Der Covid-Pass wird kommen. Was dann?

sit. Für die CVP-Nationalrätin Ruth Humbel ist es so klar wie das Ave-Maria in der katholischen Messe, dass Personen mit Impfungen mehr Rechte als jene ohne bekommen sollen. Um dies zu verhindern, wurde aus rechtsnationalistischen
Kreisen eine Initiative lanciert. Die Linke ist gefordert.

«Nur einen hohen Wohlstand in unserem Land, den wir durch Fleiss, Kreativität, Exaktheit, Sauberkeit, Friedseligkeit, Innovation und Kontinuität für jede einzelne Bürgerin und jeden einzelnen Bürger erlangen, wird es uns erlauben, aus Ressourcen zu schöpfen, damit wir uns gegenüber dem Elend in der Welt solidarisch zeigen können.» So lautet ein Credo der Freiheitlichen Bewegung der Schweiz (FBS).

Die «kulturelle Verwurzelung» als Basis
Gründer und Präsident ist Richard Koller. Er war Sekretär der kantonalen Luzerner SVP und ein Hardliner am rechten Rande der Partei. 2017 wurde Koller gefeuert, weil er mit seiner eigenen Initiative «Zafi – Zuerst Arbeit für Inländer» die damals in Planung stehende SVP-Initiative zur Personenfreizügigkeit konkurrenzierte. Koller gründete darauf hin die Onlineplattform «wirbestimmen.ch» – und eben die FBS.
Ihre Bekenntnisse sind auf ihrer Website unter dem Titel «Zuerst unsere Schweiz als Heimat, für Wohlstand und Zukunft» zu lesen. Und da steht unter anderem: «Neben Eigenständigkeit und Freiheit sind die Liebe zu unserer Heimat und den Menschen in unserem Land, die Pflege unserer Traditionen, unserer Identität und unserer Kultur Grundlage für unsere Weltoffenheit.»
Falls noch nicht ganz klar sein sollte, um was für ein Gedankengut es sich handelt, hier weitere Müsterchen: «Wir verfolgen eine geburtenorientierte Wachstumspolitik auf der Basis unserer kulturellen Verwurzelung…». Auswärtige sind daher nicht so willkommen. «Menschen, die bei uns Asyl gefunden haben, jedoch nicht den Kriterien von ‹integriert› entsprechen, sind in jedem Fall, nachdem ihr Schutzbedürfnis nicht mehr besteht, in ihre angestammte Heimat zu entlassen.» Und wie Frau*und Mann* sich zu paaren haben, wird so vorgeschrieben: «Die Familie, geprägt durch die Verantwortung der Partner und der Generationen füreinander, ist Grundlage unserer Gesellschaft. Die Lebensgemeinschaft wird durch das Kind zur Familie.»

Auch nicht nur «punktuell»
Die ideologische Gesinnung der FBS erinnert stark an die dunklen Zeiten ab den 1930er-Jahren in Italien und Deutschland. Wohin diese führte, ist bekannt. Doch Koller ist mit seiner FBS auf den bestem Weg, gesellschaftlich Fuss zu fassen. Sie tut es mit Kampfparolen wie «Freiheit» und «Selbstbestimmung» für die Schweizer Bürger*innen. Kollers Organisation findet so Gehör besonders im Umfeld der Corona-Kritiker*innen. Die FBS war federführend bei der Petition «Stopp Impfpflicht», die innerhalb von einem Monat von über 54000 Personen unterschrieben wurde. Koller kündigte bei der Übergabe an den Bundesrat am 3.September an, dass bald eine entsprechende Volksinitiative folgen werde. Ziel sei es, die nötigen Unterschriften innerhalb von drei bis vier Monaten zu sammeln.
Diese Initiative wurde nun am 1.Dezember mit dem Namen «Für Freiheit und körperliche Unversehrtheit (Stopp Impfpflicht)» lanciert. Ihr Ziel ist es, dass die Eidgenoss*innen selbst entscheiden können, ob sie sich impfen lassen wollen oder nicht. Wer sich nicht impfen lassen will, dem dürften daraus keine sozialen oder beruflichen Nachteile entstehen. Ein Anliegen, dass grundsätzlich auch den Linken zu Herzen liegen muss. Wobei für Sozialist*innen und Kommunist*innen Folgendes klar ist: Mit faschistoiden, rechtsnationalistischen Organisationen wie die FBS setzt man sich nie ins gleiche Boot. Auch dann nicht, wenn es «nur» um punktuelle «Sachfragen» geht. Punkt.

Der Druck wird gross sein
Die Linke ist jedoch gut beraten, sich rasch mit der ganzen Thematik auseinanderzusetzen. Denn der Covid-Pass wird kommen, so sicher wie das Ave-Maria in der katholischen Messe. «Wer geimpft ist, hat gewisse Vorteile, wer nicht, eben nicht. Ist ja kein Zwang», sagte CVP-Nationalrätin Ruth Humbel in der Sendung SonnTalk des Aargauer TV-Senders Tele M1 vom Samstag 21.November. Konkret: Mit dem Flugzeug in die Ferien, ins Stadion an ein Fussballmatch oder in der Disco tanzen soll künftig nur mit einer Covid-19-Impfung möglich sein. Humbel ist Präsidentin der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrats und kündigte entsprechende Vorstösse an.
Mit dem Covid-Pass werden der gesellschaftliche Druck und Zwang gross sein, sich impfen zu lassen. Die Rede wird sein von Solidarität gegenüber den Risikogruppen; wer sich nicht impft, ist unsolidarisch. Besonders stark wird der Druck auf gewissen Berufsgruppen sein. An erster Stelle steht hier das Personal im Gesundheitswesen. Folgt man der Logik von Humbel, ist es klar, dass die Arbeitgeber*innen im Gesundheitswesen die Macht bekommen sollen, ihre Arbeiter*innen zur Impfung zwingen zu können. Das Ave-Maria lässt grüssen.

Die Realität ist eine andere
Sprechen all diese Tatsachen für die von Koller und seiner FBS massgeblich lancierte Initiative? Nein, das Gegenteil ist der Fall: Sie entlarven das Vorgehen als reine populistische Propaganda. Denn wir wissen: Was in der Verfassung steht und was die Realität ist, sind oft zwei verschiedene Paar Schuhe. Man denke da nur an die AHV, die laut Verfassung für ein würdiges Leben im Alter zu sorgen hat. Der gesellschaftliche Druck und Zwang zum Impfen werden so gross sein, dass die Bestimmungen in der Verfassung nicht viel mehr als schöne und gut gemeinte Worte sein werden. Erinnert sei auch daran, dass aus Sicht der Kapitalist*innen die Prolet*innen auch «frei» sind, ihre Arbeitsstelle zu wählen. Die Realität ist – wie wir alle wissen – eine weit andere.

Die Frage der Hegemonie
Das Zustandekommen der Initiative wäre daher nur Wasser auf die Mühlen der FBS, mehr nicht, doch schlimm genug. Ihr Volksbegehren ist weit davon entfernt, die Probleme rund um den Impfzwang zu lösen.
Die Selbstbestimmung über den eigenen Körper ist für Linke keine Frage, sondern eine Selbstverständlichkeit. Was bei der Abtreibung gilt, ist beim Impfen nicht anders. Wenn persönliche Freiheitsrechte angegriffen werden, heisst die Antwort jedoch nicht «Heimat» oder «kulturelle Verwurzelung». Sie heisst Sozialismus, denn alles andere führt bekanntlich zur Barbarei. Es geht darum, dass in der bürgerlichen Gesellschaft die Herrschaft nicht allein durch blossen Zwang erzeugt wird, sondern die Menschen werden überzeugt, dass sie in der «besten aller möglichen Welten» leben. Mit dem gleichen Mechanismus wird der Impfzwang zur «besten aller Lösungen». Der italienische Schriftsteller und Philosoph Antonio Gramsci nannte es die Frage der Hegemonie.

Klassenkampf statt Kampf für eine saubere Schweiz
Was tun? Sicher mal aufzeigen, dass die FBS und der Grossteil der Covid-Gegner*innen an den herrschenden Zuständen nichts ändern, sondern sie zementieren wollen. Den Mut haben, den gesellschaftlichen Kampf entlang dieser Frontlinie zu führen. Das heisst konkret, den Klassenkampf zu thematisieren, und nicht den Kampf für eine «fleissige und saubere» Schweiz. Aufzeigen, dass es bei den nötigen Verbesserungen der Arbeitsbedingungen gerade bei den Berufsgruppen, die stark vom Impfzwang betroffen sein werden, es nicht um «Fairness» geht. Sondern darum, dass durch die Ausbeutung der Arbeitskraft jenen die Kassen füllt, die wirklich an der Macht sitzen und die gesellschaftliche Hegemonie haben. Und das sind nicht die Politiker*innen in Bern, wie Koller so gerne behauptet, sondern die Kapitalist*innen. Jene, die Koller und Co. schonen, indem sie mit populistischen Vorstössen die Gesellschaft in «Schweizer*innen» und «Fremde» spalten.

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