gegenteil: Die gegenwärtige Aufrüstung und Kriegsführung nähren sich ja gerade vom Argument, sie geschähen um des Friedens und der Demokratie willen. Und wenn es um solche absoluten Werte geht, dann kennt der Krieg auch keine Esklationsgrenze mehr. Leichte Waffen, schwere Waffen, Leopard-Panzer, bald auch Kampfjets und vielleicht taktische Nuklearwaffen? Im Kampf gegen das Böse werden immer schwerere Geschütze aufgefahren – und auch die Schweiz beginnt sich Schritt für Schritt daran zu beteiligen.

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