«Bist du ein Krawalltourist aus Deutschland?»
Ahmed F.* Am 1.Mai wurden ich und fünf Freunde der Gewerkschaft Industrial Workers of the World (IWW) verhaftet und mit einem Rayonverbot für 24 Stunden bestraft. Der Vorwurf: Nichtbeachtung der Corona-Schutzmassnahmen und Teilnahme an einer illegalen Demonstration. Die Fakten sprechen aber eine deutlich andere Sprache.
Am 1.Mai befand ich mich gegen 14 Uhr mit weiteren Kollegen im Zürcher Kreis 1, nicht weit vom Grossmünster entfernt. Geplant war, vor den Gebäuden von Firmen, die für ihre schlechte Arbeitsbedingungen bekannt sind, ein Foto mit einem Transparent zu machen. Zum Zeitpunkt der Verhaftung waren wir in drei Gruppen von je drei Personen unterwegs und hielten dabei die vorgeschriebenen Abstandsregeln ein. Ich und zwei Freunde waren in der hinterste der drei Dreiergruppen, mit gebührendem Abstand zur Gruppe vor uns. Wir zeigten dabei keine Schilder oder Transparente. Trotzdem wurden wir von vier Polizist*innen angehalten.
Hier wird Schwiizerdütsch gesprochen
«Was macht ihr hier», fragte uns einer von ihnen. Doch ohne unsere Antwort abzuwarten, begannen sie unsere Taschen und Rucksäcke zu durchsuchen. Der Polizist, der mich durchsuchte, sprach mich auf Schweizerdeutsch an. Ich sagte ihm, dass ich kein Schweizerdeutsch verstehe, und bat ihn darum, auf Hochdeutsch zu sprechen. Seine Antwort: «Hier in der Schweiz sprechen wir Schwiizerdütsch. Ich werde aber mit dir Hochdeutsch reden, weil ich nett bin». Dann fragte er mich: «Bist du ein Krawalltourist aus Deutschland?» Ich verneinte, erklärte ihm, dass ich hier in der Schweiz lebe und arbeite. Bald darauf fand er in meinen Hosentaschen und Jackentaschen mehrere Aufkleber. Einer von der PdA mit der Forderung nach tieferen Mieten und höheren Löhne. Aber auch einen, der nicht gerade schmeichelhaft für die Polizei ist, denn darauf stand: «Polizei: Kein Freund und kein Helfer». Er schaute mich an und fragte: «Ist das dein Dank dafür, dass du hier in der Schweiz sein darfst?» Weiter meinte er, die Kleber seien aus Deutschland, so müsse auch ich von dort kommen. Offensichtlich war dem Polizisten der internationale Postverkehr fremd.
Der Polizist sah dann auf einer Baustelle hinter uns ein Stück Papier, wohl ein Flyer oder so. Er dachte, es gehöre zu uns. Er nahm seinen Schlagstock, um das Papier hinter dem Absperrgitter herauszufischen. Als er dann merkte, dass es eine Information war, die zur Baustelle gehörte, warf er es wütend in die Baustelle zurück. Offensichtlich hatte er gehofft, der Flyer würde zu uns gehören, um es gegen uns verwenden zu können. Die Enttäuschung stand ihm im Gesicht geschrieben. Kurze Zeit später kamen zwei Männer auf einem Motorrad. Einer von ihnen hatte eine Kamera dabei und filmte alles, es waren Zivilpolizisten.
Bewacht von einem bellenden Hund
Nachdem dieser ganze Zirkus der Personenkontrolle auf offener Strasse zu Ende war, fesselten sie unsere Hände mit Kabelbinder hinter dem Rücken. Sie setzten uns eine Schutzmaske vor dem Mund auf und wir mussten eng aneinander sitzend in einem Kastenwagen der Polizei Platz nehmen. Bis hierhin wurden sämtliche Corona-Sicherheitsmassnahmen missachtet: Die Polizist*innen trugen keine Handschuhe, keine Schutzmasken vor dem Mund und hielten sich nie an den vorgeschriebenen Abstand von zwei Meter, auch nicht untereinander. Und mir wurde bewusst: Die ganze Sache mit Corona ist nur ein Vorwand, um ihre Macht zu missbrauchen.
Wir wurden alle zum Polizeiposten transportiert. Dort mussten wir auf den Boden sitzend in der Garage warten. Wir wurden auch von einem Polizeihund bewacht, der ständig bellte, wohl um uns einzuschüchtern, denn niemand der anwesenden Polizist*innen befahl dem Hund, endlich ruhig zu sein. Nach gut 30 Minuten war ich der Erste von meiner Gruppe, der hineingeführt wurde.
Für was die Gummihandschuhe?
Sie schrieben mir die Zahl 9 auf die Hand. Keine Ahnung, was es zu bedeuten hatte. Sie nahmen meine Fingerabdrücke, ohne mir jedoch zu sagen, dass ich das Recht hätte, dies zu verweigern. Sie fotografierten mich mit einem Stück Karton, das ich vor die Kamera halten musste und steckten mich dann in eine Zelle. Weil die Polizei mir die Fingerabdrücke genommen hatte, wurden mir die Kabelbinder abgenommen. Jene Genoss*innen, die sich geweigert hatten, wurden mit verbundenen Händen in die Zelle gesteckt. Einige mussten vier Stunden lang so ausharren. Ich hatte mehr Glück, denn nach etwa 20 Minuten wurde ich abgeholt und musste zur Vernehmung. Dabei fragte mich der Polizist hinter dem Schreibtisch, ob ich Kurde sei. «Nein, ich bin Türke», antwortete ich ihm. Der Polizist: «Dein Name klingt aber kurdisch.» Ich: «Nein, mein Name ist arabisch und klingt auch so.»
Bei der Durchsuchung hatte die Polizei einige Gummihandschuhe beschlagnahmt. Der Polizist wollte wissen, wozu ich sie gebraucht hätte. «Ich wollte sie beim Hochhalten des Transparents benutzen, um in diesen Corona-Zeiten sicher zu sein», antwortete ich ihm. Er schaute mich komisch an. Ich untermauerte meine Aussage mit dem Hinweis auf das Desinfektionsmittel, das ich auch mit dabeihatte.
Lauter unwahren Behauptungen
Ich bekam eine Wegweisung vorgelegt, durfte das Niederdorf sowie die Kreise 4 und 5 bis am nächsten Morgen um 5 Uhr nicht mehr betreten. Die angeblichen Gründe: Ich hätte «die öffentliche Sicherheit gefährdet» und «Dritte erheblich belästigt, gefährdet oder unberechtigterweise an der bestimmungsgemässen Nutzung des öffentlich zugänglichen Raums gehindert.» Dies indem ich mich «in einer Ansammlung von Personen aufhielt, die bereit war (oder sich anschickte), einen illegalen Demozug/Fanzug zu starten» und «bei der Personenkontrolle Demomaterial (Handschuhe, Flyer) mitführte». Immerhin weiss ich jetzt dank dem Rapport, dass es sich um sechs Gummihandschuhe und neun Flyer handelte.
Ich sagte dem Polizisten, dass ich mit allen Behauptungen nicht einverstanden sei, dass ich an keiner Art von Demonstration teilgenommen hätte. Auch sei die ständige Behauptung falsch, ich hätte die Corona-Vorschriften missachtete. Es nütze natürlich nichts. Ich unterschrieb die Wegweisungsverfügung, auch um dem ganzen Theater endlich ein Ende zu setzen und ging nach Hause. Die Schlussfolgerungen aus diesem unschönen Erlebnis von mir, überlasse ich den Leser*innen dieser Zeilen selbst.
*Name von der Redaktion geändert
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