Das Rückgrat des Rechtsrucks heisst Antifeminismus

Rosa Hässig. Im Jahr 2020 begab sich der Autor Tobias Ginsburg undercover auf einen Streifzug durch antifeministische Netzwerke und veröffentlichte seine Eindrücke in «Die letzten Männer des Westens».

Die Lektüre erschüttert, denn sie zeichnet ein klares Bild: Aus den finstersten Ecken des Internets, aus den Versammlungsräumen von Burschenschaften und anderen Männerbünden sowie aus den Gemäuern christlich-fundamentalistischer Institute heraus hat sich bis weit in die bürgerliche Gesellschaft und Politik hinein eine Geisteshaltung verbreitet, die den Feminismus als Bedrohung einer idealisierten «Männlichkeit» ansieht. Zu deren Rettung soll das patriarchale Herrschaftssystem wieder zu voller Stärke gebracht werden – wenn nötig, mit Gewalt.

Propagiertes Ideal: starkes Alphatier
Dass die Gesellschaft unter einer halbwegs progressiven Oberfläche immer noch von solchen Vorstellungen durchzogen ist, ist zwar keineswegs neu. Neu (oder zumindest überwunden geglaubt) ist aber die Offenheit, mit der dies in zunehmendem Masse geschieht. Männercoaches wie Maximilian Pütz und Influencer wie Andrew Tate erreichen mit ihren sexistischen und teilweise Gewalt legitimierenden Botschaften ein Millionenpublikum. Antifeminismus ist anschlussfähig geworden: Gerade bei jungen, heterosexuellen cis Männern verfängt das propagierte Ideal vom starken Alphatier, das sich in einer harten Welt den Erfolg erkämpft und dem sich die Frauen – für nichtbinäre Geschlechtsidentitäten ist da von vornherein kein Platz – zu unterwerfen haben. Der fortschreitenden Radikalisierung spielen auch die Algorithmen sozialer Medien in die Hände: Content-Empfehlungen führen gerade männliche Nutzer systematisch von vermeintlich harmlosen Dating-Tips zu explizit antifeministischen und rechtsextremen Inhalten. Diese digitale Infrastruktur bildet das technologische Rückgrat einer global vernetzten antifeministischen Bewegung, der sich immer mehr Platformen aus wirtschaftlichen Interessen beugen.

Rechter Aufstieg
In den bürgerlichen Medien wird diese neue Welle des Antifeminismus nur selten thematisiert. Auch Ginsburgs Recherche ist bei ihrem Erscheinen 2021 nicht auf allzu viel Resonanz gestossen. Vier Jahre und eine Pandemie später sehen wir in zahlreichen «westlichen» Ländern rechtspopulistische Parteien an der Macht oder nahe daran, sie zu ergreifen. Fast hätte Österreich einen «Volkskanzler» bekommen, und noch ist die Gefahr nicht gebannt. In Deutschland droht Ähnliches. Derweil sitzt Trump erneut im Oval Office und beschneidet seit dem ersten Tag seiner zweiten Amtszeit massiv die Rechte von FLINTA-Personen (Frauen, Lesben, inter, nonbinäre, trans, agender Personen).

Hass auf Frauen und Queers
Aber was hat dieser Aufstieg rechter Parteien konkret mit dem Antifeminismus zu tun? Weit mehr, als viele sich bewusst sind: Im rechten Spektrum tummeln sich durchaus unterschiedliche Akteur*innen mit teils gegensätzlichen, auf den ersten Blick schwer vereinbaren Motiven. Den religiösen Rechten geht es zum Beispiel um die Aufrechterhaltung beziehungsweise Wiederherstellung einer «göttlichen Ordnung» und Sexualmoral, während sogenannte Pick-up-Artists sich das Ziel setzen, so viele Frauen wie möglich ins Bett zu kriegen. Ihre manipulativen Taktiken beruhen auf einem binären Geschlechter- und Rollenbild, in dem Männer stark und dominant zu sein haben und Frauen zu reinen Lustobjekten degradiert werden, deren Wille nicht respektiert werden muss. White Supremacists wollen die Reproduktion und Erhaltung einer privilegierten «weissen Rasse» sicherstellen. Radikalisierte Incels (involuntary celibate) machen den Feminismus für ihren Misserfolg bei der Partnerinnensuche verantwortlich und entwickeln einen Hass auf Frauen, der oft in Gewalt umschlägt.
So unterschiedlich diese rechten Ideologien auch sind, in einem Punkt sind ihre Anhänger*innen sich einig: Die Selbstbestimmung von FLINTA-Personen ist ein Hindernis und deren Unterdrückung daher ein wichtiger Zwischenschritt zur Erreichung ihrer Ziele. Somit ist Antifeminismus der gemeinsame Nenner, unter dem sie sich vernetzen und ihre Kräfte bündeln können.

Christlich-rechte Seilschaften
Genau das ist in den letzten Jahren geschehen: Ab 2014 begannen etwa die Rechtsextremen der US-amerikanischen Alt-Right-Bewegung unter Steve Bannon, ihre Anhängerschaft gezielt aus der «Manosphere» zu rekrutieren, dem virtuellen Wildwuchs an Foren, Blogs und sozialen Medien, auf denen sich der toxische Männlichkeitswahn in all seinen Schattierungen ungebremst ausbreitet und austobt. Zu den Erfolgen dieser grossangelegten Kampagne gehört letztlich auch die zweimalige Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten. Parallel dazu feierten auch in Europa rechtsradikale Burschenschaften, Identitäre und rückwärtsgewandte Männerbünde verschiedener Prägung ihr Comeback und trugen mit einer maskulistischen Sprache und dem Versprechen «wahrer Männlichkeit» die Neue Rechte zu ihren heute sichtbaren Erfolgen. Auch zwischen Neurechten und christlichen Fundamentalist*innen bestehen gute Beziehungen. So trifft man sich auf dem «Marsch fürs Läbe», und es ist auch kein Zufall, dass Martin Sellner bei seinem letzten Einreiseversuch in die Schweiz im vergangenen Oktober ein T-Shirt trug, auf dem das durch Sanija Ametis Schiessübungen bekannte Heiligenbild aufgedruckt war. Im Hintergrund nehmen ultrarechte christliche Netzwerke wie «Agenda Europe» viel Geld in die Hand, um Parteien mit antifeministischer Gesinnung zu pushen und – über konservative und neurechte Seilschaften in Parlamenten und Gremien – die Menschenrechte von FLINTA-Personen zu torpedieren und abzubauen.
Wer also den aktuellen Rechtsruck verstehen will, sollte berücksichtigen, dass dieser sehr deutlich vom Wunsch nach einer Wiederherstellung und Stärkung patriarchaler Strukturen getragen wird. Die Umkehrung dieser Entwicklung kann dann gelingen, wenn die Gesellschaft sich davon überzeugen lässt, dass durch das Patriarchat die Allerwenigsten profitieren – auch nur die wenigsten cis Männer –, während der grosse Rest, mitunter sogar die erbittertsten Kämpfer für das Patriarchat, unter Fremdbestimmung, Unterdrückung und einer durch toxische Männlichkeit zerstörten Psyche zu leiden hat.

Feministische Gegenwehr
Auf die kommende Auseinandersetzung mit den Kriegern des Patriarchats sollten wir uns gefasst machen. Schon heute sind wir mit einer Generation junger Männer konfrontiert, die ihre antifeministische Prägung von Influencern wie Andrew Tate erhalten haben, und die mit ihren Wählerstimmen Parteien wie die AfD, FPÖ oder SVP weiter stärken und auch deren Gesinnung und Ziele in nächster Zukunft mitgestalten werden. Als FLINTA-Personen dürfen wir dazu nicht schweigen, sondern müssen dieser Entwicklung kämpferisch entgegentreten, unsere Gegenwehr sichtbar machen, die Errungenschaften des Feminismus verteidigen und weiter voranbringen. Konkret braucht es eine Sensibilisierung der Gesellschaft für die beschriebene Entwicklung und eine Stärkung feministischer Bildungsarbeit. Und wir sollten unbedingt die Dynamiken des Internets in unsere Strategien einbeziehen und den Algorithmen, welche die Radikalisierung befeuern, den Kampf ansagen.

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