«… dann sollen sie eben zu Hause bleiben»
sit. Die PdA-Genossinnen Rita Maiorano und Sevin Satan engagierten sich in Zürich stark für den feministischen Streik. Der vorwärts sprach wieder mit ihnen nach dem grossen Erfolg vom 14.Juni und als die Anspannung bei den beiden Aktivist:innen etwas nachgelassen hatte.
Wie fühlt ihr euch 48 Stunden nach dem 14.Juni?
Sevin: Ich war am Fuss verletzt und hinke noch immer seit gut zwei Wochen. Er war lange geschwollen und aufgeschürft. An der Demo war ich wie schon 2019 verantwortlich für den Demoschutz. Ich habe den Personen, mit denen ich Demoschutz vorbereitet habe, mitgeteilt, dass ich wahrscheinlich nur einen Teil mitlaufen könne und abgelöst werden müsse. Ich hatte mir schon einen Platz im Demowagen zum Ausruhen organisiert. Doch ab dem Moment, als die Demo losging und wir dann nach rund zweieinhalb Stunden Demo auf dem Ni-una-menos-Platz ankamen, war mein Fuss kein Thema. Ich hatte es völlig vergessen, da mich das Gefühl von Freude überkam, wie damals 2019. Ich habe bis in die Morgenstunden getanzt und spürte erst mit der Müdigkeit den Schmerz wieder. 48 Stunden später spüre ich zwar noch einen leichten Schmerz, doch der Schmerz wurde durch den feministischen Streik gelindert und es war Balsam für meine Seele. Demonstrieren für den Feminismus in so einer grossen Form ist pures Doping für alle und steckt an.
Rita: Grossartig, aufgestellt und motiviert. Ein wunderbares Gefühl, wirklich. Wenn so grosse Ereignisse stattfinden wie der feministische Streik und dieser auch noch ein riesiger Erfolg wird, dann hat mensch Kraft und Motivation weiterzumachen. Pures Doping, wie Sevin sagt.
Hand aufs Herz: Habt ihr mit einem so grossen Erfolg gerechnet?
Rita: Absolut nicht! Ich dachte, es wird sicher grösser als letztes Jahr, als alles noch unter dem Einfluss der Pandemie stand. Aber ich habe nicht mit so vielen Menschen gerechnet. Im Gegensatz zu 2019 war der Streik im Voraus weniger visuell, weniger Fahnen auf den Balkons und weniger präsent in den bürgerlichen Medien. Wenn etwas in den bürgerlichen Medien kam, dann eher negativ behaftet oder um zu spalten.
Sevin: Ja, das habe ich. Und ich habe auch im Interview mit dem vorwärts vor dem 14.Juni gesagt, dass es wieder etwas Grosses wird wie 2019. Viele neue Flintaq-Personen, vor allem auch jüngere, kamen zur Bewegung dazu. Seit dem Streik 2019 wurden viele Themen in der feministischen Bewegung angegangen. Auch wenn die Pandemie den Schwung und die Kraft vom 2019 abschwächte, wurden viele der Vernetzungen aufrechterhalten. Spätestens nach der Niederlage bei der AHV21 wurde die Wichtigkeit vom 14.Juni von vielen Organisationen und Parteien anerkannt.
Was waren die Gründe des Erfolgs?
Rita: Obwohl sehr verschiedene Feministinnen diesen 14. Juni organisiert haben, haben sie zusammengehalten, durchgehalten und gekämpft. Das ist keine Selbstverständlichkeit, und daher auch ein Zeichen der Stärke der Bewegung. Ein grosses Dankeschön auch an alle solidarischen Männer. Sie haben uns hier in Zürich, aber nicht nur, tatkräftig unterstützt und ganz vieles ermöglicht.
Sevin: Es gab viele Gründe und Faktoren, ich kann nur einige davon nennen. Die Arbeit der Streikkollektive, dass der 1.Mai in Zürich im Zeichen von «Jin, Jian, Azadi» standen und gestaltet wurde, die Arbeit von weiteren verschiedenen Organisation wie 16 Tage gegen Gewalt an Frauen, mit vielen Workshops und Lesungen, Vorträge, Aktionen, viel Repression seitens der Polizei, die bereits erwähnte Abstimmungsniederlage bei der AHV und so vieles mehr führte zu dieser grossen Mobilisierung. Seit 2019 wurde auch ein Bewusstsein für viele der Themen geschaffen und einige Errungenschaften kamen auch dazu.
Was hat euch besonders beeindruckt?
Sevin: 2019 gab es den einen Moment, an dem wir an der Demo alle hingesessen sind und es war eine Minute lang ganz still. Das war ein magischer Moment, denn: Wenn Frau will, steht alles still. Da trafen sich die Blicke von meiner Mutter und mir und wir beide hatten ein Lächeln im Gesicht und gleichzeitig Tränen in den Augen. Diesen Moment werde ich nie vergessen. 2023 gab es wieder so einen Moment: Um 19 Uhr war elf Sekunden lang ein kollektiver Schrei für die elf in diesem Jahr ermordeten Frauen (Feminizide) in der Schweiz. Dies war ein sehr berührender Moment.
Rita: Die Zusammenarbeit im feministischen Streikkollektiv Zürich. Es hat so viele verschiedene Menschen und alle haben ihren Platz gefunden und über Differenzen überwunden. Die Forderungen sind jetzt konkreter als 2019. Wenn die bürgerlichen Frauen fernbleiben wollen, weil die Forderungen zu links oder gewerkschaftlich sind und es nicht mehr ein Frauenstreik, sondern ein feministischer Streik ist, dann sollen sie zu Hause bleiben. Ich wünsche mir, dass diese Frauen (aber auch Männer) gar nicht mehr gewählt werden. Wir müssen damit bereits bei den nächsten Nationalratswahlen vom Oktober 2023 beginnen. Auf den Punkt gebracht: Wählt Frauen und Männer, die unsere Forderungen vom feministischen Streik unterstützen und weiterbringen.
Was ist jetzt für die Zukunft der Bewegung wichtig? Welche nächsten Schritte oder Aktionen wären sinnvoll?
Rita: Da ich nicht mit so einem grossen Erfolg gerechnet hatte, habe ich mir die nächsten Schritte gar nicht im Voraus überlegt. Wir, und mit «wir» meine ich wirklich alle, hatten sehr viel zu tun. Die Forderungen sind mehr als klar und ich bringe hier nur ein paar Beispiele: Ablehnung der BVG-21-Reform und Stärkung der AHV, die Anerkennung von Care-Arbeit als Lohnarbeit, die Mindestlöhne müssen gesetzlich verankert werden, Verkürzung der bezahlten Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich, Lohnerhöhung in Branchen, in denen überwiegend Frauen beschäftigt sind, Elternzeit für alle Erziehungspersonen von mindestens einem Jahr, Massnahmen zur Bekämpfung häuslicher und sexualisierte Gewalt und so weiter. Gewisse Themen müssen bereits in der Schule behandelt werden, wie etwa häusliche, sexualisierte und rassistische Gewalt, Sexual- und Zustimmungserziehung, Body-Shaming und behinderteninklusive Werte. Wir haben noch einiges zu tun.
Sevin: Ich fände es wichtig, sich auf den Streik zu konzentrieren, und zwar im eigentlichen Sinne, sprich die Arbeit niederlegen. Der feministische Streik, so wie sie jetzt ist, sollte jährlich weiter bestehen und gleichzeitig die Niederlegung der Arbeit verstärkt werden. Schrittweise in den Betrieben mit kleineren Streiks, um dies anzugehen und zu erlernen. Das Ziel sollte sein, dass wir bei einem der künftigen feministischen Streiks wirklich so weit sind, dass alles mal stillsteht. Parallel sollte ein Hauptthema, also ein oder zwei «gemeinsame Nenner» aus dem Manifest schweizweit in den Fokus gestellt und gemeinsam angepackt werden.