Das Lastwagen-Kartell

dom. Über viele Jahre hinweg haben führende europäische LKW-Hersteller ein Kartell gebildet. Die Käufer:innen, die für ihre LKW’s überhöhte Preise bezahlen mussten, haben sich zusammengetan, um Klage einzureichen – ein Lehrstück über den Kapitalismus.

Die Geschichte reicht weit zurück ins Jahr 1997. Heimlich setzten sich die Führungskräfte der grössten europäischen Lastwagenproduzenten – Daimler, Iveco, Volvo/Renault, DAF, Scania und MAN – in Brüssel zusammen. Dort trafen sie illegale Preisabsprachen, mit denen die Preise für Lastwagen über Jahre hinweg künstlich hochgehalten wurden.
Das Kartell bestand über ein Jahrzehnt, bis es im Jahre 2010 aufflog. Der deutsche Hersteller MAN meldete sich freiwillig bei den EU-Behörden, um im Austausch gegen Straferlass als Kronzeuge zu agieren. Die Europäische Wettbewerbsbehörde reagierte und erteilte Bussen von insgesamt rund vier Milliarden Euro.

Die Realität
Trotzdem bestritten die beteiligten Unternehmen weiterhin, dass ihre Kunden – darunter Städte, Logistikunternehmen und andere Käufer:innen – durch die Absprachen finanziell geschädigt worden waren. Erst vor drei Jahren hat der deutsche Bundesgerichtshof Sammelklagen betroffener Käufer:innen als zulässig eingestuft. In der Folge schlossen sich zahlreiche Städte und Unternehmen – darunter Zürich im April 2024 und neuerdings auch Winterthur – zu einer solchen Klage zusammen. Die Internationale Gesellschaft für Verbraucherrechte (IGVR), die bereits über tausend Kläger vertritt, übernimmt die juristische Vertretung. Wie der Landbote kürzlich berichtete, geht es dabei für Winterthur um erhebliche Summen: Die Stadt hatte rund 120 Lastwagen zu überhöhten Preisen gekauft. Bei einer geschätzten Schadenersatzsumme von 10 000 Euro pro LKW ergibt sich eine Forderung zwischen
830 000 und 1,2 Millionen Euro.
Es ist eine dieser Geschichten, die offenlegen, was schon Marx und Engels wussten: Der Kapitalismus neigt in seinem Entwicklungsprozess zur Monopolbildung. Liberale Wirtschaftstheorien können noch so lange die ordnende Konkurrenz zwischen vielen kleinen Unternehmen loben – die Realität des modernen Kapitalismus zeigt ein ganz anderes Bild: Wenige grosse Konzerne beherrschen ganze Märkte.
Die sechs am Kartell beteiligten LKW-Unternehmen kontrollieren einen Grossteil des europäischen Lastwagenmarktes – eine Machtkonzentration, die Absprachen ermöglicht, statt im Wettbewerb um Preise und Innovationen zu konkurrieren. Der «freie Markt» erweist sich als Illusion – stattdessen koordinieren sich Konzerne zum Zwecke der Profitmaximierung.

Was macht der bürgerliche Staat?
Auch die Marx’sche Erkenntnis, dass der bürgerliche Staat in letzter Instanz die Interessen der herrschenden Klasse schützt, wird von dieser Geschichte eindrücklich belegt, und zwar im doppelten Sinne: Zum einen ist der Staat (beziehungsweise die Städte Zürich und Winterthur) als Käufer selbst zum Opfer der kartellhaften Praktiken geworden – allerdings letztlich auf Kosten der Arbeiter:innen, welche über Steuern das Geld der öffentlichen Hand aufbringen.
Zum anderen ist der Staat für die Regulierung und Sanktionierung solcher Praktiken zuständig. Die bisher gesprochenen Bussen sind im Vergleich zu den erzielten Profiten verschwindend klein. Das System von Wettbewerbsaufsicht und Geldbussen offenbart die strukturelle Schwäche bürgerlicher Rechtsprechung: Solche Strafen ändern nichts an den kapitalistischen Anreizen, weiterhin Profite auf illegale Weise zu maximieren.

Wer bezahlt die Zeche?
Während die beteiligten Unternehmen durch ihre Preisabsprachen höhere Profite erzielten, sind es letztlich die Arbeiter:innen, die den Preis für die Kartellbildung bezahlen. Im Zuge der Geschichte wurden öffentliche Gelder verschwendet. Städte wie Winterthur mussten für ihre Lastwagen mehr bezahlen als notwendig. Geld, das in den Ausbau öffentlicher Infrastruktur, soziale Dienste oder höhere Löhne für kommunale Angestellte hätte investiert werden können. Kaum nötig anzufügen, dass die Arbeiter:innen in der LKW-Industrie freilich von der Geschichte auch nicht profitieren konnten: Während das Management der beteiligten Unternehmen durch Boni und Aktienoptionen belohnt wurde, änderte sich für die Beschäftigten gar nichts. Die Profite, die aus dem Kartell resultierten, flossen an Aktionär:innen und Konzernspitzen – nicht an die Mechaniker:innen, Fahrer:innen oder Produktionsarbeiter:innen.

Zu wenig, zu spät
Nicht nur sind die Bussgelder im Vergleich zu den erschlichenen Profiten lächerlich tief –die Tatsache, dass der Fall erst nach über 25 Jahren juristische Konsequenzen nach sich zieht und nur durch eine Sammelklage Druck auf die Unternehmen ausgeübt werden kann, stellt die Wirksamkeit bürgerlicher Rechtssprechung mindestens infrage und zeigt auf: Nur die demokratische Kontrolle über die Produktion und Verteilung von Gütern kann solchen Umtrieben ein Ende setzen.

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