Ein Friedensgipfel, der seinen Namen kaum verdient
dom. Die Schweiz empfängt Gauner:innen aus aller Welt und inszeniert sich als Friedens-stifterin. Das WEF in Davos ist vorbei und schon bald wird die Eidgenossenschaft zum Austragungsort eines sogenannten Friedensgipfels. Weil aber die eine Kriegspartei fehlt und die andere eine Friedensformel vorlegt, die keine ist, wird dieses Gipfeltreffen zur Farce.
In der Schweiz ist was los. Vor, während und nach dem Weltwirtschaftsforum (WEF) werden hierzulande hochrangige Staats- und Regierungschefs empfangen, was für denkwürdige Szenen sorgt. Chinas Ministerpräsident Li Qiang trifft sich auf einem bernischen Landgut mit Viola Amherd und Guy Parmelin. Am Flughafen Zürich liegen sich Ignazio Cassis und der ukrainische Präsident Selenskyj in den Armen. Und in Davos erklärt Israels Staatspräsident Isaac Herzog sein Land befinde sich im Krieg gegen das «Reich des Bösen», der deutsche Finanzminister Christian Lindner kündigt «Strukturreformen» zu Gunsten des Kapitals an und der irre gewordene Argentinier Javier Milei liefert eine brachiale Brandrede gegen alles auch nur im Ansatz Sozialistische und Feministische.
Ob Milei, Herzog oder Selenskyj …
Schon klar, überraschen tut das niemand mehr: Die Schweiz hält die Arme offen für jene, die was mitbringen, das umstrittene Weltwirtschaftsforum diente immer schon der Vernetzung und effizienteren Organisation des Kapitals. Das bedeutet, je nach ökonomischer Situation, auch eine entsprechend reaktionäre Politik: Von «bloss» Kapital freundlichen Reformen in besseren Zeiten bis hin zu Krieg in Zeiten der Krise.
Und egal wie scharf der Ton auf den Podien, egal wie gross das Ausmass der Proteste vor den Toren des WEF, die Schweiz bleibt gerne Gastgeberin dieses Gipfeltreffens. Ihr geht es nicht etwa darum, Stellung zu den mindestens fragwürdigen Aussagen eines Javier Milei zu beziehen. Erst mal geht es der neutralen Schweiz darum, alle Welt willkommen so heissen, also fast alle – jedenfalls alle, mit denen zu Geschäften sich lohnt. Ob Milei, Herzog oder Selenskyj: Solange sich im Hinterzimmer ein paar gute Freihandelsabkommen schliessen lassen, wird hier jedem eine Bühne geboten.
Friedensgipfel?
Und die Bemühungen, eine gehobene Stellung inmitten der geopolitischen Wirren einzunehmen, brechen mit dem Ende des WEF nicht ab. Bald schon wird die Schweiz Gastgeberin eines «Ukraine-Friedensgipfels» sein. Der geplante Gipfel sei «ein grosser diplomatischer Erfolg», meint die Bundeshausredaktion des SRF: Der Bundesrat sei vielfach dafür kritisiert worden, keine Waffen an die Ukraine zu liefern (was er dank der vielen Lockerungen und Ausnahmeregelungen im Kriegsmaterialgesetz ja indirekt macht). Dass die Ukraine trotzdem die Schweiz für einen Friedensgipfel auswählt, zeige, «dass unser Land weiterhin als Vermittlerin anerkannt und geschätzt wird» – ja, gerade nochmal Glück gehabt. Und auch Jens Stoltenberg ist zufrieden und meint, der «Friedensgipfel» sei Ausdruck vom «Leadership der Schweiz». Bundesrätin Viola mag es vielleicht freuen, doch Lob vonseiten des Nato-Generalsekretär ist nicht nur Grund zur Freude, sondern Ausdruck einer Aussenpolitik, welche die Schweiz Schritt für Schritt näher ans westliche Militärbündnis rückt.
Schon vor einem Jahr hatte Selenskyj von einem internationalen Friedensgipfel und einem Friedensplan gesprochen. Damals meinte ETH-Strategieexperte Marcel Berni, es handle sich dabei bloss um «eine PR-Offensive vor Weihnachten». Das scheint sich heute als Fehleinschätzung zu erweisen. Die Sache wird konkret – wird auch Zeit: Der Krieg fordert seine Opfer auf beiden Seiten, der Verschleiss ist gross, die ukrainische Wirtschaft liegt am Boden, ein Sieg ist für beide Seiten nicht in Sicht. Selenskyj ersucht zunehmend verzweifelt um militärische Unterstützung, während in den unterstützenden Staaten die Stimmen lauter werden, die den Abnutzungskrieg nicht weiter finanzieren wollen.
«Im Moment kein Thema»
Nun also ein «Friedensgipfel», der aber seinen Namen kaum verdient. Das Treffen wird ohne Vertretung Russlands stattfinden, das hat Selenskyj bereits klargestellt: Offen sei der Gipfel für alle, «die unsere Souveränität und territoriale Integrität respektieren». Offen ist somit auch die Frage, inwiefern diese Veranstaltung Frieden stiften soll, wenn nicht beide Konfliktparteien mit dabei sind. In dieser Hinsicht ist Amherd in der SRF-Arena für einen kurzen Moment erstaunlich ehrlich: Es handle sich ja eigentlich weniger um eine «Friedenskonferenz» als um ein Treffen «nationaler Sicherheitsberater, die sich austauschen». Schnell fügt sie hinzu: Es sei aber gerade «für die neutrale Schweiz» schon wichtig, nicht im Voraus gewisse Gesprächspartner:innen auszuschliessen – ja, was denn jetzt? Auf die abschliessende Frage, ob sie denn auch mit Putin telefonieren würde, meint sie, das sei «im Moment kein Thema».
Friedensformel?
Weil aber als inhaltliche Grundlage des Gipfels Selenskyjs «Friedensformel», einen Zehn-Punkte-Katalog, gelegt wird, dürfte eine friedliche Einigung sowieso unwahrscheinlich sein. Die Friedensformel wurde Ende 2022 lanciert und verlangt die Anerkennung der ukrainischen territorialen Integrität, den Abzug der russischen Truppen, sowie einen Gerichtsprozess für die Führung des Kremls. Könnte schwierig werden, Putin von diesem Plan zu überzeugen. Doch auch harmloser klingende Forderungen des Katalogs wie diejenige nach «Ernährungssicherheit» entpuppen sich weniger als friedliebend denn volkswirtschaftlich motiviert, weil Selenskyj darunter vor allem die Garantie reibungsloser Getreideexporte aus der Ukraine versteht. Und die Forderung nach «Sicherung der Energieversorgung» läuft in erster Linie auf die Forderung nach mehr Waffen hinaus, damit der ukrainische Luftraum vor Angriffen auf die Energieinfrastruktur geschützt werden kann.
Aber Selenskyj ist nun mal Staatschef eines Kriegs führenden Staats, der sich für einen Anschluss an den imperialen westlichen Block und einen neoliberalen Umbau entschieden hat – insofern sind seine Forderungen folgerichtig. Und die Schweiz? Die hat sich für die Rolle der «neutralen» Friedensstifterin entschieden. Und präsentiert infolgedessen das anstehende Treffen nationaler Sicherheitsberater als Friedensgipfel.