Das neue Antiterror-Gesetz der Schweiz

sit. Warnungen von Expert*innen zum Trotz verabschiedete der Nationalrat Mitte Juni neue Antiterror-Vorlagen. Die Erweiterungen der polizeilichen Kompetenzen betreffen nicht die Aufklärung und Verfolgung begangener Straftaten, sondern sollen im präventiven Bereich zum Zuge kommen. Hinschauen ist Pflicht!

Die bürgerliche Mehrheit im Nationalrat hat am 18. Juni eine Reihe von Massnahmen zur angeblichen Bekämpfung von Terrorismus beschlossen: Melde- und Gesprächsteilnahmepflichten, Kontaktverbote, räumliche Ein- und Ausgrenzungen, Ausreiseverbote, elektronische Überwachung und Mobilfunklokalisierungen, Ausreisebeschränkungen und Eingrenzungen auf eine Liegenschaft, sprich Hausarrest. Die meisten Massnahmen dürfen die Behörden bei Kindern ab 12 Jahren anwenden. Einzig beim Hausarrest ist das Mindestalter 15 vorgesehen.
Der Kampf gilt «Gefährder und Gefährderinnen», wie sie in der Gesetzesvorlage genannt werden. Schwammiger geht es kaum. Doch das unklare Definieren von Rechtsbegriffen, das so den Behörden einen enormen Interpretationsspielraum offenlässt, zieht sich wie ein Roter Faden durch den vom Nationalrat beschlossene «Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus» (PMT). «Die Vorlage verbindet extrem vage Definitionen mit weitgehenden Kompetenzen für die Polizei, die dann über einschneidende Massnahmen gegen potenziell gefährliche Personen verfügen könnte», schreibt die NGO-Plattform Menschenrechte Schweiz, ein Zusammenschluss von mehr als 80 schweizerischen Nichtregierungsorganisationen, in ihrer Medienmitteilung vom 19.Juni 2020.

Veränderung der Staatsordnung ist Terrorismus
Ganz besonders bei der Antiterror-Diskussion spielt die Macht der Sprache eine wesentliche und entscheidende Rolle. Hand aufs Herz: Wer denkt beim Wort Terrorismus nicht an Religionsfanatiker*innen, die Mord- und Terroranschläge gegen Zivilist*innen verüben, um ihren «Gottesstaat» zur verwirklichen. Mit diesem Bild im Kopf lassen sich angebliche Antiterror-Gesetze leicht verkaufen. Doch, was ist laut Gesetz Terrorismus und wer wird als Terrorist*in bezeichnet? Es lohnt sich, genauer hinzuschauen.
In der Gesetzesvorlage ist, wie bereits erwähnt, von «terroristischen Gefährder und Gefährderinnen» die Rede. Dieser nicht gerade anstrebenswerte Status kann von der Polizei jemandem zugesprochen werden, wenn «aufgrund konkreter und aktueller Anhaltspunkte davon ausgegangen werden muss, dass sie oder er eine terroristische Aktivität ausüben wird». Als terroristische Aktivität gelten jegliche «Bestrebungen zur Beeinflussung oder Veränderung der staatlichen Ordnung», welche durch Ausübung oder Androhung einer Straftat» oder (nicht und!) mittels «Verbreitung von Furcht und Schrecken» begünstigt oder verwirklicht werden sollen.

Präventive Gefahrenabwehr
Übertragen wir diese Gesetzesformulierungen in eine fiktive Realität und stellen uns Folgendes vor: Die Klimabewegung ruft zu einer Aktion des zivilen Ungehorsams unter dem Slogan «System change not climata change» auf. Deutlicher kann der Aufruf zur «Veränderung der staatlichen Ordnung» nicht sein. Als Protest soll der Zürcher Flughafen für zwei Stunden lahmgelegt werden. Natürlich gibt es keine behördliche Bewilligung dazu. Wer daran teilnimmt, begeht laut Gesetz eine «Straftat». Das genügt, es muss nicht mal Furcht und Schrecken verbreitet werden. Mit dem neuen Antiterror-Gesetz reichen «konkrete und aktuelle Anhaltspunkte», damit die Massnahmen zur «präventive Gefahrenabwehr» zum Zuge kommen. Und die sind – zur Erinnerung: Melde- und Gesprächsteilnahmepflichten, Kontaktverbote, räumliche Ein- und Ausgrenzungen, Ausreiseverbote, elektronische Überwachung und Mobilfunklokalisierungen, Ausreisebeschränkungen für Kinder ab 12 Jahren und Hausarrest ab dem 15.Lebensjahr. Dies alles, damit eine mögliche Teilnahme an der Demo verhindert werden kann.
Auf den Punkt gebracht: Die Erweiterungen der polizeilichen Kompetenzen betreffen nicht die Aufklärung und Verfolgung begangener Straftaten, sondern sollen sich im präventiven Bereich entfalten können. Mit dieser «präventiven Gefahrenabwehr» erfolgt die Umkehrung der Beweislast. Um bei unserem Beispiel zu bleiben: Der/die Klimaaktivist*in muss beweisen, dass sie/er nicht die Absicht hatte, an einer illegalen Protesaktion teilzunehmen. Wie soll dies gehen? Wie soll und kann die Unschuld für eine Straftat bewiesen werden, die gar nie begangen wurde?

Polizeiliche Mutmassungen als Grundlage
Die Gesetzesvorlage stellt auch den Grundsatz der Unschuldsvermutung komplett auf den Kopf. Dieser besagt, dass jemand solange unschuldig ist, bis seine Schuld bewiesen wurde. Mit der Umkehrung der Beweislast erfolgt ein Eingriff in die Grundrechte von uns allen, dessen Folgen von grosser Tragweite sein werden. Hinzu kommt die Frage der Beweislage: Sie ist höchst intransparent, denn es ist davon auszugehen, dass die Präventivmassnahmen in den meisten Fällen auf Informationen des Nachrichtendienstes des Bundes (NDB) beruhen würden – jenem Teil des Staatssicherheitsdienstes, der grosse Narrenfreiheit geniesst.
Zusammenfassend: «Die Grundlage der präventiven Gefahrenabwehr bilden demnach polizeiliche Mutmassungen über allfällige künftige terroristische Aktivitäten, wenn ein strafrechtlich relevanter Verdacht noch fehlt», erklärt humanrights.ch in seiner Stellungnahme vom 9.März 2020. Weiter wird festgehalten: «Der Gesetzeswortlaut beschränkt diese Spekulationen in keiner Weise nur auf Personen, welche konkret einen gewalttätigen Anschlag auf die Bevölkerung vorbereiten. Ins Visier geraten könnten dabei geradeso Einzelpersonen für klimaaktivistische Aktionen und grundsätzlicher Kritik am kapitalistischen System.»

Verletzung der Verpflichtung gegenüber Kindern
Für rote Köpfe im Parlament sorgte der Vorschlag, dass auch Kinder und Jugendliche von den Präventivmassnahmen betroffen sein können. FDP-Bundesrätin Karin Keller-Sutter, zuständig für das Antiterror-Dossier, wies die Kritik zurück, dass der «Hausarrest» und andere Massnahmen rechtlich bedenklich seien. Der Bundesrat habe sämtliche Massnahmen ausgiebig geprüft, sagte Keller-Sutter. Abgesehen von der Präventivhaft seien sie alle mit der Kinderrechts- und der Europäischen Menschenrechtskonvention vereinbar. Wirklich Frau Bundesrätin?
«Der Polizei zu erlauben, Zwangsmassnahmen gegen 12-jährige Kinder zu ergreifen, ist eine Verletzung der Verpflichtungen der Schweiz gegenüber ihren Kindern», werden Philip D. Jaffé und Jean Zermatten in der Medienmitteilung der NGO-Plattform Menschrechte Schweiz vom 15.Juni zitiert. Jaffé ist ehemaliger Schweizer Präsident des UNO-Ausschusses für die Rechte des Kindes, während Zermatten aktuell die Schweiz in diesem UN-Gremium vertritt. Die Schweiz sei «an die Konvention über die Rechte des Kindes von 1989 gebunden, in der die Verpflichtungen der Staaten in Bezug auf die Jugendgerichtsbarkeit sehr klar festgelegt sind.»

«Äusserst besorgniserregend»
Deutliche Kritik am geplanten Gesetz wird auch von fünf UNO-Sonderbeauftragten für Menschenrechte in einem gemeinsam verfassten, 15-seitigen Bericht, an den Bundesrat geäussert: «Die erforderliche Klarheit fehlt, um sicherzustellen, dass die im Rahmen dieses Gesetzes getroffenen Massnahmen notwendig und verhältnismässig sind.» Die weitreichenden Befugnisse, die dem Nachrichtendienst übertragen werden sollen, seien «äusserst besorgniserregend». Die Expertinnen und Experten stellen in ihrem Schreiben unter anderem fest, dass die im Gesetzentwurf enthaltene Definition von «terroristischen Aktivitäten» nicht mit den Definitionen «des Sicherheitsrates und dem Mandat des UNO-Sonderberichterstatters für die Förderung und den Schutz der Menschenrechte und Grundrechte im Kampf gegen Terrorismus übereinstimmt».

Wie weiter?
Die Differenzen zwischen dem National- und dem Ständerat müssen noch bereinigt werden, bevor die Gesetze voraussichtlich in der Herbstsession verabschiedet werden sollen. Die NGO-Plattform Menschenrechte Schweiz ruft die ParlamentarierInnen dazu auf, die «äusserst problematischen Vorlagen in der Schlussabstimmung abzulehnen.» Sie künden weiter an, die Anwendung der Gesetze kritisch verfolgen und die Rechte von betroffenen Personen auch juristisch verteidigen zu wollen.
Und die Linke? 30 Jahre nach dem Fichenskandal zeigt sich, wie bitternotwendig eine breite Diskussion über die demokratischen Grundrechte nötig wäre. Doch es fehlt offensichtlich die Kraft und der politische Willen, diese zu führen. Für die SP und die Grünen ist das Eisen schlicht zu heiss – sie werden sich sehr gut hüten, die Finger damit zu verbrennen. Und die Linke links von SP und Grünen hat schlicht die Kraft nicht, die Diskussion so zu beeinflussen, dass auch nur ein Referendum gegen das neuen Antiterror-Gesetzt zustände käme. Traurig aber wahr, und so steht dem weiteren Abbau von Grundrechten, die einmal hart erkämpft wurden, offensichtlich im «Staate der Eidgenossen» nichts mehr im Wege. Der Fichenskandal lässt grüssen.

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