Keine Privatangelegenheit

sah. Mit dem Aufruf zur Tour gegen Feminizide im Sommer soll erinnert werden: Jede zweite Woche wird in der Schweiz eine Frau oder weiblich gelesene Person getötet. Mit einer Broschüre steht schon jetzt ein Toolkit dagegen zur Verfügung.

Seit Jahresbeginn wurden bereits sieben Feminizide gezählt. Namen sind meist nicht bekannt. Das Netzwerk gegenfeminizide.ch verspricht, dass die Opfer nicht anonym bleiben werden. Man will nicht nur das Andenken wahren, sondern auch auf die Inkompetenz der Polizei aufmerksam machen und richtige Hilfe anbieten. Es ist nicht einfach, zu wissen, wie man reagieren soll. Sicher ist: Die schlechteste Lösung ist, nicht zu reagieren.
Kürzlich hat die Schweizer Polizei die Kriminalitätsstatistik für 2023 veröffentlicht: gezählt wurden 53 Morde. Das Netzwerk erfasste 2023 selbst 22 Feminizide. Wer nun diese Daten auswertet, erhält folgende Zahl: 40 Prozent der Morde in der Schweiz sind Morde an Frauen oder weiblich gelesenen Personen. Dieser Prozentsatz kann aber weitaus grösser sein, weil die feministischen Gruppen oder Kollektive nur Zugang zu Informationen der Medien haben. Regierung und Polizei erfassen offiziell keine Femizide. So muss weitergekämpft werden für die Registrierung und die Offenlegung von Tötungsdelikten an Frauen oder weiblich gelesenen Personen wegen ihres Geschlechts.

Der gefährlichste Ort ist das eigene Zuhause
Das Netzwerk, das zur Tour gegen Feminizide aufruft, besteht aus den Kollektiven und Vereinen Association Mél, Ni Una Menos Basel, Ni Una Menos Zürich und Offensiv gegen Feminizide. Bei der Aktion soll zwischen dem 28.August und dem 1.September gemeinsam eine Reise mit Velos oder ähnlichen Fortbewegungsmitteln durch die Schweiz gemacht werden. Die Gruppe besucht Orte, an denen Feminizide stattfanden. Mitmachen kann jede:r – auch mit Veranstaltungen vor Ort. Als Beispiele möglicher Aktionen werden Demonstration, Kundgebung und Workshop oder auch eine Gedenkveranstaltung vor Ort erwähnt. Ziel dieser Offensive ist es auch, dass sich trans, inter, nonbinäre und agender Personen oder Frauen im Vorfeld oder während der Tour vernetzen und so stärken und das Thema Femizide präsenter machen.
Es muss aber nicht bis Ende August gewartet werden. Um jetzt schon aktiv zu werden, bietet das Netzwerk ein Toolkit in Form einer Broschüre mit dem Titel «Was tun gegen Feminizid!?» an. «Unseren Schutz an die Polizei und die Justiz zu delegieren, funktioniert nicht. Schauen wir zueinander und verteidigen wir uns!», schreibt das Netzwerk auf seiner Seite Website gegenfeminizide.ch.

Verteidigung soll aktiv stattfinden
Es gibt die feministische Selbstverteidigung, die Motor ist, die Existenz als Frau, Mädchen oder feminisierte Person gegen die patriarchale Herrschaftsordnung zu verteidigen. «Grundsätzlich braucht es einen Systemwechsel und gesellschaftlichen Wandel, die Abschaffung des Patriarchats und eine transformative Justiz anstelle einer bestrafenden, damit die Feminizide enden», lautet das Fazit des Netzwerkes.
Der Staat besitze das Gewaltmonopol und habe daher die aktive Rolle, indem er «beschützt» und «bestraft». Es gibt in diesem System passive Opfer und Selbstverteidigung wird delegitimiert. Jetzt ginge es darum, als Gemeinschaft handlungsfähig zu werden: «Wer sich selber verteidigt, verteidigt alle FLINT-Personen und durchbricht die Ohnmacht.» Beispiele zeigen den Handlungsspielraum auf. «Ruft ein Mann dir einen sexistischen Spruch nach, gehst du zusammen mit deiner Begleitung zu ihm hin und schüttest beispielsweise deine Wasserflasche über ihn aus.»Auch weist die Broschüre darauf hin, dass in verschiedenen Quartieren Familien prekär leben. Nach Möglichkeit können Mittagstische organisiert oder Lebensmittel verteilt werden. So könnten Gespräche entstehen über Schwierigkeiten und deren Lösung.

Hinschauen
Offizielle Angebote gehen oft ins Leere. Warum dies so ist, erklärt die Broschüre anhand eines konkreten Beispiels. Eine Kampagne gegen häusliche Gewalt wurde neu aufgegleist. Auf den Broschüren abgebildet ist eine «geschlagene Frau» und die Lösung als Hilfestellung ein Anruf bei der Polizei. Statt strukturelle Probleme und Ursachen zu benennen und anzugehen – so lautet die Kritik des Netzwerks – festigt die Kampagne nur das Bild des «Opfers» und stärkt das Gewaltmonopol der Polizei.
In Bern gibt es seit dem 6.Mai 2024 die Kampagne «Bern schaut hin» – gemeinsam gegen Sexismus und Queerfeindlichkeit. Bereits ein Jahr zuvor wurden nach einem Anruf mit dem anonymen Meldetool «Bern schaut hin» Daten zur aktuellen Situation im öffentlichen Raum gesammelt. Nun kreierte man aufgrund dieser Basis an Rückmeldungen Angebote dazu. Auftakt war eine Plakatkampagne mit Fokus auf Zivilcourage. Für einen nachhaltigen Schutz vor Belästigungen braucht es ein Umdenken in der Gesellschaft, so das Fazit der Medienmitteilung von bern.ch. Leider endet hier auch schon die ganze Analyse und das Denken – und das Handeln bleibt an der Oberfläche.

Weitere Infos: gegen-feminizide.ch

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Ein Kommentar

  • Konstanze

    Häusliche Gewalt ist anscheinend auch ein Kennzeichen kriegerischer Gesellschaften. Der Friedensforscher Franz Jedlicka hat das in seiner „Culture of Violence Scale“ analysiert (Länder, in denen es keinen gesetzlichen Schutz dafür gibt). Haben wir in der Schweiz eigentlich eine „White Ribbon Kampagne“ von Männern gegen häusliche Gewalt? In Österreich gibt es eine .. (ach ja: ruban-blanc.ch .. gefunden!)

    LG Konstanze

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