Ausgestellt statt gleichgestellt

unkuratierbar. Wir sind ein Historikerinnen-Kollektiv aus Zürich. Wir versuchen aus feministischer Perspektive öffentlich Geschichte zu betreiben. Dabei
sehen wir uns mit der Frage konfrontiert: Wie stellt man eine Ausstellung
ohne Lohn, Fördergelder und institutionelle Anbindung auf die Beine?

Die Auswahl von Inhalten und das Herstellen bestimmter Erzählungen über das Vergangene ist politisch aufgeladen. Das ist keine neue Erkenntnis, für die Reflexion unserer Arbeit aber zentral. Politische Prämissen und Grundhaltungen, aber auch kulturelle Handlungen werden durch den Verweis auf die Geschichte bekräftigt und begründet. Das heisst, wie aus dem Stoff der Vergangenheit Erzählungen formuliert werden, ist nicht zufällig, sondern geht mit den politischen Kräfteverhältnissen einher. Hier knüpfen wir an und möchten die Perspektiven auf die Geschichte erweitern.

Die Bühne der historischen Auseinandersetzung
Unsere Arbeit soll einen Beitrag dazu leisten, Themen zu beleuchten, die in der öffentlichen Auseinandersetzung mit Geschichte aus dem Blickfeld fallen und an die nicht oder wenig erinnert wird. Wir möchten das zeigen, was nicht schon etliche Male interpretiert, bewertet und vermittelt wurde und so den Blick auf Menschen und Bewegungen richten, die unserer Meinung nach auch abgesehen von der Historiographie und Erinnerungskultur zu wenig Beachtung erhalten.
Die ursprüngliche Idee zur Zusammenarbeit ist im Rahmen eines Bewerbungsprozesses entstanden, für welchen bereits ein kuratorisches Statement sowie eine Vielzahl an Themen, Formaten und Vermittlungsangeboten erarbeitet wurden. Im ersten Lockdown im März 2020 nahmen wir die Arbeit an unserer Ideensammlung wieder auf und spannen sie weiter. Die Coronasituation hat unseren Entscheid, ungewöhnliche Orte zu bespielen, deutlich beeinflusst. Ausstellungsfläche war und ist knapp und auch nicht für alle zugänglich. Die Coronakrise verschärfte dies nochmals zusätzlich. Schaufenster als halböffentliche, halbprivate Orte bleiben zugänglich, auch wenn Läden, Museen und andere Kulturhäuser geschlossen bleiben. Das Schaufenster als Ort, der oft nur halbbewusst wahrgenommen wird, Aufmerksamkeit generiert und den Blick auf etwas lenken will, ist für uns die Bühne der historischen Auseinandersetzung.

Kein Grund zum Feiern
Im Laufe der Arbeit wurde uns schnell klar, dass wir als erstes Projekt ein feministisches Thema erarbeiten und etablieren wollen. Das Jubiläum zu «50 Jahre Frauen*stimmrecht» bot sich an, doch als wir die schon bestehenden Kampagnen, Initiativen, Ausstellungen und Buchprojekte diskutierten, fiel uns auf, dass hier die Dinge eigentlich schon zu Ende erzählt wurden: Es überwog die Darstellung, die Einführung des Frauen*stimmrechts 1971 sei ein Meilenstein in der Schweizer Geschichte der Gleichberechtigung von Mann* und Frau*. Ja, es ist ein Meilenstein, wenn es um die politischen Rechte von Frauen* geht. Doch unserer Meinung nach wurde mit der Erinnerung an 1971 eine Art finaler Siegeszug inszeniert, der so nicht passend schien. Gerade die im Moment sehr stark anwachsende feministische Bewegung zeigt, dass es mit antipatriarchalen Kämpfen noch lange nicht vorbei ist. Debatten um das Burkaverbot, die Überarbeitung des Sexualstrafrechts, die permanent steigende Zahl von häuslicher Gewalt und Femiziden – um ein paar zufällige Aspekte zu nennen – machen mehr als deutlich, dass es eigentlich keinen Grund zum Feiern gibt.

Ausserhalb der Parlamentsmauern
Obschon in der Erzählung der Geschichte des Frauenstimmrechts auch immer wieder kämpfende Frauen* in der Öffentlichkeit eingeführt und präsentiert wurden, rückte unserer Meinung nach die Perspektive auf die grossen Kampfmomente der feministischen Bewegung in der Schweiz in den Hintergrund. Anstatt der Einführung des Frauen*stimmrechts, also der Einführung eines grundlegenden demokratischen Rechtes ein weiteres Kränzchen zu winden, braucht es die nähere Beleuchtung feministischer Kämpfe und deren Geschichten. Dabei müssen auch die Geschichten erzählt werden, die sich ausserhalb der Mauern der Bundesbehörden abspielen. Deshalb widmen wir unsere erste Ausstellung dem Frauen*streik von 1991 und dem feministischen Streik von 2019. Ihr Name «Ausgestellt statt gleichgestellt» greift auf, dass wir den (historischen) Blick für die bestehenden patriarchalen Strukturen schärfen möchten: Wir fühlen uns als Frauen, Lesben, non-binäre, inter, trans oder agender Personen oftmals viel eher ausgestellt und keineswegs gleichgestellt. Gleichzeitig möchten wir mit dem Zeigen von Aktivismus an vorangehende Kämpfe erinnern und mit diesen Themen bewusst den öffentlichen Raum einnehmen.

Sitzungsprotokolle und Kartonbrüste
Die realpolitische und sozio-kulturelle Bedeutung der Streiks von 1991 und 2019 wurde bis anhin marginal untersucht und dargelegt. Wir haben uns deswegen dazu entschieden, die Geschichte dieser Streiks durch die involvierten Personen selbst erzählen zu lassen. Deshalb starteten wir vor einigen Monaten die Suche nach Protagonist*innen, welche bei einem oder beiden Streiks teilgenommen oder mitgewirkt haben. Glücklicherweise haben sich viele darauf gemeldet, so dass wir in unserer Ausstellung eine breite Sammlung an Objekten und Erzählungen zeigen können. Es fällt besonders auf, dass Personen verschiedener Generationen ausführen, dass die Streiks keineswegs ein Zuckerschlecken waren. Sie haben einiges an Aufwand, Zeit, und Diskussionen gekostet, was beispielsweise eine Collage von Sitzungsprotokollen einer Protagonistin zeigt, die 2019 an der Organisation des Streiks beteiligt war.
Aber auch Frauen*, die den Streik in den 1990er-Jahren mitgetragen haben, berichten von teilweise konfliktbeladenen Vorbereitungen. Denn man musste sich fragen: Was passiert eigentlich mit mir und meiner Anstellung, wenn ich einfach einen Tag fehle? Kann ich das, darf ich das? Was passiert in dieser Zeit mit meinen Kund*innen, Patient*innen, Kindern? Es zeigt sich, dass das Thema der Care-Arbeit einen bedeutenden Platz in den Erzählungen der Protagonist*innen beider Streiks einnimmt – kein Zufall, dass das brandaktuelle Thema für den Streik 2021 politisch aufgearbeitet wird.
Nebst den kämpferischen Tönen finden sich auch viele bestärkende, fröhliche und ausgelassene Berichte zu den beiden Streiktagen und den vielen Aktionen, die durchgeführt wurden. Ewiglange Transparente, Bierdeckel sowie Kartonbrüste- und Vulvas, T-Shirts und Schilder wurden gebastelt und auf die Strassen getragen.
Viele Protagonist*innen sprechen das bestärkende Moment der Solidarität und Schwesternschaft an – die Streiktage zeigten vielen: Ich bin nicht alleine mit Sorgearbeit und Doppelbelastung, miesen Arbeitsbedingungen und Sexismus – wir sind viele und wir kämpfen gemeinsam. Mit unserer Ausstellung möchten wir eine Erinnerung an diese bestärkenden, kämpferischen Momente schaffen und den feministischen Kämpfen die Bedeutung zuschreiben, die ihnen zusteht.

Infos und Anmeldung: http://unkuratierbar.ch/

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