Die Lügen der Polizei

«Uf Kollektivstrafe… une reponse commune!» Die gemeinsame Aktion der Fans des FC Zürich und des FC Lausanne-Sport als Antwort auf die Sperrung der Zürcher Südkurve. Bild: südkurve.ch

lmt. Die Zürcher Polizei behauptet nach einem Fussballspiel von organisierten Fans angegriffen worden zu sein. Die Recherchen des vorwärts decken dies als Unwahrheit auf. Es war eine von der Polizei geplante Eskalation. Und was hat es mit der dann folgenden Massnahme, der dubiosen Sperrung der Zürcher Südkurve auf sich?

Sonntag, 21.Januar, gegen 19 Uhr: Nach dem Fussballspiel des FC Zürich gegen den FC Basel kommt es rund um den Bahnhof Altstetten zum Einsatz von Gummischrot und eines Wasserwerfers durch die Stadtpolizei Zürich. Am nächsten Tag ist in der Medienmitteilung der Polizei zu lesen: «Nach Spielende marschierten die Basler Fans für die Heimreise zum Bahnhof Altstetten. Dabei suchten kleinere Gruppen Zürcher Fans die Konfrontation mit den gegnerischen Fans. Dies konnte jedoch von der Stadtpolizei Zürich verhindert werden.» Etwas später, «griffen rund hundert Zürcher Fans die im Einsatz stehenden Polizist:innen an. Diese wurden dabei mit brennenden Handlichtfackeln, Rauchpetarden, Feuerwerk, Steinen und Flaschen angegriffen, bzw. beworfen. Auch wurden Barrikaden mit Abfallcontainern errichtet.» Die Stadtpolizei Zürich musste daher «gegen die aggressive Menge Wasserwerfer und Gummischrot» einsetzen.
Die Folge dieser Ausschreitungen: Eine dubiose Sperrung der Zürcher Südkurve am darauffolgenden Heimspiel gegen den FC Lausanne Sport, um der angeblichen Fangewalt einen Riegel zu schieben.

Bewusst provoziert
Die Recherchen des vorwärts ergeben jedoch ein komplett anderes Bild der Vorfälle und bringen die Unwahrheiten der Polizei ans Tageslicht. «Geht zurück oder wir schiessen! So lauteten die Worte der Zürcher Stadtpolizei», berichtet ein Augenzeuge dem vorwärts. Die klare Drohung richtet sich gegen vereinzelte, meist jugendliche FCZ-Fans, die sich beim Bahnhof Altstetten auf dem Heimweg befinden. Der Augenzeuge hält gegen-über dieser Zeitung eine wichtige Tatsache fest: «Die Stadtpolizei hätte die Fans bitten oder ihnen zumindest vorschlagen können, solange die Anhänger des FC Basel noch am Bahnhof Altstetten seien, einen anderen Heimweg zu wählen oder zu warten. So wäre es nie zu einer Eskalation gekommen. Aber sie haben sich bewusst für Gewalt entschieden.» Und als einige Fans den Dialog suchten, «wurde mit Gummischrot auf sie geschossen», berichtet der Augenzeuge weiter. Seine Aussagen decken sich mit denen weiterer Augenzeug:innen, mit denen diese Zeitung sprach.
Erst auf die Aktion der Stadtpolizei folgte die Reaktion der Fans. «Einige begannen sich zu wehren. Was aber auch verständlich ist. Du kannst nicht mit Gummischrot auf Menschen schiessen und erwarten, dass nichts folgt.» Drauf hin wurden die Container geholt und es flogen Gegenstände. Bei minus zwei Grad will niemand von einem Wasserwerfer oder Gummischrot getroffen werden. «Es waren höchstens zehn Fans, die sich gewehrt haben. Höchstens zwanzig weitere standen abseits und machten nichts. Dass die Polizei aus ihnen einen Mob von 100 gut organisierten Fans macht, ist eine Frechheit», beteuern die Augenzeug:innen.
Tatsächlich war es nur die erste Lüge der Polizei. Das angebliche Motiv der Zürcher Fans, eine Auseinandersetzung mit den Basler Anhänger:innen, ist die zweite Lüge. Denn weitere Recherchen des vorwärts ergaben, dass die Gäste aus Basel nichts von den vermeintlichen Angriffen auf sie mitbekamen. Denn die Basler:innen waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht am Bahnhof Altstetten eingetroffen.

Lügen haben kurze Beine
Auch verschiedene, in den Sozialen Medien kursierende Videos, bestätigen die Aussagen der Augen-zeug:innen. Auf einem ist zu sehen, wie die Polizei in der Nähe des Bahnhof Altstetten mit einem Wasserwerfer und Gummischrot gegen höchstens zehn Zürcher Fans vorgeht. Einer der Fans machte eine Wurfbewegung, woraufhin das Geschoss der Polizei erneut losging. Doch zwischen dem werfenden Fan und der Stadtpolizei waren gut 100 Meter. Zweifelhaft, dass der Stein, oder was es war, auch nur in die Nähe der Polizei kam. Dass ein solcher Abstand bestand, beweist der Wasserwerfer. Denn dieser spritze zunächst ins Leere und sein Strahl kommt höchstens 65 Meter weit.
Ein weiteres Video, welches auf «Züri Today» zu finden ist, zeigt das absurde Vorgehen der Stadtpolizei gegen höchstens 30 Zürcher Fans. Diese standen aber nicht «geschlossen», sondern in mehreren Kleingruppen einige Meter entfernt und machten keineswegs den Anschein, einen Angriff starten zu wollen. Es gibt weder Videomaterial noch Bilder oder Ähnliches, das die Aussagen der Zürcher Stadtpolizei untermauern würden. Im Gegenteil, sie entpuppen sie als Lügen.

Gewollte Repression
Dass die Polizei in ihren Medienmitteilungen übertreibt, scheint eher die Regel als die Ausnahme darzustellen. Der Grund liegt auf der Hand: die Rechtfertigung ihres Einsatzes und des massiven Aufgebots. Doch in diesem Fall diente es auch einem weiteren Ziel, der Repression. Zur Erinnerung: Die Folge dieser angeblichen Ausschreitungen war die Sperrung der Südkurve am darauffolgenden Heimspiel. Die Begründung: «Es sei mit erneuten schwerwiegenden Gewaltausschreitun-gen im Zusammenhang mit künftigen Fussballspielen des FC Zürich zu rechnen, weshalb die Sektorsperre verhältnismässig sei.» Die Südkurve besteht aus gut 4000 Fans. Schon die 100 «Chaot:innen» sind im Verhältnis verschwindend klein. Da nun aber die Existenz dieses erfundenen 100 personenschweren Mobs widerlegt wurde, schwindet die Verhältnismässigkeit immer weiter.
Wie dem auch sei, es wird nicht aufgeführt, «wieso sich eine Sperrung der Südkurve positiv auf die Sicherheit des Fussballspieles auswirken soll». Diese korrekte Anmerkung stammt aus dem Rekursschreiben von Anwalt D. Wipf des Anwaltsbüros Delphinstrasse. Weiter hält Wipf in seinem Schreiben fest, dass die Sektorsperrung «nicht aus präventiven Gründen, sondern aus repressiven, also als Sanktion für vergangenes Verhalten, erlassen wurde. Spannenderweise erwähnte die Arbeitsgruppe Bewilligungsbehörde der «Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren» (KKJPD) ebenfalls in ihrer Verfügung das Wort Sanktion.

Warum gerade jetzt?
Die Arbeitsgruppe der KKJPD ist die nächste merkwürdige Sache in der Geschichte. Die zuständige Behörde für die Verfügung einer Sektorsperre ist «einzig das Sicherheitsdepartement der Stadt Zürich respektive dessen Departementsvorsteherin». Doch im Falle der Südkurve fällte die ad-hoc gegründete Arbeitsgruppe Bewilligungsbehörde der KKJPD den Entscheid der Sperre und nicht die eigentlich «gesetzlich vorgesehene Behörde». Somit wurde die Kurvensperrung, eine «staatliche Anordnung», von einem Gremium gefällt, welches über keine gesetzliche Grundlage dafür verfügt.
Vieles an den Geschehnissen rund um den angeblichen Angriff auf die Stadtpolizei und die darauffolgende Sektorsperrung ist nicht ganz koscher. Ungenierte Lügen der Stadtpolizei, ein plötzlich gegründetes kurioses Gremium entscheidet ohne gesetzliche Grundlage. Zufälle? Vielleicht. Aber eine Vermutung sei in den Raum gestellt: Das war alles geplant. Das erste Spiel der Rückrunde ist gleich der Klassiker im Schweizer Fussball. Zwei Erzrivalen, treffen aufeinander. Jegliche «Sicherheitsvorkehrungen» sind legitim. Und nach dem Spiel brauchte es einen Vorfall, welcher unter anderem die Einberufung der Arbeitsgruppe rechtfertigen würde. Da es zu keinem bösen Aufeinandertreffen der beiden Fanlager kam, musste die Stadtpolizei selbst eine Eskalation provozieren. Die Sektorsperre dient dann rein der Repression.
Aber wieso genau jetzt? Die Anti-Chaot:innen-Initiative steht im Kanton Zürich kurz vor der Abstimmung (siehe Text auf Frontseite). Wann wäre der beste Zeitpunkt, wenn nicht jetzt, um der Bevölkerung weiszumachen, dass es die Polizei gegen die Bedrohung der «Chaot:innen» braucht? Seien diese nun politisch oder nicht.

Share

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.