Verändern wollte ich eine Menge

Frauen*LesbenKasama. Ellen, die in Kurdistan den Namen Stêrk angenommen hatte, starb im September 2016 in Hamburg an Krebs. Ein 2022 erschienenes Buch erinnert an die Internationalistin. Zusammengetragen von Freund:innen aus der feministischen Organisierung «Gemeinsam kämpfen!» lädt ihre Geschichte dazu ein, Utopien zu gewinnen, Internationalismus neu zu leben, sich zu organisieren und weiterzukämpfen.

Eine junge Frau kommt im Berlin der Nachwendezeit mit linker Politik in Berührung. Ihre Suche nach politischer Orientierung und Organisierung beginnt, von Anti-Atomprotesten bis zur kurdischen Frauenbewegung, mit Träumen, Utopien und grossen Entscheidungen.
Vom Erkennen der Widersprüche bis zur Entscheidung für die Revolution: Die tiefgreifenden Fragen, Entwicklungen und vielfältigen Projekte der Internationalistin stehen beispielhaft für die Biographie einer politisch entschlossenen Frau. Das Buch gibt Einblicke in die letzten Jahrzehnte linksradikaler Bezüge und feministischen Organisierungsansätze. Mitreissend erzählt durch das Zusammenspiel persönliche Briefe, emotionaler Erinnerungen und sachlicher Information, ermöglicht es Ellen / Stêrk nach ihrem Tod zu begegnen.

Von der kurdischen Frauenbewegung lernen
«Wir wollen mit diesem Buch Lebensgeschichte von Frauen schreiben. Weil wir es wichtig finden und es als Teil feministischer Kämpfe begreifen, Frauenbiografien und ihre Perspektiven sichtbar zu machen. Und wir wollen sie auch als ein Stück Zeitgeschichte linker Bewegungen und Kämpfe erzählen,» erklären die Herausgeber:innen in der Einleitung.
In zwölf Kapiteln wird die 1976 geborene Ellen in ihren jeweiligen Lebensabschnitten dargestellt. Angefangen in ihrer Kindheit, über ihr Studium in Berlin und die ersten politischen Aktivitäten – im feministischen Wohnprojekt bis zum ersten Kontakt mit der kurdischen Bewegung, ihren Aufenthalten in der Türkei und Kurdistan, ihrer Rückkehr nach Deutschland, die erneuten Wege nach Kurdistan und die politischen Arbeiten in Deutschland bis hin zu ihrem Tod im Jahr 2016.
Ellen reiste mehrmals in die Türkei sowie nach Kurdistan und suchte dort Antworten für ihren politischen Kampf hier in Europa. Aus einer Frauen-Delegation 2010 in die Medya-Verteidigungsgebiete entstand das Buch «Widerstand und gelebte Utopie» im mittlerweile verbotenen Mezopotamien Verlag. Im Anschluss blieb Ellen anderthalb Jahren in der Guerilla, lernte Kurdisch und setzte sich intensiv mit den Realitäten der Guerilla und ihren eigenen Zielen und Wünschen auseinander. Die Rückkehr war begleitet vom Wunsch, in Europa eine starke Frauenorganisation mitaufzubauen.

Ein Stern als Orientierung
Wir vom Frauen*LesbenKasama gehören zu den Glücklichen, die die Freude hatten, Ellen kennen zu lernen. Wir trafen sie zuerst an einer Veranstaltung, die sie zusammen mit Anja Flach im Herbst 2014 in Bern durchgeführt hat, an der sie es in kurzer Zeit schaffte, den demokratischen Konföderalismus übersichtlich und verständlich darzustellen. Wir waren fasziniert.
Zu dieser Zeit arbeiteten wir schon länger mit den kurdischen Frauen im 8.März-Frauenbündnis in Zürich zusammen, waren aber nicht so vertraut mit den theoretischen Hintergründen. Erst Rojava brachte uns dazu, uns eingehender damit zu befassen. Wir hatten viele Fragen und die Veranstaltung von Anja und Ellen gab uns einige Antworten. Durch Ellen bekamen wir Einblicke in die Theorie, die hinter dem Selbstverwaltungsprojekt in Rojava steckt – und wir spürten, dass sie sich intensiv damit befasst hatte, und dass es ihr viel bedeutet.
Für uns war klar: Wir wollen eine Veranstaltung mit Ellen organisieren. Und das taten wir auch, am 3. Mai 2015. Der Infoladen Kasama war voll, über 50 Frauen kamen und der Vortrag von Ellen war wiederum wahnsinnig spannend. Das lag sicher nicht zuletzt an ihrer Art und ihrer Begeisterung. Sie verstand es, die Utopien und Methoden der kurdischen Frauenbewegung für uns fassbar zu machen. Viele Frauen sagten uns danach, dass sie Kraft und Lust, sich zu organisieren, daraus getankt haben.

Herausgeber:innenkollektiv: Verändern wollte ich eine Menge – aus dem Leben der Internationalistin Elle Stêrk. edition assemblage, 2022. ISBN 978-3-96042-141-2.
Buchvorstellungen sind in Planung. 

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