Freie Meinungsbildung?

Bei der SRF-Berichterstattung zu Kuba werden den Zuhörer*innen wichtige Informationen vorenthalten. Bild: zVg

sit. Wird bei der Berichterstattung zu Kuba von Radio SRF der klar definierte Verfassungsauftrag nicht eingehalten? Der vorwärts ging dieser Frage nach und wurde durch den Staatssender nach allen Regeln der Kunst abgewimmelt. Die ganze Sache endet aber damit nicht. Rechtliche Schritte werden geprüft.

Der Auftrag vom Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) ist in der Bundesverfassung verankert. Sie definiert die Gesetzgebung zu Radio und Fernsehen als Sache des Bundes. Artikel 93.2 besagt zudem: «Radio und Fernsehen tragen zur Bildung und kulturellen Entfaltung, zur freien Meinungsbildung und zur Unterhaltung bei. (…) Sie stellen die Ereignisse sachgerecht dar und bringen die Vielfalt der Ansichten angemessen zum Ausdruck.» Eine Formulierung, die Sinn macht. Denn: Voraussetzung für die freie Meinungsbildung sind die sachgerechte Darstellung der Ereignisse sowie die Vielfalt der Ansichten. Fragt sich nur, warum sich Radio SRF nicht an die wichtigen Vorgaben der Verfassung hält – zumindest nicht bei der Berichterstattung zu Kuba.

Das Pseudonym
Blicken wir kurz zurück, um dann mit einem weiteren, aktuellen Fall die bedenkliche Berichterstattung von Radio SRF aufzuzeigen. Am 20.April befasste sich die Sendung «Tagesgespräch» mit dem sozialistischen Inselstaat in der Karibik. Sie trägt den Titel: «Kuba mit eigenem Impfstoff, aber ohne Lebensmittel». Als Gesprächspartner wird den Zuhörer*innen ein gewisser Oscar Alba vorgestellt. Ein freischaffender Journalist, der in Havanna lebt. Doch diesen Oscar Alba gibt es gar nicht, genauer: Oscar Alba ist das Pseudonym von Niels Walter. Walter stand jahrelang im Sold des Tages-Anzeigers, bevor er als freier Journalist tätig wurde und nach Havanna zog. Seine Berichterstattung war und ist immer äusserst kritisch gegen die kubanische Regierung. Dies zu tun, ist sein gutes Recht. Die Meinung von Walter zu Kuba ist aber hier nicht das Thema. Vielmehr geht es um Fragen wie: Warum wird in eine Sendung des Staatsradios den Zuhörer*innen der Gesprächspartner mit seinem Pseudonym vorgestellt und nicht mit seinem wahren Namen? Warum werden die Zuhörer*innen nicht informiert, dass der Gesprächspartner unter einem Pseudonym spricht? Wird den Zuhörer*innen so nicht ein falsches Bild des Gesprächspartners suggeriert?

Bestmöglicher Quellenschutz?
Der vorwärts stellte diese Fragen an die Medienstelle von SRF, die sie an die Auslandredaktion des Radios weiterleitete. Die Antwort: «Radio SRF verwendet sehr zurückhaltend Pseudonyme. Dies kann – wie auch in den publizistischen Leitlinien definiert – insbesondere der Fall sein, wenn wir es mit Quellen zu tun haben, die grossen Wert darauf legen, geschützt zu bleiben.» Mit dieser kargen und kaum was sagenden Antwort nicht ganz zufrieden, hakte der vorwärts nach: «Warum werden im Beitrag die Zuhörer*innen nicht darüber informiert, dass für den Gesprächspartner ein Pseudonym verwendet wird?». Die Antwort? Die Kopie der ersten mit dem Zusatz: «Dieser redaktionelle Entscheid dient in solchen seltenen Fällen wie im vorliegenden Beispiel dem bestmöglichen Quellenschutz.» Nun, so billig wollte sich diese Zeitung nicht abfertigen lassen und bat darum, die gestellten Fragen «konkret zu beantworten». Zurück kam: «Die Auslandredaktion von Radio SRF wird die diesbezügliche Praxis nicht weiter ausführen.»
Moderiert wurde dieses «Tagesgespräch» mit Os-car Alba, sprich Niels Walter, von Karoline Arn. So bat der vorwärts sie, die Fragen zu beantworten. «Ich habe meinen Arbeitgeber gewechselt und bin nicht mehr beim SRF tätig. Bezüglich Ihrer Frage schliesse ich mich den Antworten des SRF an», so ihre Rückmeldung. SRF und Arn scheuen sich wie der Teufel das Weihwasser, eine konkrete Stellungnahme zu liefern. Wohl im Wissen, dass eben doch ein falsches Bild des Gesprächspartners suggeriert wird. Oscar Alba wird viel eher als Kubaner wahrgenommen. Seine Schilderungen hören sich daher glaubwürdiger an als von einem Niels Walter. Oder etwa nicht? Doch die Geschichte ist mit dem Abwimmeln nicht zu Ende: Der vorwärts prüft nun rechtliche Schritte und überlegt sich, die Angelegenheit vor die unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen (UBI) zu bringen.

Informationen verschwiegen
Arn führte wie folgt in die Sendung ein: «Seit der Revolution vor über 60 Jahren lebten die Menschen unter dem Castro-Regime, das dem Land Isolation, Sanktionen und Misswirtschaft brachte». Über die angebliche «Misswirtschaft» der sozialistischen Regierung kann gerne gestritten und diskutiert werden. Doch, Isolation und Sanktionen stehen im direkten Zusammenhang mit der völkerrechtswidrigen und seit über 60 Jahre andauernden US-Blockade gegen Kuba. Beweis dafür ist das selbstdefinierte Ziel der USA ihrer Blockade, das bereits am 6.April 1960 durch den damaligen US-Untersekretär Lester D. Mallory so formuliert wurde: « (…) durch wirtschaftliche Unzufriedenheit und Not das Wirtschaftsleben schwächen, indem Kuba Geld und Lieferungen verwehrt werden, mit dem Ziel, die Nominal- und Reallöhne zu reduzieren, Hunger, Verzweiflung und den Sturz der Regierung zu bewirken». All dies wird verschweigen. Kann dann noch von einer «sachgerechten Darstellung der Ereignisse» sprechen?

Tatsachen verschwiegen
In der Sendung «Echo der Zeit» vom 13.September ist der Beitrag «Der 11.Juli war in Kuba ein Wendepunkt» zu hören. Zu Wort kommt der in Havanna lebende 76-jährige Professor Dimas Castellanos. Er wird interviewt von Matthias Kündig, USA-Korrespondent von Radio SRF und SRF News mit Sitz in Miami. Castellanos ist ein bekannter und bekennender Gegner der sozialistischen Regierung. Darauf wird auch im Beitrag hingewiesen. Im Interview stellt Castellanos die Proteste in Kuba vom 11.Juli aus seiner Sicht dar. Er zieht seine persönlichen Schlussfolgerungen daraus. Das ist sein gutes Recht. Doch, was ist mit der «Vielfalt der Ansichten», die bei SRF angemessen zum Ausdruck kommen müssen? Eine Gegendarstellung zu Castellanos ist für das SRF ein Muss, da es von der Verfassung vorgeschrieben ist. Zum Beispiel indem ein/eine Vertreter*in der kubanischen Botschaft in der Schweiz zu Wort kommen würde. Darauf wird aber bewusst verzichtet.
Mehr noch: Höchst fragwürdige Behauptungen von Castellanos werden gar nicht überprüft oder hinterfragt. Sie werden als einzig mögliche Wahrheit stehen gelassen. So sagt Castellanos, die Regierung habe durch den Staatspräsidenten Miguel Diaz-Canel «ihre Anhänger*innen zu Gewalt gegen die Demonstrierenden» aufgerufen. Einen Beweis dafür liefert er nicht – und es wird auch nicht nach einem gefragt. Es gibt auch keinen. Fakt ist viel mehr, dass die Regierung wenige Tage nach den Demonstrationen vom 11.Juli zu einer friedlichen Demonstration zur Verteidigung der Revolution in Havanna mobilisiert hatte, an der dann Zehntausende teilnahmen. Eine Berichterstattung dazu sucht man bei SRF vergeblich.

Schweizer*innen schützenswerter?
Zurück zum «Quellenschutz» von SRF. Suggeriert wird bei Niels Walter, alias Oscar Alba, unter anderem, dass er vonseiten des kubanischen Staats eine Repression zu befürchten hat. Daher muss er besonders geschützt werden. Beim Dissidenten Dimas Castellanos scheint dies aber nicht der Fall zu sein, denn bei ihm wird auf ein Pseudonym elegant verzichtet. Ist es aber nicht so, dass Castellanos als kubanischer Staatsbürger viel mehr Angst haben müsste vor der angeblichen Repression als der Schweizer Niels Walter? Oder sind bei SRF Schweizer Bürger*innen schützenswerter als Kubaner*innen? Fakt ist, dass Walter und Castellanos als freie Bürger in jenem Land leben, dass laut Karoline Arn «die Opposition seit 60 Jahren unterdrückt», wie sie in ihrer Einführung zur Sendung «Tagesgespräch» vom 20.April behauptet – ohne dazu auch nur einen einzigen Beweis zu nennen.

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