Der Damm ist vor Jahrzehnten gebrochen

flo. Auch wenn der Kuhhandel, der eine Aufstockung des Armeebudgets bei gleichzeitiger Lieferung von Waffen in die Ukraine als neue Qualität des Schweizer Rüstungshandels bezeichnet wird, ist das Liefern von Schweizer Waffen an Kriegsparteien alles andere als neu.

Da musste man rhetorisch mit der ganz grossen Kelle anrühren: Als im Parlament über die Lieferung von Schweizer Kriegsmaterial an die Ukraine abgestimmt wurde (siehe Artikel oben), hiess es in den Medien oft, dass da ein aussenpolitisches Novum möglich sei. Und zwar, dass die Schweiz trotz «immerwährender Neutralität» nun Waffen an Kriegsparteien liefern würden.

Heuchlerische Neutralität
Dabei ist der Handel von Waffen an Nationen, die sich im Krieg befinden, jahrzehntealte Praxis in der Schweiz. Die hiesige Regierung hat auch in der Rüstungsindustrie sicherzustellen, dass die Kapitalist:innen maximal mögliche Profite machen. Und in Bundesbern spielen und spielten bei der Frage, ob man Waffen auch in Kriegsgebiete liefert, geopolitische, ideologische und wirtschaftliche Faktoren eine Rolle.
Wie heuchlerisch die Schweizer Neutralität war, sieht man beispielsweise daran, wie bereit die Armee und die Regierung waren und sind, wenn es darum geht, den Export von Waffen zu ermöglichen. Eines der früheren Beispiele ist aus dem Jahr 1939. Ironischerweise ging es schon damals darum, eine Armee auszurüsten, die von Russlands Vorläuferstaat, der Sowjetunion, angegriffen wurde. Damals wurde in der Schweiz Geld gesammelt, um damit Panzerbüchsen für die finnische Armee zu kaufen. Offiziell erworben wurden Anti-Tank-Waffen vom Typ Solothurn S-18/100 jedoch von der Schweizer Armee und erst danach nach Finnland geschafft. Gerade in den folgenden Jahren wurde die Schweizer Handelspolitik bei Waffenexporten noch ein gutes Stück unappetitlicher.
Als am 1.September 1939 in Europa der Zweite Weltkrieg ausbrach, existierte in der Schweiz eine moderne Rüstungsindustrie. In Oerlikon wurden bei Oerlikon-Bührle Flugabwehrkanonen gebaut, bei SIG fabrizierte man Handfeuerwaffen und Hispano Suiza fertigte leistungsstarke Munition an. Keines dieser Unternehmen könnte für sich beanspruchen, während dieser mit dunkelsten Jahren in der europäischen Geschichte keine Waffen an die Hitlerfaschist:innen geliefert zu haben. Vor allem Oerlikon-Bührle steht bei diesem hässlichen Kapitel unserer Geschichte für grösstmöglichen Opportunismus. So führten sowohl alliierte Armeen als auch jene der Achsenmächte die Luftabwehrkanonen aus Zürich in ihren Beständen.

Stumm bleiben und wegschauen
Nach dem Krieg wurden einige dieser Rüstungsbetriebe sanktioniert. Aber für keinen dieser Unternehmen hatten ihre Geschäfte mit Hitlers Bande wirklich einschneidende Folgen. Einzig der Betrieb, der es am buntesten getrieben hatte, die Waffenfabrik Solothurn, die schon die Panzerbüchsen an Finnland geliefert hatte, musste auf Druck aus Washington ihre Pforten schliessen. In den 1930er-Jahren hatte das Unternehmen, das Rheinmetall gehörte, vor allem an faschistische Staaten Waffen geliefert. Deutschland konnte dank des Schweizer Unternehmens Bestimmungen des Versailler Friedensvertrags sowie des Vertrags von Saint-Germain unterlaufen, um für die Wehrmacht verbotene Waffen herzustellen.
Neben Deutschland gehörten auch Italien und der faschistische Ständestaat in Österreich zu dankbaren Abnehmern Schweizer Waffentechnologie. Der Bundesrat und der Waffenfabrik Solothurn Verwaltungsratspräsident Hermann Obrecht (FDP), wussten von diesen Geschäften und dem Unterlaufen internationaler Bestimmungen, beschlossen dem Profit zuliebe aber zu schweigen. Und auch sonst waren die Schweizer Waffenfabrikanten Experten darin, stumm zu bleiben und wegzusehen, wenn es sich genug lohnte.

Dann auch Kontinuität
Ab 1972 führte das Kriegsmaterialgesetz eine Reihe von Bestimmungen zur Lieferung von Waffen in Kriegsgebiete ein. Um doch Waffen liefern zu können, spielte plötzlich der Export über Drittstaaten, wie auch die Deklarierung von Kriegsmaterialien als «zivile Güter» eine viel grössere Rolle, um die eigenen Gesetze zu umgehen. So beim Krieg zwischen dem Iran und dem Irak von 1980 bis 1988 – und zwar wieder an beide Seiten. Auch im Kontext des Nahostkonflikts exportierte die Schweiz Rüstungsartikel, was zu internationaler Kritik führte. Als 1991 Jugoslawien zusammenbrach, lieferte die Schweiz laut Medienberichten an die kroatischen wie auch an die serbischen Streitkräfte. Dass die Schweiz hierbei schon wieder ein internationales Waffenembargo unterlief, sorgte dieses Mal aber dafür, dass Bundesbern in die Mühlen der Geopolitik geriet. 1996 musste die Schweiz sich diesem Druck beugen und ihr Kriegsmaterialgesetz revidieren. 2008 wurde dieses noch etwas verschärft. Neu war nicht nur die Lieferung in Kriegsgebiete verboten, sondern auch an Regime, die die Menschenrechte grob verletzen. Trotz dieser Gesetze tauchen Schweizer Rüstungsgüter aber immer wieder in Kriegsgebieten auf. So bei der saudischen Armee, die sie aktuell im Jemen einsetzen oder vor einigen Jahren in Libyen verwendeten. Es ist deutlich: Auch heute spielen ökonomische und geopolitische Faktoren eine grössere Rolle bei der Frage, wo Schweizer Waffen auftauchen, als unsere eigenen Gesetze.

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